Social Software wird salonfähig
Midvale/Utah, Juni 2006 - Social Software wird in Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen, weil sie die informelle Interaktion in zunehmend flacher strukturier- ten, team-basierten Organisationsformen unterstützen kann. Zu diesem Schluss kommt das auf Network Computing spezialisierte US-Beratungshaus Burton Group in seinem aktuellen Report "Trends in Social Software". CHECKpoint eLearning sprach mit Analyst Mike Gotta über Chancen, Markttendenzen und erste Integrationsansätze bei IBM und Microsoft.
Warum sollte jedes Unternehmen Social Software im Blick haben?
Gotta: In den vergangen Jahren haben Unternehmen enorm viel Zeit, Geld und Ressourcen in Projekte und Technologien investiert, um ihre Geschäftsprozesse zu automatisieren und den Umgang mit Informationen zu verbessern. Trotzdem hören wir von unseren Kunden, dass es immer noch viele Geschäftsaktivitäten gibt, die nicht vollständig automatisiert werden können. Dabei handelt es sich um Aktivitäten, die von Menschen abhängen - oft im Zusammenhang mit Teams - die gemeinsam Informationen teilen und Entscheidungen treffen.
Unsere Untersuchung "Trends in Social Software" zeigt, dass Wirtschaftsstrategen ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den Einfluss von Teams und Communities auf die Performance und Innovationskraft eines Unternehmens richten. Social Software kommt ursprünglich aus dem Consumer-Markt. Für Unternehmen ist sie interessant, weil sie einen anderen Blickwinkel auf Gruppen und soziale Netzwerke bietet. Burton Group glaubt, dass dies ein wesentlicher Unterschied ist.
Was kann Social Software leisten?
Gotta: Viele Experten verbinden Social Software mit spezifischen Tools, wie Blogs, Wikis, Tagging und Social Bookmark-Services. Dabei handelt es sich eher um die Gestaltung von Software rund um die Erfahrung von Anwendergruppen, die mit anderen Applikationen verbunden oder neu kombiniert werden kann. Social Software fördert das informelle Zusammenspiel und unterstützt Anwender - basierend auf der Beteiligung und dem Einblick der Community - Informationen selbst zu organisieren.
Unternehmen sollten Social Software im Fokus haben, weil sie verspricht, den Technologen dabei zu helfen, bessere IT-Umgebungen zu entwickeln, die die Zusammenarbeit von Gruppen verbessern und erneuern. Dennoch ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Social Software eine andersartige Sichtweise auf die Systemgestaltung darstellt, welche die Art und Weise in der Menschen kommunizieren, Informationen teilen und zusammenarbeiten verbessert.
Wie kann Social Software Organisation insbesondere bei Wissens- und Lernprozessen unterstützen?
Gotta: Ein Schlüsselaspekt von Social Software ist der Schwerpunkt auf zunehmender informeller Interaktion und informellem Austausch. Betrachtet man Blogs, Wikis, Tagging und Social Bookmark-Services, so zeigt sich, dass sie es Menschen ermöglichen, gemeinsam Informationen und Erkenntnisse in einer Art und Weise zu sammeln und auszutauschen, die den Arbeitsplatz demokratisiert. Das bedeutet nicht, dass formale Prozesse rund um Praktiken im Wissensmanagement und Lernmethoden ersetzt werden sollen.
Social Software sollte als eine Erweiterung bestehender Strukturen und Methoden im Bereich Distance Learning, Unternehmenstaxonomie und Enterprise Content-Management gesehen werden. Mitarbeiter lernen am besten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit und sehr oft durch Interaktionen mit Gleichgestellten. Social Software fokussiert auf diese informelle Kommunikation und bietet einen Ausgleich zu den formaleren Prozessen.
Im Augenblick ist es schwierig, konkrete Vorteile festzusetzen, da diese Technologien überwiegend Consumer-orientiert sind oder noch keine längere Erfahrungszeit innerhalb von Unternehmen haben. Viele der zu erwartenden Vorteile sind eher qualitativ, so dass der ROI bis zu einem gewissen Grad subjektiv ist. Es gibt Beispiele für Unternehmen die intern Blogs und Wikis eingesetzt und damit messbare Vorteile erzielt haben, als sie diese Tools rund um spezifische Anwendungen wie Wettbewerbsbeobachtung oder Programm- und Projektmanagement implementiert haben.
Trotz der vermeintlichen Vorteile sind diese Anwendungen in Unternehmen noch nicht sehr verbreitet. Warum?
Gotta: Es gibt einige Anbieter, die eine gewisse Verbreitung im Markt für Unternehmenssoftware erzielt haben. Man denke hier an Traction Software für Blogs und Socialtext für Wikis. Darüber hinaus gibt es noch andere sehr gute Anbieter. Außerdem gibt es für Unternehmen Möglichkeiten aus dem Bereich Open Source, besonders für Wikis. Doch in den meisten Fällen wurde die Technologie noch von keinem der großen Software-Anbieter forciert. Das wird sich ändern.
Microsoft wird in Office 2007 Blog- und Wiki-Funktionalitäten einbinden und IBM zeigte ähnliche Funktionen in seiner Notes/Domino Plattform. Darüber hinaus hat IBM eine interne Lösung namens dogear, eine Tagging und Social Bookmark-Anwendung, die voraussichtlich innerhalb eines Jahres produziert wird. Microsoft hat kürzlich Knowledge Network vorgestellt, das SharePoint um Expertenwissen und Social Networking-Fähigkeiten ergänzt.
Es gibt viele Tools - die meisten davon umsonst - aber praktisch keinen professionellen Service oder Business Case. Wo sehen Sie Möglichkeiten für den Markt?
Gotta: Social Networking bleibt ein Bereich in dem professionelle Services existieren. Unternehmen wie IBM haben Social Networking Analysis (SNA) in ihr Unternehmensconsulting integriert und es gibt viele Spezialisten im Bereich SNA. Wenn Blogs für Marketing und Public Relations genutzt werden, dann sind Unternehmen genauso in der Lage, professionelle Services anzubieten. Es scheint also so, dass professionelle Services davon abhängen, wie diese Tools angewendet werden. Ich erwarte, dass das die Regel bleibt. Professionelle Services werden lösungsbezogen bleiben und die Tools werden einfach mit bestehenden Methoden verbunden.
Werden 'die Großen' einfach Social Applications in ihre Architekturen integrieren? Welche Marktchance sehen Sie für spezialisierte Nischenanbieter?
Gotta: Da ich den Enterprise Markt beobachte, kann ich nur dieses Segment behandeln, im Gegensatz zum Consumer-Markt. Im Augenblick gibt es Chancen für Anbieter mit hochwertigen Lösungen, die auf Tools für Social Software spezialisiert sind. Doch wenn Softwareanbieter wie IBM oder Microsoft die Technologie in ihre Infrastruktur einbeziehen, dann erwarte ich, dass diese Anbieter sich mehr auf Anwendungen fokussieren, die die Infrastruktur erweitern als dass sie versuchen auf der Infrastruktur-Ebene zu konkurrieren.
Ähnliche Entwicklungen gab es in anderen Bereichen, etwa bei Unternehmensportalen und Content Management, wo die besten Anbieter zunehmend unter Druck gerieten, da einst hoch spezialisierte Technologien zu allgemeiner Infrastruktur werden. Für diese Anbieter bleibt die Hinwendung zu einer Fokussierung auf Anwendungen und vertikale Lösungen oder zu speziellen Infrastrukturservices, die das erweitern, was große Anbieter als Kern-Framework liefern.
Man kann bereits jetzt bei einigen Anbietern beobachten, dass es professionelle Applikationen für spezifische Rollen, Prozesse oder vertikale Geschäfte gibt. Contact Networks hat beispielsweise eine Social Networking-Plattform für Sales entwickelt. Das Unternehmen hat kürzlich seinen Fokus um die Bereiche Professional Services und Legal erweitert. Ein anderes Beispiel ist Traction Software. Das Unternehmen zielt auf Competitive Intelligence als eine professionelle Anwendung seiner Social Software-Tools.
Ihr Rat für Unternehmen, die nicht auf den Mainstream warten wollen und glauben, dass sie sich als 'First Mover' einen Wettbewerbsvorteil sichern können: Was ist heute entscheidend bei der Implementierung von Social Software?
Gotta: Dieses Thema haben wir ausführlich im Bereich "Empfehlungen" unseres Reports "Trends in Social Software" behandelt. Das Wichtigste in Kürze:
1. Governance ist für den Erfolg am wichtigsten. Wenn Ihre Unternehmenskultur und Organisation nicht für informelle, auf die Communitiy bezogene Praktiken zur Verbesserung der Kommunikation, des Informationsaustausches und der Zusammenarbeit reif ist, dann ist es wahrscheinlich, dass Social Software insgesamt scheitert. Dennoch kann sie erfolgreich sein, wenn sie eng mit spezifischen Anwendungen verbunden wird.
2. Binden Sie Gruppen mit ein, die mit der Organisationsentwicklung und der Verwaltung des Humankapitals zu tun haben. Dies ist wegen des Bezugs zur Firmenkultur erforderlich.
3. Ich würde nicht mehr als drei bis fünf Piloten zur gleichen Zeit starten. Einige Social Software-Tools sind ausgereifter (Blogs, Wikis), während andere sich gerade noch entwickeln (Tagging, Social Bookmark Service, Social Networking).
4. Erwarten Sie einen kurzen Lebenszyklus für jede Investition. Verfolgen Sie weiter den Markt und den Reifegrad der Technologie. Standardisieren Sie nicht zu schnell auf einen einzigen Anbieter und stellen Sie sicher, dass Sie sowohl Projekterfolge als auch -fehler untersuchen und dokumentieren.
Ihre Vision für 2010: Wie werden wir im und mit dem Web 2.0 arbeiten?
Gotta: Für 2010 erwarte ich, dass es eine neue Sorte von Technologen geben wird, die verstehen, wie man Systeme für Gruppen, ihre Beziehungen, Interaktionen und das Netzwerk, das sie verbindet, entwickelt und implementiert. Solche Systeme und Umgebungen werden serviceorientiert sein, auf wohl definierten Metamodellen und Metadaten basieren und so in eine Vielzahl von Anwendungen, wie zum Beispiel Workflow- oder Entscheidungsfindungssysteme, integrierbar sein.
Oder sie können in Richtungen erweitert werden, an die die ursprünglichen Entwickler nicht gedacht haben (ähnlich wie heute Mashups), wenn Gruppen ihre eigenen Team- oder Communityräume für Interaktion, Informationsaustausch oder Collaboration kreieren (wie Myspace).
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