Schnelles Internet und digitale Transformation für die Schulen
Stuttgart, Mai 2021 - Wo deutsche Schulen beim Anschluss an das schnelle Internet stehen und wie Lehrkräfte bei der digitalen Transformation unterstützt werden können, erklärt Tim Brauckmüller im didacta-Interview. Er ist Experte für Digitalisierung und Breitbandausbau, Geschäftsführer der atene KOM GmbH und Mitglied im Gesamtvorstand der Initiative D21 e.V..
Herr Brauckmüller, Ihr Unternehmen berät Kommunen, Landkreise und die Wirtschaft bei der Entwicklung digitaler Infrastrukturen. Wo steht Deutschland heute beim Ausbau des schnellen Internets?
Tim Brauckmüller: Wir haben in den letzten Jahren massive Fortschritte in diesem Bereich gemacht. Bei den 50 MBit-Breitbandverbindungen sind wir jetzt mittlerweile bei über 94 Prozent Abdeckung, beim Gigabit-Ausbau haben wir die 60 Prozentmarke schon erreicht.
Wann werden alle deutschen Schulen über Gigabit-Anschlüsse verfügen?
Tim Brauckmüller: Ich denke, dass wir im Laufe des nächsten Jahres tatsächlich so weit sein werden. Allein in der Bundesförderung sind 11.000 Schulen und Institutionen, die gerade Gigabit-Anschlüsse erhalten. Voraussetzung ist eine ausreichende Baukapazität, denn nicht alle Schulen können so leicht angeschlossen werden.
Schnelles Internet und technische Ausstattung sind Grundvoraussetzungen für die Bildung in der digitalen Welt. Aber reden wir über die Menschen, die im Bildungssystem tätig sind. Wie können Fach- und Lehrkräfte bestmöglich durch den digitalen Transformationsprozess begleitet werden?
Tim Brauckmüller: Eine Datenschutz-Grundschulung könnte den Lehrkräften helfen, sich im Wust an Datenschutzvorgaben zurechtzufinden. Darf der Schüler sein eigenes Handy einsetzen? Welche Software darf an Schulen verwendet werden? Solche Fragen müssen klar beantwortet sein. Zudem geht es darum, den pädagogischen Blick zu öffnen. Mit welcher Software kann ich zum Beispiel Biologieunterricht gestalten? Wo kriege ich das digitale Lehr- und Lernmaterial dafür her und wie setze ich es ein?
Viele Lehrkräfte haben sich in den Pandemie-Monaten in solchen Fragen fortgebildet. Reicht das aus?
Tim Brauckmüller: Nein, bei weitem nicht. Lehrkräfte müssen zunächst die Hard- und Software kennen, die sie einsetzen. Hier braucht es Schulungen. Zugleich braucht es eine Art Bibliothek, wo Lehrkräfte Einschätzungen von anderen Pädagoginnen und Pädagogen erhalten, ob und wie etwas funktioniert hat, und wo eine fachliche Auseinandersetzung stattfindet. Um das pädagogische Potenzial überhaupt zu entdecken, muss ich jemanden haben, der mich an die Hand nimmt.
Wer steht hier besonders in der Verantwortung?
Tim Brauckmüller: Jeder ist ein Stück weit selbst verantwortlich dafür. Aber es ist fatal, dass das Zusammenspiel von Pädagogik und Technik nicht Gegenstand des Lehramtsstudiums ist. Welche digitalen Möglichkeiten habe ich? Welche Kommunikationskanäle benutze ich? Was kommt beim Schüler mit einem besseren Lerneffekt an? Das ist das absolute Minimum, was die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte leisten muss, und das ist Sache der Länder.
Auch die Schulträger stehen in der Verantwortung. Wer auf die Auswahl der Technik Einfluss nimmt, und sei es nur durch die Finanzierung, der muss auch dafür sorgen, dass die Lehrkräfte diese Technik benutzen können.
Die Pandemie hat dazu geführt, dass sich sehr viele Lehrkräfte, aber auch Eltern und natürlich Schülerinnen und Schüler, erstmals mit den Möglichkeiten des digitalen Unterrichts beschäftigen mussten. Was wird aus dieser Zeit bleiben?
Tim Brauckmüller: Im positiven Sinne haben wir dann gelernt, wie man Blended Learning nutzen kann. Wir kennen jetzt auch die Vorteile des Lernens auf Distanz, beispielsweise wenn ein Kind krank ist und trotzdem am Unterricht teilhaben kann. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Kinder im Distanzunterricht ganz alleine waren und wir Wege finden müssen, sie besser zu begleiten.
Die Kultusministerinnen und Kultusminister haben lange daraufgesetzt, so schnell wie möglich zum Bekannten zurückzukehren. Stichwort: Präsenzunterricht. Wie bewerten Sie die Bildungspolitik der Pandemiemonate?
Tim Brauckmüller: Corona führt uns vor Augen, dass die Politik die Digitalisierung der Schulen schon längst hätte vorantreiben müssen, unabhängig von der aktuellen Situation. Andererseits haben wir ein sehr gutes Schulsystem, was auch damit zu tun hat, dass wir uns im Präsenzunterricht sehr viel Mühe geben. Befremdlich finde ich jedoch, dass einige glauben, nach Corona ginge es einfach zurück in den normalen Schulalltag. Dabei holen wir jetzt nur das auf, was international schon länger funktioniert. Wir werden die Schraube nicht mehr zurückdrehen.
Aus Sicht des Beraters: Was würden sie den Kultusministerinnen und Kultusminister jetzt empfehlen?
Tim Brauckmüller: Als allererstes würde ich empfehlen, Schule wie ein Unternehmen zu betrachten, so hart es auch klingen mag. Die Lehrkräfte müssen ihrer pädagogischen Arbeit nachgehen können, ohne sich um die Technik kümmern zu müssen. Das wäre in jedem Betrieb undenkbar und so muss es auch in der Schule funktionieren.
Es gibt die Faustformel, dass Reformen im Bildungsbereich drei Jahrzehnte brauchen, bis sie in der Praxis ankommen. Warum sollte sich Schule in der digitalen Welt schneller verändern?
Tim Brauckmüller: Der überwiegende Teil der Pädagoginnen und Pädagogen empfindet die Digitalisierung als Chance. Wenn Eltern und Träger das genauso sehen, dann können wir sehr schnell vorankommen. Wir dürfen nur nicht die Arroganz besitzen, nicht von anderen lernen zu wollen. Es gibt in vielen Ländern, etwa in Skandinavien und Estland, gerade im Schulbereich sehr interessante Konzepte und wir dürfen uns davon etwas abgucken.
Was genau würden Sie von den skandinavischen Ländern kopieren wollen?
Tim Brauckmüller: Von den Skandinaviern würde ich gerne den Ansatz der variablen Lernzeit übernehmen. Dabei gibt es keine fixen Präsenztage mehr, sondern Schülerinnen und Schüler erhalten dasselbe Lernangebot, egal, ob sie zu Hause oder in der Schule sind. Beides wird miteinander integriert, ohne den Lernerfolg zu gefährden.
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