Trivial oder gefährlich?
München, August 2006 - Der Fall ist heikel. Die Verunsicherung groß. Am 26. Juli hat des US-Unternehmen Blackboard bekannt gegeben, ein Patent für "internetbasierte Lernhilfesysteme und -methoden" erwirkt zu haben. Weil das Patent Nr. 6,988,138 Kernfunktionalitäten umfasst, die praktisch in jedem Learning Management System zur Anwendung kommen, und Blackboard am 27. Juli gegen das kanadische Unternehmen Desire2Learn eine Verletzungsklage erhoben hat, geht weltweit die Angst um. Doch Patentexperten und Juristen geben Entwarnung.
Der Umfang des Patents
"Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte sich Blackboard die gesamte technologische Abwicklung von eLearning schützen lassen. Wenn man das Patent richtig liest, besteht aber kein Grund zur Sorge, weil die Patentansprüche derart verklausuliert und spezifiziert sind, dass ein Schutz nur für genau die angegebene Kombination in der aufgeführten Abhängigkeit - wie sie wahrscheinlich nur so beim Blackboard-LMS vorkommt, besteht", so die Einschätzung von Manfred Postel, Geschäftsführer der Open Source-Initiative Campussource.
Die einzeln darin aufgeführten 44 Features allein seien nicht geschützt, sondern nur in der dargelegten festen Kombination. "Der Schutzumfang ist damit äußerst gering, was auch an den Bezügen der einzelnen Patentansprüche untereinander zu erkennen ist", so Postel, der früher als Patent-Ingenieur tätig war und den umfangreichen Patenttext im Detail analysiert hat.
Die Gültigkeit des Patents in Europa
Bisher hat das Patent in den USA, Australien, Neuseeland und Singapur Bestand, doch Blackboard hat praktisch weltweit Patentansprüche angemeldet, u.a. auch in der Europäischen Union. Die Anmeldung beim EU-Patentamt erfolgte im Jahr 2001, entschieden wurde über den Antrag noch nicht. "Für europäische Unternehmen besteht aktuell keine Gefahr, wegen Patentrechtsverletzung verklagt zu werden. Es sei denn ihre Software ist in den genannten vier Ländern in Anwendung. Dass das Software-Patent in Europa gewährt wird, ist äußerst unwahrscheinlich", sagt Rechtsanwalt Dr. Wolf Günther, von der Heidelberger Kanzlei Dr. Erben, der IT-Unternehmen im IP-Recht, insbesondere Patent-, Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht berät.
"Um in Europa ein Patent zu erwirken, muss eine Erfindung 1. neu und 2. technisch sein, im Sinne der Beeinflussung von physikalischen Gegebenheiten bzw. der Einwirkung auf Naturgesetze. Im europäischen Patentgesetz steht ausdrücklich, dass Software als solche nicht patentierfähig ist." Dennoch gibt es Software-Patente in Europa. Zumal solche, die weit verbreitete Basisfunktionalitäten umfassen. Siemens z.B. erhielt vom Europäischen Patentamt im Januar 2004 ein Schutzrecht auf den Austausch von Datenpaketen per Mobilfunknetz zwischen einem mobilen Client und einem Server. Einwirkung auf Naturgesetze?
"Die große juristische Frage ist, was unter 'Software als solcher' zu verstehen ist", so Günther. "Im Zuge der Diskussion über die europäische Softwarepatent-Richtlinie war es eine Zeit lang einfacher, Patente zu erhalten. Nachdem diese Richtlinie aber gescheitert ist, geht die Tendenz eindeutig wieder zu einer strikteren Handhabung des technischen Passus."
Negatives Signal für den Markt
Auch wenn von juristischer Seite vorerst Entwarnung gegeben werden kann, ist der Patentfall für den eLearning-Markt dennoch heikel. "Die Entwicklung auf dem US-amerikanischen Markt, wonach einem einzelnen Hersteller für Lernplattformen das Patent für die grundlegende Plattform-Technologie zugesprochen wurde, kann sich negativ auf die Marktentwicklung in diesem Segment auswirken und ist aus userer Sicht aufmerksam zu beobachten", so Kai Heddergott, Pressesprecher des deutschen eLearning-Verbandes D-ELAN.
Entscheidend werde das Verhalten der Akteure sein; wenn Blackboard seine Aktivitäten nunmehr auf Abmahnungen gegenüber den Konkurrenten fokussieren sollte, wäre das zu bedauern, so Heddergott. "Die Entscheidung des Patentamts ist zudem nur schwer nachvollziehbar - analog würde das beispielsweise bedeuten, dass BMW heute das Prinzip Verbrennungsmotor noch einmal patentiert bekommen könnte." Der D-ELAN wird im Dialog mit seinen Mitgliedern prüfen, welche Auswirkung die amerikanische Entwicklung auf den deutschen Markt hat.
"Als nationale Interessenvertretung der eLearning-Akteure steht der D-ELAN für eine möglichst freie Marktentwicklung fern jeder gegenstandsfremden Reglementierung oder Bevorzugung einzelner durch öffentliche Stellen", so Heddergott. Allerdings liege im aktuellen Sachverhalt auch eine gewisse Chance, Anforderungsstandards und vorauszusetzende Leistungsmerkmale von Lernplattformen nachprüfbar beschreiben zu können - im Sinne der Qualitätssicherung könnte sich hier letztendlich auch ein positiver Effekt einstellen.
Widerstand in den USA
Was die Gültigkeit des Patents in den USA angeht, sieht sich Blackboard mittlerweile einer breiten Widerstandsfront gegenüber. Vor allem in der Open Source-Community ist die Empörung groß. Zwar versicherte Blackboard-CEO Michael Chasen gegenüber dem Chronicle of Higher Education ausdrücklich, dass man nicht gegen Open Source-Entwicklungen vorgehen werde. In einem offenen Brief an Kunden betonte er außerdem, dass man mit dem Patent lediglich die eigenen Entwicklungen schützen will, das Patent nur spezifische Features und Funktionalitäten umfasse und nicht den Anspruch erhebt, eLearning oder Kursmanagement erfunden zu haben.
Über die Klage gegen den kanadischen Anbieter Desire2Learn heißt es: "Wir wollen von Desire2Learn Lizenzgebühren für die Nutzung unseres geistigen Eigentums. Das ist gängige Praxis. Auch Blackboard bezahlt solche Lizenzgebühren an zahlreiche Unternehmen. Das Patent und die Klage stellen keine dramatische Veränderung in der Branche dar, sondern sind ein fairer Weg, unsere Investitionen zu schützen."
Davon wenig beeindruckt, läuft die Open Source-Community weiter Sturm gegen das Patent und sammelt eifrig Beweise für seine Nichtigkeit mittels "Prior Art". Auf Wikipedia wurde eigens eine Seite zur "History of virtual learning environments" eingerichtet, auf der akribisch gesammelt wird, wann welche Technologie schon vor der Patentanmeldung durch Blackboard im Einsatz war.
Die Sakai Foundation, in der zahlreiche Universitäten weltweit gemeinsam eine Open Source-Lernplattform entwickeln, hat Juristen des Software Freedom Law Center (SFLC) beauftragt, das Patnt zu evaluieren. Auch eine Klage gegen Blackboard ist inzwischen anhängig. Die Portaschool of Atlanta wirft Blackboard darin unlauteren Wettbewerb und vorsätzliche Täuschung vor.
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