"Viele, viele Luftblasen!"
Uwe Schmidt, Head of Knowledge Management bei der ATLAS Electronic GmbH, beschäftigt sich seit 1995 mit dem Thema Wissensmanagement. Der Wissensmanager des Jahres 2004 ist ein Verfechter von pragmatischen Ansätzen und ein Mann der klaren Worte. Auf der LEARNTEC wird er über seine Erfahrungen berichten. CHECKpoint eLearning hat nachgefragt.
Wie wird man Wissensmanager des Jahres?
Schmidt: Sie müssen im Umgang mit Wissenskapital ein ganzheitliches Konzept verfolgen und zeigen, dass Sie mit Wissenskapital ganz bewusst umgehen. Dazu gehört nicht nur - wie das viele machen - eine Technologie-Plattform oder ein Intranet, auf dem man rumsurfen kann und hoffentlich etwas Intelligentes an Wissen findet. Dazu gehört viel mehr. Es ist zu drei Viertel etwas ganz anderes: 1. Welche Inhalte sind eigentlich relevant, die wir im Unternehmen auch im Zusammenhang mit Kunden bearbeiten und managen müssen? 2. Wie sehen die Prozesse aus, wie wird mit dem Wissen im Hause umgegangen? Wo taucht es auf, wo muss man es konkret anfassen? Wo passieren Fehler oder gute Sachen? Wie erreicht man, dass Gegebenheiten auch für andere erfahrbar werden? 3. Die viel diskutierte Frage: Warum machen die Leute überhaupt mit? Wie machen sie mit? Der entscheidende Punkt hier heißt: Unternehmenskultur! Die braucht man, um den Wissensfluss überhaupt einigermaßen brauchbar hinzukriegen.
Wie haben Sie es geschafft, dass die Leute mitmachen? Wie haben Sie Ihre Kollegen motiviert, so dass das Wissen fließt?
Schmidt: Gar nicht. Jedenfalls nicht so, wie die Antwort erwartet wird. Wir haben keine Seminare gemacht und die Führungskräfte gestählt auf diesen Begriff. Die Devise muss heißen: Nutze das, was eh da ist und bringe es so zueinander, dass ein Mehrwert für die Kollegen entsteht! Bringe die Kollegen in ihren Arbeitsweisen so zueinander, dass sie mehr voneinander haben, dass sie ihr Wissen kommunizieren aus einem Automatismus heraus, der sich einfach aus den Situationen ergibt. Dazu gehört natürlich auch, dass man ihnen technische Mittel an die Hand gibt - die will ich ja gar nicht in Abrede stellen.
Viel wichtiger aber sind soziale Prozesse. Wie finden sie schneller zueinander? Wie finden sie Identifikation? Man muss die Leute in ihrer Seele packen. Man muss ihnen sagen: Ihr habt da eine tolle Sache, stellt das ins System und kommuniziert es an Kollegen! Das machen sie auch gerne, weil sie sich in ihrer Ehre gepackt fühlen. Sie wollen zeigen, dass sie wertig sind, dass sie etwas darzubringen haben. Wenn man das forciert, bestimmte inhaltliche Richtungen vorgibt und die Leute kitzelt, funktioniert es. Diese Stellschraube ist ein bisschen anders, als zu sagen: Ich setz jetzt wieder so ein Werkzeug ein, mache Coaching und Mentoring und dann funktioniert es. Das funktioniert leider so nicht.
Sie sind kein Freund von Technologie?
Schmidt: Ich werde die Banalität des technischen Tools in meinem Vortrag sehr wohl erwähnen. Seit 2000 macht man in Deutschland Wissensmanagement. Nach vier Jahren entdecke ich unter den Anbietern immer noch nichts, was mich im Wissensmanagement auf der Toolseite richtig nach vorne wirft. Wo richtig viel Mehrwert rauskommt. Es gibt bis heute kein SAP für Wissensmanagement. SAP hat bewiesen, dass man betriebswirtschaftliche Prozesse standardisiert mit einem Tool unterstützen kann. Wir haben es heute mit Wissen, Wissensflüssen und Unterstützung zu tun. Es gibt kein standardisiertes Tool, das mich auf ein bestimmtes Niveau bringt, um diese Wissensprozesse wirklich so, wie sie gedacht sind, wie man sie machen möchte, zu unterstützen.
Wie lange müssen Sie noch warten, bis es ein solches Tool gibt?
Schmidt: Zwei, drei Jahre. Die Boliden werden welche haben, aber daneben - viel interessanter - auch Kleine und Mittelständler. Gerade in Deutschland gibt es sehr schöne Entwicklungen. Was fehlt, ist der pragmatische Background. Sie haben kein Gespür von Inhalt, Prozess und Kultur. Genau wie SAP Kaufleute und Betriebswirtschaftler mit einbezogen hat, müssten sich die Anbieter Wissensmanager holen und deren Knowhow nutzen. Das Problem ist nur: Viele kann man nicht fragen. Es gibt kaum welche.
Dabei hat Wissensmanagement doch das Potenzial zum Massenmarkt?
Schmidt: Natürlich. Informationen und Daten haben wir massenweise. Was wir nicht wissen ist, wie diese Informationen zusammenhängen. Wissen ist bewertete Information. Was uns fehlt, ist ein Zugriff auf die Bewertung. Aber genau da spielt die Musik bei der Standardisierung von Tools. Die tollsten Suchmaschinen nutzen uns nichts, weil sie uns keine Zusammenhänge zeigen. Wer da Fuß fasst in Zukunft, ist gut. Der sorgt für schnellere Entscheidungen.
Vier Jahre Wissensmanagement und nichts ist passiert?
Schmidt: Jein. Das ist alles noch nicht gesettelt. Und in den Köpfen von Führungskräften ist das Thema weitestgehend nur chic. Man nimmt es in den Mund. Man steht offiziell dazu, bekleckert sich mit den Begriffen. Nur wenn sie ins Unternehmen reinschauen, hat ein Personalentwickler eine kleine Initiative laufen, einer in der Produktion macht etwas etc. Und der Geschäftsführer stellt sich draußen hin und sagt: wir sind die Mörder-Company mit Wissen. Viele, viele Luftblasen!
Die Führungskräfte sind noch nicht im Wissenszeitalter angekommen?
Schmidt: Wir haben in Deutschland eine Führungskrise. Viele haben davon, wie man ein Unternehmen modern managed, z.B. wissensorientiert, überhaupt keine Ahnung. Ein Manager müsste normalerweise ganz hart zur Räson gebracht werden, wenn er Mitarbeiter rausschmeißt. Er müsste gefragt werden, ob er sich leisten kann, dieses Humankapital gehen zu lassen. Aktionäre müssten ihm sagen: Du schmeißt gerade Goldbarren auf die Straße! Heute werden massenweise Mitarbeiter entlassen, ohne überhaupt hinzukucken, zu was man sie gebraucht hat. Eigentlich kann sich das kein Unternehmen leisten. Angesichts des demographischen Wandels werden viele so in den Ruin gefahren. Es wird so etwas passieren, wie heute mit PISA. Alles vorhersehbar. Und jetzt gibt es den großen Aufschrei. Wir werden im Bereich Unternehmen etwas Ähnliches erleben.
Als Wissensmanager des Jahres muss man auch den wirtschaftlichen Erfolg nachweisen. Wie sieht Ihre Wissensbilanz aus?
Schmidt: Ich bin mit Ziffern vorsichtig. Es gibt bis heute kein standardisiertes, allgemeines Verständnis, wie sich Wissen bilanzieren lässt. Natürlich kann man sehen, dass Prozesse beschleunigt wurden. Wir sparen Zeit, haben effizientere Prozesse und eine höhere Effektivität, was die Leistung angeht. Die Transparenz im Transfer ist ein Riesen-Erfolg. Das sind Dinge, die man spürbar machen kann, und die man in Zukunft auch in Zahlen und in Euros abbilden wird.
Wissensmanagement ist also messbar?
Schmidt: Es gibt Prozess-Kennzahlen. Man kann untersuchen, wie sich diese Zahlen verändern, wenn man mit Wissensmanagement arbeitet. Schneller, langsamer ist messbar. Auch ob gesetzte Ziele erreicht werden. Eine Wissensbilanz muss hinten Euros stehen haben. Ich rede von Wissenskapital, nicht von Humankapital. Wissenskapital ist das Strukturieren von Humankapital. Wenn Leute in Prozessen arbeiten, haben sie Wirkung in der Struktur des Prozesses. Und den Prozess kann ich an dieser Ecke wieder anfassen, d.h. ich kann ihre Auswirkungen messen.
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