"MOOCs werden erst für betriebliche Weiterbildung entdeckt"
Saarbrücken, April 2014 - OpenCourseWorld ist ein Angebot der IMC AG für offene, kostenfreie Online-Kurse. Das Unternehmen bietet damit zum einen Privatpersonen die Möglichkeit sich kostenfrei und selbstorganisiert weiterzubilden und so nützliche Zusatzqualifikationen zu erwerben. Zum anderen eröffnet die Plattform zusätzlich auch Institutionen, wie Hochschulen, Forschungseinrichtungen, selbstständigen Coaches oder Unternehmen die kostenfreie Möglichkeit, gemeinsam mit der IMC AG Kurse auf OpenCourseWorld anzubieten. CHECK.point eLearning sprach mit Dr. Volker Zimmermann über die Potenziale von Corporate MOOCs.
Welche MOOCs - aus dem breiten akademischen Angebot - eignen sich Ihrer Meinung nach für die betriebliche Weiterbildung und welche weniger?
Dr. Volker Zimmermann: Die Teilnehmer von MOOCs für die betriebliche Weiterbildung lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Zunächst einmal diejenigen, die für ihre berufliche Karriere eine Zusatzqualifikation erwerben wollen. Diese Teilnehmer nehmen meist am kompletten Kurs teil, absolvieren Tests und möchten nach Bestehen des Kurses ein Zertifikat als Nachweis ihrer Qualifikation. Das Committment, den Kurs komplett durchzuführen, ist bei dieser Zielgruppe relativ hoch.
Zum zweiten die Teilnehmer, die für sich ein Wissensdefizit identifiziert haben und am reinen Fachwissen interessiert sind. Ihnen geht es nicht um den Nachweis und nicht um das Zertifikat. Sie agieren im Kursverlauf selektiv und sind unregelmäßig im Kursverlauf dabei. Sie absolvieren die Tests nicht, folgen aber den Lektionen und Video-Lectures.
Zum Dritten haben wir die Teilnehmer, die sich intensiv informieren wollen. Der Kurs bietet ihnen einen umfassenden Überblick, teilweise besser, als wenn sie selbst eine Literaturrecherche durchführen würden. Sie sind aber nicht notwendigerweise am Lernen interessiert, sondern an der verwendeten Literatur und den Meinungen. Man könnte diese Teilnehmer auch als "Kurstouristen" bezeichnen.
Folgt man dieser Einteilung der Zielgruppe – Zusatzqualifizierung, Wissenserwerb und Nutzung als Informationsquelle – so sind prinzipiell alle Themen interessant. Allerdings sind die meisten heute angebotenen Kurse auf MOOC Plattformen von Akademikern für die akademische Lehre gemacht. Sie gehen teilweise viel zu tief, v.a. für die Zielgruppe der Personen, die eher am Wissenserwerb und der Informationsquelle interessiert sind. Und das sind in der beruflichen Praxis die meisten.
Meist sind die Kurse für die berufliche Qualifizierung auch viel zu lange. Sie laufen teilweise 12 oder 16 Wochen. In der beruflichen Praxis wären aber zwei bis vier Wochen völlig ausreichend, sonst steigt die Drop-Out-Quote – also die Zahl der Abbrecher – zu stark. In OpenCourseWorld von IMC gehen wir deshalb immer mehr zu kleineren Kursen über.
Thematisch sind in der beruflichen Praxis die Grundlagenkurse vielleicht weniger relevent, hier geht es mehr um vertiefende Fachthemen.
Nach welchen Kriterien beurteilen Sie eine Eignung?
Dr. Volker Zimmermann: Die Masse der Teilnehmer ist allenfalls ein Kriterium, ob das Thema aktuell ist. Aber kein Kriterium für die Qualität des Kurses. Auch zeigt sich, dass die Populärität eines Referenten nicht notwendigerweise ein Eignungskriterium für die inhaltliche Qualität ist. Beide Aspekte können aber stark motivationsfördernd sein, am Kurs selbst auch teilzunehmen. Denn es gibt einem mehr das Gefühl, seine Zeit für den richtigen Kurs investiert zu haben. Die inhaltliche Qualität lässt sich im Prozess der Registrierung anhand des Curriculums sehr gut für einen selbst beurteilen.
Auch bieten die heutigen MOOC Kurse zu Beginn in den Einführungsmodulen meist sehr ausführliche Informationen über den Lernablauf, das Lerndesign uvm. Zudem werden in Facebook Kurspages eröffnet, in denen die Teilnehmer sich auch zur Qualität der Inhalte austauschen. Da die MOOC Kurse meist (noch) kostenfrei sind, kann man sich anmelden und sehen, ob die Qualität für einen passt. Generell ist davon auszugehen, dass durch MOOC Kurse das inhaltliche Qualitätsniveau steigt. Die Referenten und Macher des MOOC stehen unter einem hohen Qualitätsdruck, denn die Teilnehmer haben viele Möglichkeiten, bei fehlender Qualität dies auszudrücken – über die Foren, über die sozialen Medien, über den Abbruch des Kurses etc. Die Inhalte werden zudem transparent auch für andere Dozenten im gleichen Thema.
Welchen Stellenwert haben MOOCs Ihrer Ansicht nach aktuell in der betrieblichen Weiterbildung und welchen Stellenwert können sie erreichen und in welchem Zeitrahmen?
Dr. Volker Zimmermann: MOOCs werden gerade erst für die betriebliche Weiterbildung entdeckt. Aber gerade hier liegt das Potenzial. Deshalb haben wir OpenCourseWorld als Plattform für Corporate MOOCs gestartet. Unser Ansatz ist, die speziellen Aspekte, die in der Weiterbildung nötig sind, zu berücksichtigen. Gerade in der Weiterbildung will nicht jeder ein Zertifikat erwerben.
Viele haben den reinen Wissenserwerb für sich oder nur die systematische Informationsrecherche als persönliches Ziel. Diese Teilnehmer wollen dann nicht jeden Tag mit Mails erinnert werden, dass der nächsten Meilenstein ansteht oder dass sie sich sputen wollen, wenn sie noch das Zerfikat erwerben wollen. Sie wollen nicht wochenlang Modul für Modul freigeschaltet bekommen, diese Teilnehmer wollen schneller oder nur punktuell an Kursinhalten partizipieren. Der Selbstlernmodus nach freien Stücken und zeitlichen Möglichkeiten steht hier viel mehr im Vordergrund.
In Deutschland gibt es pro Jahr über 30 Mio. Kursteilnehmer. Im Schnitt werden 1,5 Kurse pro Jahr von Teilnehmern in der Weiterbildung (beruflich als auch privat) belegt, d.h. wir haben knapp 20 Mio. Menschen, die an Weiterbildungsmaßnahmen und Kursen teilnehmen. Demgegenüber stehen zwei Mio. Studierende. Der Markt der Weiterbildung ist für MOOC größer, zudem ist man es auch hier gewohnt, für gute Weiterbildung zu bezahlen. Wir sehen hier das größere Potential und konzentrieren uns deshalb auf diesen Markt. Dieser wird sich in den nächsten zwei Jahren stark entwickeln. Trainingsorganisationen müssen sich auf das disruptive Geschäftsmodell, das mit MOOCs verbunden ist, schnellstmöglich einstellen. Schon heute hat OpenCourseWorld in dem Segment der beruflichen Weiterbildung mit aktuell sechs Kursen über 10.000 Teilnehmer. Ende des Jahres 2014 werden wir 15 bis 20 Kurse anbieten.
Ist es vorstellbar, dass MOOCs künftig ein Bestandteil unternehmenseigener Weiterbildungskataloge sein werden? Also dass z.B. Universitäten kostenlose MOOCs zur Verfügung stellen und Unternehmen ihre Mitarbeiter damit kostenfrei fortbilden?
Dr. Volker Zimmermann: Ja, das ist ja teilweise heute schon der Fall. Es gibt Unternehmen, die die Teilnahme an unserem kostenlosen "Leadership" MOOC als Eingangsvoraussetzung für ein persönliches Führungskräfte-Coaching einsetzen. Nur wer auch das Interesse zeigt, selbst an dem Kurs eigene Zeit abends zu investieren, kommt auch in das Coaching-Programm des Unternehmens. Das zeigt das Committment des Mitarbeiters, umgekehrt gibt das Unternehmen das Committment, dass jeder, der den MOOC Kurs auf OpenCourseWorld als Grundlagenschulung genutzt hat, auch die Teilnahme am persönlichen Coaching Programm bekommt. Ich denke, das ist ein innovativer Ansatz.
Halten Sie es für möglich, dass deutschsprachige MOOCs einen Verbreitungsgrad erzielen, der die Bezeichnung "Massiv" rechtfertigt? Oder müsste man dafür nach einem anderen Namen suchen?
Dr. Volker Zimmermann: Die Beschränkung auf die deutsche Sprache ist eine klare Einschränkung. Selbst bei den MOOC Kursen, die 100.000 Teilnehmer und mehr erreicht haben, kommen letztlich nur wenige Prozent aus Deutschland. Die meisten Teilnehmer in den englischsprachigen MOOC der Top Universitäten kommen entweder aus USA oder aus Indien, China oder Pakistan. Mit der deutschen Sprache können wir das nicht erreichen. Wir selbst werden mehr und mehr neue Kurse in englischer Sprache produzieren. Gleichwohl lernt es sich in der Muttersprache besser, deswegen werden wir auch deutschsprachige Kurse beibehalten.
Teilnehmerzahlen von 1.000 bis 2.000 Teilnehmern pro Kursdurchlauf sind dann schon eine gute Zahl und immer noch deutlich mehr als 10 oder 20 in einem Präsenzkurs. Nichts desto trotz ist das M bei MOOC nicht das Primärziel. Ich glaube, die Offenheit ist das Hauptkriterien und das Geschäftsmodell, dass man den Kurs erst mit erfolgreichem Abschluss bezahlt. Man kann in den Kurs einsteigen, man kann seine Zeit investieren, aber wenn man einen Nachweis haben will, dann sollte man die Leistung der Macher und des Dozenten auch vergüten.
Dieser Ansatz wird die Weiterbildungslandschaft in Deutschland verändern. Warum sollte man für einen Kurs 1.000 EUR im Voraus bezahlen, wenn man noch gar nicht weiß, ob der Kurs passt? Und was bekommt man dann geboten? Einen Referenten, der einen oder zwei Tage lang Vorträge hält. In MOOCs wird inzwischen mehr Interaktivität geboten, als im Klassenraum. Man erhält vielfach bessere Qualität, der Austausch mit anderen Kursteilnehmern ist möglich, vielfach bilden sich auch lokale Lernteams, die sich treffen. Also die Zeiten, in denen die Klassenraumkurse die bessere Motivation und Qualität geboten haben, sind in der Weiterbildung demnächst vorbei.
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