Nachholbedarf

Auswahlverfahren auch für untere Führungsebenen

Meerbusch, November 2011 - (von Prem Lata Gupta) Auch die Führungsqualitäten von Top-Managern geraten zunehmend auf den Prüfstand. Dabei handelt es sich um Kompetenzen, die Unternehmen nicht in Eigenregie ermitteln. Globaler Dienstleister hierfür ist DDI: Zum Portfolio dieses Anbieters gehören unter anderem Auswahl- und Entwicklungsmaßnahmen. Elmar Kronz, Vice President Europe erklärt, warum sich das Augenmerk inzwischen auf alle Führungsebenen richtet und welche Vorteile elektronische Assessments haben. Zu seinen Erfahrungen gehört außerdem, dass die USA in diesem Bereich nicht nur Europa, sondern auch Asien einen Schritt voraus sind.




Inwiefern unterscheiden sich die Bedürfnisse des deutschen Marktes von den Bedürfnissen in anderen Ländern?

Elmar Kronz: Viele wissen nicht, dass es in Deutschland bereits vor langer Zeit Assessments gab - schon während des Ersten Weltkrieges wurden umfangreiche Assessments genutzt, um Offiziere auszuwählen. Andererseits waren die USA speziell in den vergangenen 30 Jahren so etwas wie Vorreiter in diesem Maßnahmenbereich. Dies betrifft die Breite der Anwendung, aber auch die Breite der Methoden. Was Letzteres angeht, sind die Deutschen vorsichtiger. Sie präferieren, und das gilt auch für viele asiatische Länder, interviewbasierte Ansätze. Doch dieses Instrument greift häufig zu kurz, denn hierbei wird zum größten Teil Verhalten in der Vergangenheit abgefragt. Wenn sich die Anforderungen in der Rolle aber ändern oder jemand für eine neue Rolle ausgewählt werden soll, bieten Interviews nur begrenzte Informationen.

Was ist die Alternative?

Elmar Kronz: Zum Beispiel Simulationen: Hierüber kann man beurteilen, wie sich ein Kandidat in ungewohnten oder sich verändernden Umgebungen verhält. Fairerweise muss ich sagen, dass wir hierzu auch in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend mehr Anfragen erhalten haben.

Wie genau werden bei uns eigentlich Qualitäten und Potenziale von Führungskräften beurteilt?

Elmar Kronz: Die meisten Unternehmen haben hier einen deutlichen Nachholbedarf. Es wird nicht gründlich genug hinterfragt, ob jemand für eine leitende Position geeignet ist oder ob er sich für eine Beförderung eignet. Dabei kann eine Evaluation sehr klar aufzeigen, ob jemand tatsächlich auf ein Profil passt oder ob jemand Entwicklungsbereiche aufweist. Kompetenzen lassen sich gezielt entwickeln. Doch in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern besteht eine gewisse Scheu, hochkarätige Manager einer derartigen "Prüfung" auszusetzen.

Was sind die Folgen?

Elmar Kronz: Im schlimmsten Fall kann der Kandidat die ihm zugedachte Position nicht ausfüllen und damit einhergehende Aufgaben nicht erfolgreich bewältigen. Das Risiko ist noch höher, wenn jemand von außen in das Unternehmen kommt. Über diese Person, ihr Wissen und ihre Leistung weiß man viel zu wenig. Externe Kandidaten scheitern 30 Prozent häufiger.

Wie reagieren denn Top-Manager, wenn Sie in einem Assessment beobachtet und beurteilt werden. Sie haben, als bei einem IT-Unternehmen zwei Unternehmensbereiche zusammengeführt wurden, ein Assessment für die obersten drei Führungsebenen umgesetzt. Bereits vorab war klar, dass künftig nicht alle denselben Job haben würden wie bisher...

Elmar Kronz: Transparenz ist wichtig, sonst verfehlt solch ein Projekt das Ziel. Wichtig ist auch, dass man hinterher mit allen Teilnehmern spricht. Einschließlich derer, die nun nicht mehr in den höchsten Positionen sitzen. Im genannten Projekt haben Teilnehmer ein ausführliches Feedback erhalten plus Vorschläge, welche Kompetenzen weiterentwickeln werden sollten.

Aber gerne macht das doch kein Top-Manager?

Elmar Kronz: In einigen europäischen Ländern ist es ein wenig mühsam zu vermitteln, warum das erforderlich ist. Dazu gehört auch Deutschland. Amerikaner gehen damit unbefangener um, dort hat dieses Sich-Messen, Sich-Vergleichen, und zwar regelmäßig, eine ganz andere Tradition. Es ist selbstverständlich. Selbst sehr hochkarätige Mitarbeiter dort sehen ein Assessment nicht als ehrenrührig an.

Sie haben nicht nur die oberste Führungsebene im Blick. Bald schon bringen Sie in Deutschland ein elektronisches Tool auf den Markt, das auf wesentlich niedrigeren Ebenen ansetzt. Es heißt "Manager Ready" und wurde in den USA bereits als HR-Produkt des Jahres ausgezeichnet. Für wen ist dieses eAssessment gedacht?

Elmar Kronz: Für Mitarbeiter, die zum ersten Mal ein Team oder eine Abteilung leiten sollen. Sie durchlaufen eine dreieinhalbstündige Simulation, bei der verschiedene Situationen eines typischen Arbeitsalltages der Zielposition bewältigt werden. Sie planen, lösen Probleme, beantworten E-Mails, coachen Mitarbeiter. Das Besondere dabei ist, dass sie frei agieren und nicht aus einem vorgegebenen Katalog mit Handlungsoptionen wählen. Ausgefeilte Algorithmen plus Bewertungen und Kommentare von geschulten Assessoren ermöglichen am Ende einen detaillierten Bericht mit einer Analyse zu Stärken und Entwicklungsbereichen. Dazu gehören ebenfalls Hinweise zu den zu entwickelnden Fähigkeiten. Der Vorteil bei diesem elektronischen und trotzdem genauen Assessment ist, dass der Preis bei lediglich 350 bis 450 Euro pro Teilnehmer liegt.

Das ist erschwinglich, wollen Sie sich auf diese Weise einen neuen Markt erschließen?

Elmar Kronz: Wir wollen finanzielle Barrieren vor allem auf dieser Ebene überwinden, denn mehrtägige Assessments als Präsenzveranstaltung sind teuer. Sie waren in der Vergangenheit zum Beispiel High Potentials vorbehalten. Dabei lohnt es sich, Führungskräfte von Anfang an durch derartige Maßnahmen auszuwählen. Enorm wichtig ist auch das mittlere Management, das im Grunde das Rückgrat vieler Unternehmen darstellt. Bereits jetzt zeichnet sich für die kommenden Jahre ab, dass es in diesem Segment einen Führungskräftemangel geben wird. Auch hierfür werden wir ein stärker online gestütztes Assessment entwickeln.

Glauben Sie denn, dass für "Manager Ready" auch in Deutschland ein Bedarf besteht?

Elmar Kronz: Wir legen bei unseren elektronisch gestützten Lösungen großen Wert darauf, dass sie in verschiedenen Sprachen verfügbar sind. Wir arbeiten derzeit an der deutschen Version: Dennoch gab es bereits Anfragen von deutschen Unternehmen, ob sie nicht bereits jetzt die englische Variante für ihre Auswahlprozesse nutzen können.

Was zeichnet denn die ideale Führungskraft der Zukunft aus? Ewige Bereitschaft zu lernen, vielleicht sogar Demut?

Elmar Kronz: Neben einigen anderen Kriterien geht dies in die richtige Richtung: Neugier, Offenheit, Bereitschaft zu lernen und sich Feedback einzuholen. Eine Haltung, die ausdrückt: Was kann ich besser machen? Wenn jemand defensiv wird, weil er sich einem Assessment stellen soll, wenn er dagegen argumentiert statt zuzuhören, dann halte ich das fast für ein Knockout-Kriterium.