Zukunftsvision

"Das Potenzial von Mobile Learning (2.0) ist gigantisch"

Berlin, Mai 2009 - "Mobile Learning 2.0 ist ein Kunstwort, das vielen Menschen aufstoßen wird aufgrund des inflationären Gebrauchs der 2.0-Endung." Diese Meinung vertritt Anja C. Wagner, bekannt als Autorin des eduFutureBlog 2.0, der sich mit Trends und Experimenten rund um moderne (e)Learning beschäftigt. Für CHECK.point eLearning hat sich Anja C. Wagner Gedanken über die Zukunft des mobilen Lernens gemacht.




"Für mich steht dieses 2.0 weniger für Versionierung, sondern als Erinnerung, die neuen sozio-technologischen Möglichkeiten anders zu denken. Nicht vom bestehenden System aus zu starten, sondern zuzulassen, die zukünftige Geschichte losgelöst von bestehenden Grenzen gedanklich zu entwickeln. An mögliche Problemfelder werden wir noch früh genug stoßen - im ersten Schritt gilt es zunächst, das Potenzial zu erkennen.

Und das Potenzial von Mobile Learning (2.0) ist gigantisch gross. Vielleicht werden wir eines Tages sowohl das 2.0 als auch das Mobile aus dem Begriff streichen, weil wir uns Lernen gar nicht mehr als anders als mobil und in vielfältigen, alltäglichen und sozialen Mustern vorstellen können. Mit anderen Worten: Wir sprechen vom Lernen der Zukunft.


Wie könnte dies ausschauen?

Hoffentlich anders als heutzutage. Weniger Contentvermittlung, weniger Führung - mehr Offenheit, mehr Individualisierung (nicht Personalisierung, weil darin immer bereits die Aufbereitung steckt). Idealerweise, wenn ich kurz träumen darf: Menschen verfügen über die Kompetenz, sich je nach ihren persönlichen Interessen und Notwendigkeiten selbstständig aus- und weiterzubilden. Ohne Vormund (ich weiss, was gut für Dich ist), ohne Vorherrschaft (ich möchte aber, dass du lernst, was ich gebrauchen kann), sondern jede einzelne Person entscheidet selbst, welche Interessen sie in diesem Moment verfolgen möchte.


Gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme eines Coaches, aber gelenkt von den eigenen Prämissen. Der Vorteil dieser - zugegeben derzeit utopisch anmutenden - Vision ist der: Die kollektive Intelligenz wird es richten und die gesellschaftlichen Notwendigkeiten besser in den Griff bekommen als die derzeit herrschenden Eliten. Davon bin ich überzeugt - lediglich die Rahmenbedingungen müssen noch angepasst werden.


Diese Ausführung als Background, was ich mir unter Mobile Learning 2.0 vorstellen kann. Es geht also nicht mehr um die optimale Aufbereitung von Inhalten für kleinere Displays. Bereits heute sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, sämtliche Inhalte für alle nur denkbaren Mobile Devices bereitzustellen: die erforderlichen Konzentrationsphasen möglichst eng bemessen, weil die so genannte "partielle Aufmerksamkeitsökonomie" mit vielen Störungen keine längere Einheiten verträgt und die Interaktion in der U-Bahn oder im Auto eher begrenzt einzuordnen ist. Aber das betrifft nur die Aufbereitung von Inhalten.


Spannend wird das mobile Thema erst dann, wenn die Menschen selbst als Akteure tätig werden und user generated Content generieren - sei es über Twitter, Videoblogs, mobile Content-Collection, Interaktion in verteilten Netzwerken oder sonstige pervasive Aktivitäten. Das ganze selbstverständlich mit allen technologischen Features angereichert (GPS, Internetanbindung, QR-fähige Kamera o.ä.) führt dies zu einer Selbstentfaltung an Kreativität, die dann wiederum entlang multipler Meta-Tags gefiltert und aggregiert werden kann - von jeder einzelnen Person je unterschiedlich.


Hier setzen die Personal Learning Environments an, die es den Menschen ermöglichen, für sich sinnvolle Workflows zu definieren, welche Inhalte in welchem Kontext aufgenommen, weiterverarbeitet und wieder veröffentlicht werden sollen. Dazu zählen kontextsensitive Informationen ebenso wie vielfältige mobile Schnittstellen und temporäre Selbstlernnetzwerke, die Menschen just-in-time zusammenbringen, nicht als externes Angebot, sondern als selbstgeneriertes Projekt.


Wie hier angedeutet: Angesichts der technologischen Durchdringung der Welt mit mobilen Endgeräten (ein wahrhaft globaler Siegeszug) ist das Potenzial von Mobile Learning 2.0 sehr hoch einzuschätzen: Es geht heute meines Erachtens primär darum, die Menschen vielfältig in Kontakt miteinander zu bringen bzw. sie zu ermächtigen, selbst ihre Netzwerke sich zu bilden. Insofern wird sich mit dieser Entwicklung alles verändern: die Lernkulturen, die Unternehmenskulturen, die Businessmodelle und die gesellschaftliche Kultur sowieso.


Und diese Entwicklung ist in meinen Augen nicht aufzuhalten - der Freiheitsdrang ist einfach eine unschlagbare Kraft. Menschen werden die neuen Technologien einfach nutzen und diverse Einsatzkonzepte ausprobieren, von denen sie sich persönlich einen Mehrwert erhoffen. Zunächst im Freizeitbereich, dann sukzessive in den beruflichen Kontext einfliessend.


Vielleicht schlagen manche LeserInnen jetzt die Hände über dem Kopf zusammen, weil sie sich gerade bequem eingerichtet haben. Es sei ihnen gegönnt - nur ist das Ende der geruhsamen Zeit eingeläutet.


Es liegt in der Natur der technologischen und innovativen Sache: Die Menschen möchten spielen (oh, ein neues Gadget), sich kreativ austauschen (schau, meine Urlaubsfotos) und nach Interessensschwerpunkten sozial verbinden (das nächste Mal, wenn ich in XYZ bin, können wir erst zusammen boulen gehen und anschließend suchen wir uns MitstreiterInnen zur Erkundung der ABC-Kultur in XYZ). Denn man darf eines nicht vergessen: Diese kreative Medienarbeit macht einfach Spaß - und dies unterscheidet solche Szenarien doch sehr radikal von den meisten Lernsettings ..."