Preisgekrönt: Mathematik optisch begreifen
München/Garching, Oktober 2008 - (von Bettina Deininger) MatheVital, der Gewinner des Medida-Prix 2008, ist eine noch junge Initiative einer informellen Gruppe um Prof. Dr. Dr. Jürgen Richter-Gebert am Zentrum für Mathematik der TU München. Die Jury des Mediendidaktischen Hochschulpreises würdigte mit der Auszeichnung die hohe Interaktivität und die Vielseitigkeit der Einsatzmöglichkeiten dieses Projekts.
Die ersten Kursmaterialien auf der Plattform MatheVital ("Vital" steht für visual interactive tools for advanced learning) sind erst seit August 2007 online. Damals hatte Christoph Pöppe, Leiter der Reaktion Mathematik der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft, bei Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert angefragt, wie man seinen Kurs über das Buch "Indra's Pearls" zum Thema Mathematik Klein'scher Gruppen optisch veranschaulichen könne. Innerhalb weniger Wochen konnte Richter-Gebert die Materialien auf Grundlage des Autoren-Tools Cinderella erstellen.
Die java-basierte Visualisierungs- und Autorensoftware Cinderella wird seit 14 Jahren von Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrich Kortenkamp (PH Schwäbisch Gmünd) entwickelt. Gerade die seit zwei Jahren erhältliche Version 2.0 wurde aber selten auf dem Niveau genutzt, das die Entwickler ursprünglich beabsichtigt hatten.
Aus diesem willkommenen Anwendungsbeispiel für das Leistungsspektrum von Cinderella ging der Prototyp der technischen Plattform MatheVital hervor. Dort stehen derzeit vier weitere Kurse allen Interessierten zur freien Verfügung: die vorlesungsbegleitenden Kurse "Lineare Algebra I" und "Lineare Algebra II" sowie "Mathematik und Pflanzen" und "Mathematische Strukturen in der Musik", die sich an Kinder und ein breiteres Publikum wenden.
Das Cinderella-Logo mit den drei Kugeln versinnbildlicht die drei Einsatzszenarien der mathematischen Visualisierung: Geometrie, Physiksimulation und algorithmische Skriptsprache. Weitere Projekte in Planung für die Anwendung von Cinderella sind bei Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert "Materialien zur Vorlesung Analysis I" und "Materialien zur Vorlesung Diskrete Mathematik (Lehramt)".
Die herausragende Eigenschaft von MatheVital ist laut Prof. Dr. Dr. Richter-Gerbert die hohe Interaktivität, mithilfe derer "der Lernende einen echten Mehrwert aus dem Computer zieht. Er schaut keine Filme an, sondern kann hinter jeder Kursseite ein ganzes Universum an Möglichkeiten entdecken. In jedem Teilbereich sind Experimente enthalten." Jedes Anwendungsbeispiel enthält Bedienelemente, wie z.B. einen Schieberegler, die zur Interaktion auffordern.
Dieser Ansatz des explorativen Lernens ziele darauf, so Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert, "eine Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen Mensch und Lernmaterial herzustellen und so zur Identifikation beizutragen, durch die Aha-Erlebnisse bei der Anwendung entstehen."
MatheVital verzichtet zugunsten einer vielseitigen Kompatibilität (mit Windows, Mac OS X, Linux und anderen Unix-Betriebssystemen) auf eine eigenständige Lernumgebung, legt aber Wert auf eine ansprechende Gestaltung und die strukturelle Einheitlichkeit der Lernmodule.
Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert vergleicht das modulare Prinzip von MatheVital mit einem mathematischen Modellschrank: Jede Seite gleicht einem Exponat, das einen Gedanken oder ein Phänomen veranschaulicht. Bei MatheVital besteht jeder Kurs aus mehreren kleinen Einheiten zwischen zwei bis sieben Seiten, die in sich abgeschossen sind. Aufgrund ihres frei verfügbaren Quellcodes unter einer Creative-Commons-Lizenz stehen sie jedem zur Verfügung, der sie in themenverwandte Zusammenhänge eigener Kurse einsetzen und weiterentwickeln möchte.
Das Interesse und die Spannbreite der Nutzer der Kurse ist groß: Schüler, Dozenten, Musikliebhaber, Buchautoren arbeiten mit MatheVital. Kollegen aus anderen Disziplinen treten an Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert mit Visualisierungswünschen heran. "Im Grunde existiert die Community der visualisierenden Mathematik-Didaktiker schon seit Jahren, sie hat durch MatheVital jetzt einen neuen Schub erhalten."
Inhalte zu MatheVital wurden bislang von vier Personen erstellt, im weiteren technischen Umfeld von insgesamt zehn Personen allein auf Eigeninitiative betreut. Mit dem Preisgeld des Medida-Prix in Höhe von 50.000 Euro will Prof. Dr. Dr. Richter-Gebert deshalb nicht nur neue Kursmaterialien finanzieren, sondern auch die Community-Plattform ausbauen, z.B. durch die Möglichkeit, Fremdmaterialien einzustellen und fremdsprachige Übersetzungen zu erstellen.
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