Extremismus-Prävention durch Ärzte und Psychotherapeuten
Ulm, März 2025 - Aufgrund globaler Krisen haben psychische Belastungen und Ängste in den vergangenen Jahren zugenommen. Gleichzeitig finden extremistische Gruppierungen und Ideen Zulauf. Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeuten können Patienten, die auf dem Weg der Radikalisierung sind, helfen. Im Interview erläutert die Wissenschaftlerin Dr. Thea Rau Möglichkeiten der Extremismusprävention - u.a. mit Hintergrundwissen durch eLearning.
Wie entstand die Idee zum Forschungsprojekt? Welchen Bedarf haben Sie dafür gesehen?
Dr. Thea Rau: Wir haben im Jahr 2020 eine Handlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten erstellt. Darin haben wir Informationen zusammengefasst, wie Fachkräfte aus Heilberufen Anzeichen einer Radikalisierung erkennen und wie sie darauf reagieren können. Die Broschüre, die inzwischen auch im Internet abgerufen werden kann, wurde bei uns sehr häufig angefragt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gab es nochmals verstärkt Nachfragen dazu, vor allem von Kolleginnen und Kollegen in eigener Praxis.
Das damalige Projekt wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Wir haben dann gemeinsam überlegt, wie wir den Bedarf zum Thema aus der Krankenbehandlung vertiefender adressieren können und das Projekt – kurz HE-QV – mit seinen beiden Säulen entwickelt. Für eine der beiden Säulen (Qualifizierung) haben wir eine eLearning-Fortbildung für Ärzte und Psychotherapeuten zum Thema entwickelt. Im vergangenen Jahr haben sich rund 3.000 Fachkräfte für diese Fortbildung registriert.
Welche Erfahrungen haben Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeuten und -therapeutinnen mit extremistischen Einstellungen bei Patienten? Sind sie häufig damit konfrontiert?
Dr. Thea Rau: Mit Beginn des Projektes haben wir im Jahr 2022 eine Online-Befragung durchgeführt. An dieser haben 364 Fachkräfte teilgenommen. Ein großer Teil davon waren Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten. 58 Prozent gaben an, schon einmal Patienten mit extremistischer Einstellung behandelt zu haben. Fachkräfte, die dann an der Fortbildung teilgenommen haben, wurden bei Beginn ebenfalls zu ihren Berührungspunkten mit dem Thema Extremismus befragt.
An dieser Befragung haben rund 3.000 Fachkräfte teilgenommen und 65 Prozent gaben an, dass sie schon mal Patienten mit extremistischer Einstellung behandelt haben. Die Befragung ergab, dass sie Sorgen und Bedenken im Umgang mit dem Thema hatten. Viele fühlten sich nicht sicher genug, wie sie die Ansichten im Rahmen der Krankenbehandlung ansprechen und wie sie bei möglichen Gefährdungslagen handeln sollen. Auch das Einordnen von Äußerungen von Patienten fällt teilweise schwer. Das aber gerade ist wichtig, um nicht vorschnell zu urteilen.
Beim Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und extremistischen Einstellungen können sich auch Stigmatisierungen einstellen. Haben Sie diese Vorbehalte bei Angehörigen von Heilberufen gefunden?
Dr. Thea Rau: "Stigmatisierung" würde ich es nicht nennen. Aber wenn ein Therapie- oder Behandlungsplatz frei würde, würden einige Fachkräfte laut der Befragungsdaten eher keinen Therapieplatz für Menschen mit extremistischer Einstellung anbieten. Das hängt sicherlich auch mit der bereits erwähnten Unsicherheit bei dem Thema zusammen. Ein Großteil der Befragten sieht sich nicht gut ausgebildet im Umgang mit dieser Personengruppe und wünscht sich daher Fortbildungsangebote.
Warum ist es wichtig, Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeuten und -therapeutinnen für Extremismusprävention zu sensibilisieren?
Dr. Thea Rau: Die Krisen und Entwicklungen in den letzten Jahren haben zu psychischen Belastungen und teilweise auch zu Ängsten bei Menschen geführt. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind wiederum teilweise besonders suggestibel für extremistische Ansichten. Extremistische Gruppierungen wiederum finden häufig Zulauf, weil sie "einfache Antworten" auf komplexe gesellschaftliche Fragen und Probleme kommunizieren und zum Beispiel auch "Freund-Feind"-Bilder propagieren. Das sind nur vermeintlich schnelle Entlastungsmöglichkeiten.
Ärzte und Psychotherapeutinnen können wichtige Ansprechpersonen sein, denn sie können Einblick in die bisherigen Bewältigungsmechanismen von Patientinnen und Patienten gewinnen und im Rahmen der Krankenbehandlung möglicherweise sehr zeitnah erkennen, wenn sich Menschen von der Gesellschaft entfernen.
Ein vertrauliches Gespräch, was Menschen bewegt, was sie belastet und wie ihnen geholfen werden kann, kann so auch Teil von Extremismusprävention sein, auch wenn der Auftrag die Krankenbehandlung ist und bleibt.
Wie geht es weiter mit den Ergebnissen des Projekts?
Dr. Thea Rau: Die Projektförderung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde für dieses Jahr auf den Erhalt der Projekt-Webseite beschränkt. Wir suchen daher nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten für die eLearning-Fortbildung, die ein voller Erfolg war. Denn in allen Lernbereichen stellten sich bedeutsame Wissenserweiterungen ein und auch die Handlungssicherheit wurde nach Beendigung der Fortbildung deutlich höher eingeschätzt von den Teilnehmenden.
Aktuell können sich Interessierte für die Fortbildung in die Interessentenliste auf der Webseite eintragen. Außerdem werden wir Schwerpunkte aus den Befragungen publizieren und mit Fachkräften aus verschiedenen Arbeitsbereichen diskutieren, wie es mit dem Thema im Rahmen der Krankenbehandlung weitergehen kann.
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