Mobile lectures

"Kreide-und-Schwamm-Pädagogik nicht mehr adäquat"

Bremen, Januar 2005 - (von Anja Janus) Mobile lectures sind an der Universität Bremen voll im Einsatz. Nicht nur die Lehrveranstaltungen werden digital aufgezeichnet, sondern gleichzeitig ist das gesamte Begleitmaterial abrufbar. Ein Konzept, das sich ideal für Massenveranstaltungen eignet, wie sein Entwickler Prof. Manfred B. Wischnewsky, Leiter des Zentrums für Multimedia in der Lehre (ZMML) an der Universität Bremen, im Interview mit CHECKpoint eLearning ausführt.




Herr Professor Wischnewsky, in Bremen werden Lehrver-anstaltungen als mobile lectures angeboten. Was genau ist darunter zu verstehen?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Lehrveranstaltungen werden digital aufgezeichnet und nach 24 bis 48 Stunden können die Studenten das Video und die gesamten Begleitmaterialien dazu aus dem Netz abrufen. Wenn die Studenten in den Materialien auf den Titel eines Vorlesungsabschnittes oder die Vorschau der Folie klicken, bekommen sie sofort den dazugehörigen Videoabschnitt der Veranstaltung und umgekehrt werden beim Abspielen des Videos die dazugehörigen Präsentationsfolien und Materialien eingeblendet.

Was ist der Vorteil dieser digitalisierten Lehrveranstaltungen?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Wir haben die mobile lectures vor allem deshalb entwickelt, um Studiengänge mit sehr vielen Studenten entsprechend zu unterstützen. In Massenlehrveranstaltungen ist eine individuelle Betreuung auf klassische Weise nur schwer möglich.

Außerdem können wir so sehr gut mit anderen Universitäten zusammenarbeiten. Derzeit haben wir Kooperationsverträge mit 37 Universitäten. Seit zwei Jahren haben wir gemeinsame Lehrveranstaltungen mit drei russischen Universitäten. Die Studenten finden diese Form der Kooperation, die es auf andere Weise ja nicht geben würde, extrem bereichernd und abwechslungsreich.

Ist die Nachfrage groß?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Ja, wir haben natürlich Schwerpunkte. In der Medizin, meinem eigenen Forschungsbereich, haben wir eine ganze Reihe von wichtigen Veranstaltungen im letzten Jahr aufgezeichnet. Zum Teil haben wir zwischen 20.000 und 30.000 Zugriffe auf eine einzige Lehrveranstaltung pro Monat und das von 2000 verschiedenen Rechnern. Das heißt, es greifen auch andere Leute darauf zu.

Sie haben für die Uni daraus ein Business-Modell entwickelt und vermarkten die Idee weiter?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Dies ist eine extrem kostengünstige Präsentation von qualitativ hochwertigen Veranstaltungen und das lässt sich natürlich hervorragend auch für andere Aufgaben, beispielsweise Kongresse oder im Bereich der Weiterbildung, einsetzen.
Unser Partner, die Firma Bremen Briteline GmbH, an der die Universität beteiligt ist, hat die mobile lectures als eigenen Geschäftsbereich. Wir als Universität haben uns auf den Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung konzentriert.

Verraten Sie, was es kosten würde, eine Veranstaltung von Ihnen aufzeichnen zu lassen?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Das hängt natürlich von mehreren Faktoren ab. Eine zweistündige Veranstaltung würde zwischen 2.000 und 4.000 Euro kosten. Einschließlich der Bereitstellung der gesamten Materialien auf Servern von uns. Das ist ja auch ein wichtiger Punkt.

Und die Studenten nutzen die Technik auch?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Technik und Technikkenntnisse sind für jeden Studenten heute absolut notwendig. Unser Ziel ist, dass jeder Student sein Notebook hat. Bisher haben bei uns ungefähr 6.000 von insgesamt 20.000 Studenten Notebooks. Und die Zahl steigt so rasant, dass wir mit Sicherheit im nächsten Jahr die 10.000er Grenze überschreiten. Das sind natürlich wichtige Voraussetzungen für die Einführung mobiler Medien.


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Wie ist die Akzeptanz bei Ihren Kollegen?


Prof. Manfred B. Wischnewsky:
Die Akzeptanz ist sehr gut. Das ZMML ist für die Schulung der Kollegen verantwortlich und unsere Kurse sind im Prinzip ausgebucht.
Veranstaltungen, die im Netz stehen, müssen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Klassische Kreide-und-Schwamm-Pädagogik ist eben nicht mehr adäquat. Die Materialien müssen schon elektronisch aufgearbeitet sein, was ein gewisser Aufwand für die Kollegen ist.
Wissen und Information just-in-time zur Verfügbarkeit zu stellen müssen natürlich auch viele Kollegen noch lernen.

Gibt es einen messbaren finanziellen Benefit?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Better quality for less money, auf Neudeutsch gesagt. Wir sind kontinuierlich gezwungen bessere Qualität bei immer geringeren Ressourcen zu liefern. Nur durch den Einsatz elektronischer Medien können wir gewisse Qualitätsstandards erreichen, die man eigentlich nicht mehr unterschreiten kann.

Wohin führt der Weg?

Prof. Manfred B. Wischnewsky: Mobile lectures sind nur ein Baustein von einem Gesamtbild. Es geht darum zu allen klassischen Bausteinen jeweils ein elektronisches Pendant zu schaffen. Das Pendant zu Vorlesungen sind mobile lectures, zu Vorlesungsskripten sind es die eBooks oder eScripts, die nicht einfach nur Word-Dokumente sind, sondern jederzeit nach Themen zusammenstellbare interaktive Dokumente.

Für uns ist entscheidend, den Arbeitsplatz eines zukünftigen Akademikers, der geprägt ist durch internationales, kooperatives und interdisziplinäres Arbeiten, in der Universität abzubilden. Das ist mit diesen neuen Lernszenarien und Techniken sehr gut möglich.