Erfolgreiches Lernen orientiert sich an Bedürfnissen des Lerners
Wiesbaden/Freiburg, Dezember 2020 - Michael Woywode, Digital Learning Experte von HQ Interaktive Mediensysteme GmbH, stellt sich die Frage ob der Trend zum Learning Experience Design das Erstellen von Lernkonzeptenverändert. Er erläutert, worum es sich beim Learning Experience Design handelt, welche Disziplinen darunterfallen, wo die wesentlichen Unterschiede zum herkömmlichen Instructional Design liegen und inwieweit es Einfluss auf das Erstellen von Lernkonzepten und digitalen Lernerlebnissen hat. Wie wird es bereits umgesetzt und angenommen?
Was ist unter dem Stichwort LXD, Learning Experience Design, zu verstehen?
Michael Woywode: Der Begriff LX Design wurde im Mai 2007 von Niels Floor geprägt, dem Pionier des LXD. Es ist ein ganzheitlicher, interdisziplinärer Ansatz, um möglichst wirksame und gern genutzte Lernerlebnisse zu designen. Sie sollen möglichst interessant, relevant und informativ sein. Damit das gelingt, stellt LXD den Lerner in den Mittelpunkt und nicht das Training oder das Lernmedium an sich.
Es ist ja immer noch häufig der Fall, dass Abteilungen in Unternehmen "…auch ein eLearning…" haben wollen oder eigene Ziele für die Umsetzung festlegen, ohne die Zielgruppe und deren Bedarfe zu berücksichtigen. Aber ähnlich wie bei der Customer Experience im Vertriebs- und Marketingprozess, geht es bei erfolgreichem Lernen nun mal um die Bedürfnisse des Lerners.
Diese zu verstehen und zu befriedigen und dadurch relevante und bedeutsame Erfahrungen während des Lernprozesses zu kreieren, ist der Kern des LXD. Nur so lassen sich am Ende Lernziele, Entwicklungsziele oder auch Kulturwandel sinnvoll und nachhaltig erreichen.
Ist LXD nicht nur ein neues Modewort? Personas gibt es doch schon länger und das Instructional Design auch.
Michael Woywode: Keineswegs! LXD ist ja keine Neuerfindung im eigentlichen Sinne, sondern im Grunde die Vereinigung erfolgreicher schon existierender Disziplinen, wie User Experience, die Kognitionswissenschaft, das klassische Instructional Design, das Interaktionsdesign und das Experiential Learning, also das erfahrungsbasierte Lernen. Im LXD-Prozess sollen diese Disziplinen nicht nebeneinanderstehen, sondern alles wird mit dem Einsatz moderner Methoden, z.B. aus dem Design Thinking Prozess, verknüpft.
Wie genau werden die Einzeldisziplinen denn miteinander verbunden?
Michael Woywode: Im Wesentlichen wird heute beim Designen von Lernszenarien und digitalen Lernmedien der klassische Instructional Design Prozess angewandt. Häufig nach dem ADDIE Modell. Man beginnt mit der Analyse Phase (Was ist das Problem, das gelöst werden soll? Was sind die Unternehmensziele und was die Lernziele?). Dann folgt schon die Design Phase, also die Strukturierung des Kurses, des Trainings oder des Mediums. Als Drittes folgt die Entwicklung und somit die Produktion von Inhalt und z.B. die des Mediums. Die vierte Phase ist dann die Implementierung und am Ende erfolgt eine Evaluation.
Das ADDIE Modell ist nicht falsch und ist indirekt auch ein Bestandteil von LXD, aber eben auf andere Art und Weise. Mit dem Design Thinking Prozess stehen das iterative Vorgehen und das intensive Testen von Prototypen mit der Zielgruppe im Vordergrund. Die ZG wird während des ganzen Prozesses involviert. Zudem setzt LXD auf einen ganz wichtigen Aspekt zu Beginn des Prozesses: Nicht nur Unternehmens- und Lernziele sind wichtig. Entscheidend ist der Lerner an sich. Wo befindet er sich? Wie tickt der Lerner? Was benötigt er? Was weiß er schon? Wie sieht der Alltag aus? Welches Lernformat passt zu ihm? usw.
Und die anderen Bereiche des LXD? Wie fließen diese ein?
Michael Woywode: Diese fließen eben an den relevanten Stellen des LX Design Thinking Prozesses ein. Die Kognitionswissenschaft ist notwendig bei der didaktisch-konzeptionellen und auch der visuellen Gestaltung, aber auch beim Interaktionsdesign oder der User Experience. Die User Experience und das Interaction Design brauchen wir schon in der Ideation Phase über das Prototyping bis hin zur Implementierung. Und das erfahrungsbasierte Lernen ist das Herzstück im Lernprozess und somit notwendig ab der Ideation Phase. Der LX Design Thinking Prozess gibt die Struktur und Methodik, die anderen Disziplinen bilden die theoretischen Grundlagen und steuern Methoden für die Umsetzung der einzelnen Prozessphasen bei.
Können Sie uns kurz die anderen Disziplinen neben dem Instructional Design erläutern? Was sind das für Grundlagen?
Michael Woywode: Die User Experience, oder kurz UX, beschreibt alle Eindrücke eines Nutzers während der Interaktion z.B. mit einer Software, einer Plattform oder auch einem Produkt. Die UX ist ein multidisziplinäres Feld. Es fließen visuelles Design, Psychologie, Mensch-Maschine Interaktion, Rezeptionsforschung usw. zusammen. Um eine möglichst gute UX zu erreichen, eignet sich auch hier ein iterativer Ansatz und eben wieder die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Motivation der Nutzer. Was ist das Ziel einer Nutzung oder Interaktion? Es passt also sehr gut zu unserem LXD Prozess.
Beim Interaktions Design steht die Interaktion des Nutzers mit einem digitalen oder analogen Produkt im Zentrum. Um dem Nutzer die bestmöglichen Wege bei der Nutzung eines Produkts oder eines Services zu designen, ist auch hier wieder das Wichtigste, das Problem des Nutzers zu verstehen! Was will der Nutzer erreichen und wie ist der beste und komfortabelste Weg für ihn dahin?
Das erfahrungsbasierte Lernen ist Lernen durch konkretes Tun und Reflektion. Z.B. beim Lesen eines Artikels, beim Malen eines Bildes oder beim Reparieren eines Fahrrads haben wir Erlebnisse und sammeln damit Erfahrungen. Im Grunde kann alles eine Erfahrung sein. Entscheidend ist, wie wir als Menschen Erfahrungen wahrnehmen und wie wir aus diesen lernen und unsere Fähigkeiten dadurch verbessern. Dieses erfahrungsbasierte Lernen macht den Kern des LX-Designs aus.
Nach dem Bildungstheoretiker und maßgeblichen Begründer David A. Kolb ist Lernen, ob aktuell auf ein Problem bezogen oder als lebenslange Kompetenzentwicklung betrachtet, als fortwährender, aus vier Phasen bestehender Kreisprozess anzusehen:
Zunächst macht ein Lerner konkrete Erfahrungen im Umgang mit der Umwelt allgemein oder mit einem Gegenstand, Dienst oder z.B. Medium im Besonderen. Diese konkreten Erfahrungen sind dann die Grundlage für reflektiertes Beobachten, also das in Zusammenhang bringen (Wenn-Dann-Beziehungen), und zwar induktiv vom Einzelfall zum Allgemeinen. Die analysierten Erfahrungen und Beobachtungen werden in ein Bild bzw. abstraktes Konzept überführt. Im vierten Schritt wird dieses abstrakte Konzept dann wiederum durch einen deduktiven Vorgang verifiziert oder falsifiziert. Dies erfolgt durch Testen von Hypothesen, also durch aktives Experimentieren. Der Kreisprozess entsteht, weil aus diesem Ergebnis dann neue Erkenntnisse, neue Erfahrungen entstehen, die dann wiederum reflektiert werden usw.
Ja, und dann ist natürlich die schon erwähnte Kognitionswissenschaft ein wichtiger Baustein für das Designen von Lernerlebnissen. Sie befasst sich mit den Mechanismen des menschlichen, tierischen oder künstlichen Denkens. Es geht um Wahrnehmung, Intelligenz, Sprache, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Denkvermögen, Emotionen, Verstand oder sogar Bewusstsein.
Die Kognitionswissenschaften verwenden gemeinsam Daten aus den sieben Teildisziplinen, aus denen sie sich zusammensetzt:
- Bildung, die Untersuchung der Art und Weise, wie Menschen lernen
- Philosophie, das Studium von Wissen, Realität und Existenz
- Künstliche Intelligenz, das Studium denkender Maschinen und Systeme
- Psychologie, das Studium des Verhaltens und des Geistes
- Neurowissenschaften, das Studium des Nervensystems
- Linguistik, das Studium der Sprache
- Anthropologie, das allgemeine Studium der menschlichen Gesellschaft und Kultur
Ist es denn für die Kunden nicht aufwändiger in den LXD Prozess einzusteigen? Wo liegen die Vorteile?
Michael Woywode: Zunächst wirkt das Ganze schon aufwändiger als direkt mit einem Konzept oder Drehbuch zu beginnen. Aber die Vorteile des Ansatzes sind die zielgruppenspezifischere Konzeption und die damit verbundene sinnvolle Investition. Wenn eine Lösung entsteht, die von der Zielgruppe mit Begeisterung aufgenommen wird, weil sie ihre Bedarfe und Probleme abdeckt und darüber hinaus noch für effiziente Lernerfahrungen sorgt, dann liegen die Vorteile auf der Hand.
Höhere Nutzung und Lernerfolge versprechen eine höhere Geschäftswirksamkeit der Maßnahme. Auch kann durch die modernen Methoden und Prozesse des Design Thinkings eine tolle Co-Creation bei der Erstellung entstehen.
Arbeitet denn HQ nach dem LXD Prozess?
Michael Woywode: Wir sind eine Agentur, die immer interessiert ist moderne und innovative Methoden und Ansätze zu nutzen und in das eigene Tun zu integrieren. Wir hinterfragen aber auch stets solche modernen Ansätze und versuchen diese zu adaptieren oder in effiziente HQ Prozesse zu überführen. Für uns ist der Kunde noch immer König und wir orientieren uns an seinen Möglichkeiten.
Wir versuchen natürlich immer, die Kunden auch von der Nutzung solcher Methoden zu überzeugen. Das funktioniert häufig, aber manchmal besteht auch eine gewisse Skepsis. Dann versuchen wir sinnvolle Teilelemente zu nutzen und so Schritt für Schritt unsere Kunden in der Veränderung mitzunehmen. Das Erstellen von Personas, das Durchführen von Zielgruppeninterviews, Journeys, Ideation Sprints, iteratives Entwickeln mit MVPs usw. sind aber heute schon ein guter und immer wiederkehrender Bestandteil in unserer Arbeit mit unseren Kunden.
Was bedeutet das für die Erstellung von digitalen Lernmedien?
Michael Woywode: Wer zukünftig eine starke Workforce, zufriedene Mitarbeiter und geschäftswirksame digitale Lernkonzepte haben möchte, der wird nicht mehr um das LXD herumkommen. Erfolgreiche Lernkulturen in Unternehmen erfordern einen hohen Grad an Learner Experience. Es geht zukünftig nicht mehr nur um das bloße Lernziel und Themen, sondern in erster Linie um den Lerner und die Frage "Was brauchst du, um hier erfolgreich arbeiten zu können? Wie lernst du am besten? Wie können wir dir, lieber Mitarbeiter/ liebe Mitarbeiterin, erfolgreiche Hilfestellung geben, damit du dich weiterentwickelst und auf unsere Organisationsziele und Lernziele einzahlst?". Dafür ist LXD da! Ein Win-Win für Organisation und Mitarbeiter.
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