Zukunftsstrategie

"Was kostet uns das, wenn wir es nicht machen?"

Ludwigshafen, Dezember 2011 - (von Prem Lata Gupta) Einen verantwortlichen Umgang mit Ressourcen, die das System Arbeit ausmachen, fordert Professorin Jutta Rump. Das hört sich gut an, aber es stellt sich sofort die Frage, wie sich dies konkret umsetzen lässt. Wichtige Hinweise gibt die von ihr verfasste Publikation "Strategie für die Zukunft - Lebensphasenorientierte Personalpolitik 2.0". Sie erläutert nicht nur ein verändertes Denkmodell für Führungskräfte und Personalentwickler, sondern beinhaltet auch viele praxisorientierte Ratschläge plus Best Practises. Mehr noch: Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) und ihr Team haben außerdem eine Software entwickelt, die Unternehmen bei diesem Ansatz unterstützt.




Sie wollen weg von der Jugendfixiertheit. Brechen Sie mal eine Lanze für die Älteren: Was können diese Mitarbeiter besser als die jüngeren?

Jutta Rump: In jungen Jahren lässt sich sehr gut sehr schnell eine unglaubliche Menge Wissen verarbeiten. Aber was Ältere auszeichnet, ist ihr Erfahrungsschatz und ihre Fähigkeit Komplexität wahrzunehmen. Sie können mit dem Unbekannten umgehen, gedanklich Brücken bauen. Der Transfer gelingt besser, weil sie mit einem Problem schon einmal konfrontiert waren und darauf basierend gezielt nach einer Lösung suchen.

Sie plädieren für eine lebensphasen-orientierte Personalpolitik, beziehen die Jobsituation des Partners, Hobbys, Hausbau, Scheidung, sogar Schulden mit ein. Und sie sprechen vom so genannten Lebensstau: Was meinen Sie damit?

Jutta Rump: Lebensstau kann heißen, dass jemand in jungen Jahren beruflich durchstartet, zeitgleich eine Familie gründet und vielleicht auch noch ein Haus baut. Aber bei inzwischen geschätzt 45 Jahren Arbeitszeit macht es überhaupt keinen Sinn, dass in den ersten 20 Jahren alles passieren soll und dass ein Arbeitnehmer die nächsten 25 Jahre vor sich hin dümpelt.

Weil es unzufrieden macht oder Menschen sich nicht gefordert fühlen...?

Jutta Rump: Es ist auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht, also vom Standpunkt des Unternehmens aus, nicht gut. Wer seine Mitarbeiter ab einem gewissen Alter auf dem absteigenden Ast wähnt, lässt wichtige Ressourcen ungenutzt. Und das wiederum schadet der Wettbewerbsfähigkeit: Die setzt voraus, dass jeder einzelne einen aktuellen Wissensstand auf hohem Niveau hat, und zwar lebenslänglich. Der Lebensstau kann übrigens auch für sehr leistungsfähige Mitarbeiter eine hohe Belastung bedeuten. Hier gilt es zeitlich zu entzerren oder auch Entgegenkommen zu zeigen. Es zahlt sich aus, weil dadurch Motivation und Loyalität gestärkt werden.

Wie hat man sich das konkret vorzustellen?

Jutta Rump: Wenn jemand kleine Kinder hat, könnte man ihm Weiterbildungsangebote machen, die räumlich nicht so weit entfernt sind, sodass er abends wieder zuhause ist. Wer eine Entsendung ins Ausland nicht möchte, weil der Partner eventuell gerade befördert worden ist, sollte nicht für immer aus der Verlosung genommen werden. Den sollten Vorgesetzte auf der Agenda behalten und vielleicht nach einigen Jahren erneut ansprechen.

Heißt dies, mein Arbeitgeber sollte sich intensiv für mein Privatleben interessieren? Wie soll er überhaupt von diesen Details erfahren?

Jutta Rump: Das ist gar nicht so aufwändig: Solche Informationen lassen sich zum Beispiel im Mitarbeitergespräch oder Im Jahresgespräch einholen. Es geht eben um die Frage, wie das Unternehmen jemanden unterstützen kann, damit dieser die Balance nicht verliert, damit er unterschiedliche Lebens- und Berufsphasen unter einen Hut bekommt.

Das setzt doch eine Kultur der Wertschätzung voraus, aber auch Beweglichkeit beim Arbeitgeber...

Jutta Rump: Absolut. Man könnte dies in Zielvereinbarungen festhalten nach dem Motto: -Wir machen das, Du machst das-œ. Für ebenso wichtig halte ich bei diesem Sich-aufeinander-zu-bewegen, dass Potenziale sichtbar gemacht werden. Bei Nachfrage könnte sich herausstellen, dass jemand ehrenamtlich sehr aktiv ist und dort ein wahres Organisationstalent. Aber in seinem aktuellen Job wird diese Begabung gar nicht abgefragt. Wenn ein Vorgesetzter von solchen Fähigkeit erfährt und sie in die künftigen Aufgabenstellungen mit einbezieht, liegen solche Ressourcen nicht mehr brach.

Puren Altruismus halten Sie für unrealistisch, auch das streichen Sie heraus. Trotzdem lässt sich vermuten, dass solch eine Herangehensweise viel mehr Faktoren als bisher noch üblich berücksichtigt. Können Unternehmen sich das leisten?

Jutta Rump: Es geht nicht nach dem Wünsch-Dir-was-Prinzip. Das Unternehmen muss etwas davon haben, einen Mehrwert, der sich rechnen lässt. Einer unserer Pilotbetriebe, nämlich Boehringer, hat sich auf Unterstützung in einer bestimmten Lebenssituation fokussiert - und das funktioniert sehr gut. Ich gebe zu, dass das Konzept der lebensphasen-orientierten Personalpolitik eine sehr individualisierte Betrachtung des einzelnen verlangt. Und dann wird es komplex, weil man in eine dritte Ebene gelangt. Also Lebensphasen, berufliche Entwicklung und unterstützende oder begleitende Maßnahmen aufeinander abstimmt.

Dabei hilft die von Ihnen entwickelte Software?

Jutta Rump: Ja, das ist eine Plattform, in der sehr viel an Situationen und Vorschlägen bereits von uns hinterlegt ist. De Anwender braucht sich also nicht die Matrix selber bauen. Sondern er kann auf dieser Struktur aufsetzen, sie verändern oder auch abspecken, wenn er nicht alles auf einmal will.

Dennoch ist der Ansatz sehr innovativ: Sind die Unternehmen denn schon so weit?

Jutta Rump: Ich glaube, das Umdenken hat schon begonnen. Ein Indikator ist doch, dass nach der letzten Wirtschaftskrise nicht reflexhaft und im großen Maßstab entlassen wurde, sondern die Phase von vielen Unternehmen genutzt wurde, um ihre Mitarbeiter weiterzubilden.

Als Betriebswirtin zielen Sie auf Zahlen ab: Was ist denn das stärkste Argument für Ihr Denkmodell?

Jutta Rump: Es geht um einige wenige Faktoren. Da ist der demografische Wandel und die Frage, wie das Unternehmen auch in einigen Jahren noch genügend qualifizierte Mitarbeiter findet. Es sollte sich überlegen, wie es sich im Kampf um die Talente von Wettbewerbern abgrenzt. Und es sollte die Kosten-Nutzen-Relation betrachtet werden. Das heißt zu hinterfragen: "Was kostet uns das, wenn wir es nicht machen?" Wenn sich ein Unternehmen mit diesen Fragestellungen konfrontiert, sagt es auch nicht mehr "Nein".