Durchbruch für autonomes Fahren bis 2030 erwartet
Berlin, März 2016 - Autofahrer, die ihren Wagen per Smartphone aus der Tiefgarage rufen, einsteigen und sich entspannt zurücklehnen, während der Wagen lenkt, bremst und Gas gibt: Dieses Szenario könnte bereits in wenigen Jahren alltäglich sein. Das zeigt eine repräsentative Befragung von 100 Geschäftsführern und Vorständen aus dem Automobilsektor, die der Digitalverband Bitkom jüngst präsentierte. Demnach geht jedes zweite Unternehmen (48 Prozent) davon aus, dass sich selbstfahrende Autos bereits in 15 Jahren in der Breite durchgesetzt haben werden. Zwei Prozent denken sogar, das wird schneller der Fall sein.
15 Prozent erwarten den Durchbruch für das autonome Fahren in 20 Jahren. 29 Prozent schätzen, es dauert 25 Jahre oder länger. Nur 6 Prozent sind der Meinung, dass sich autonomes Fahren nie in der Breite durchsetzen wird. "Wir stehen an einem historischen Punkt in der Automobilgeschichte. Die Vision vom vernetzten und autonomen Fahren, die vor einigen Jahren noch utopisch anmutete, ist greifbar nah und wird die Mobilität revolutionieren", sagte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks. "Das selbstfahrende Auto wird helfen, die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich zu reduzieren, Staus zu vermeiden, die Umwelt zu schonen und den Fahrer zu entlasten."
Laut einer Bitkom-Umfrage ist bereits jetzt jeder dritte Deutsche aufgeschlossen gegenüber selbstfahrenden Autos. Die technologische Entwicklung ist ebenfalls weit fortgeschritten. "Die großen Kfz-Hersteller und mehrere Internetkonzerne forschen derzeit zum autonomen Fahren oder entwickeln Prototypen selbstfahrender Autos. Und schon jetzt werden viele Neuwagen serienmäßig mit Assistenzsystemen wie etwa Brems- oder Spurhalteassistenten ausgeliefert", so Dirks. Allerdings hinke die Politik der technologischen Entwicklung hinterher. "Es müssen noch zahlreiche offene Fragen rund um die Zulässigkeit, den Datenschutz, die Haftung und die Versicherung geklärt werden."
Insgesamt zeigt die Befragung, dass die Digitalisierung das Autofahren von Grund auf verändern und neue Formen der Mobilität hervorbringen wird. Die deutsche Automobilbranche steht diesem Wandel mit großer Mehrheit positiv und selbstbewusst gegenüber. Dabei sehen die Befragten aber auch eine Reihe von Innovationshemmnissen.
Die Ergebnisse der Studie im Einzelnen:
Das Auto wird im Zuge der Digitalisierung technisch mit dem Smartphone verschmelzen. Dieser Aussage stimmen 92 Prozent der Befragten zu. Die Vernetzung mit dem Smartphone erlaubt es zum Beispiel, Türen aus der Ferne zu verriegeln oder Informationen zum Tankstand per App abzurufen. 91 Prozent meinen zudem, dass Autos Teil des digitalen Lebensgefühls werden. "Das Auto ist nicht mehr nur ein Transport- und Fortbewegungsmittel, es wird zum mobilen Rechenzentrum, das viele Aufgaben für uns übernimmt", sagte Dirks.
Das Auto der Zukunft ist eingebunden in intelligente Verkehrsnetze. Innerhalb dieser Netze kommuniziert es mit anderen Autos und der Infrastruktur. Auf diese Weise können Verkehrsflüsse effizienter gestaltet, Staus und Unfälle vermieden werden. So wird ein Auto beispielsweise innerhalb von Millisekunden benachrichtigt, wenn ein vorausfahrender Wagen einem anderen aufgefahren ist, so dass es automatisch bremsen kann. 86 Prozent der Befragten sind entsprechend der Ansicht, dass es in zehn Jahren dank vernetzter Sicherheitssysteme deutlich weniger Verkehrsunfälle geben wird.
Ebenfalls 87 Prozent meinen, dass für Neufahrzeuge viele sicherheitsrelevante Funktionen, die auf vernetzten Systemen beruhen, gesetzlich verpflichtend sein werden. Ein Beispiel dafür ist das geplante E-Call-System in der EU. Ab 2018 sollen alle Neufahrzeuge mit einem Notrufsystem ausgerüstet werden. Sensoren im Wagen erkennen einen Unfall und melden Informationen wie den genauen Standort automatisch an eine Notrufzentrale. Ziel ist es, schneller an den Unfallort zu kommen und damit Leben zu retten.
Voraussetzung für das Funktionieren intelligenter Verkehrsnetze ist, dass das Fahrzeug Daten sendet, beispielsweise zu seinem Standort oder seiner Geschwindigkeit. Laut der Umfrage sind 85 Prozent der Befragten für eine gesetzliche Verpflichtung zur Bereitstellung von Fahrzeugdaten zur intelligenten Verkehrslenkung. Dabei wollen 55 Prozent diese Verpflichtung nur für anonymisierte Daten, 30 Prozent generell für alle Verkehrsdaten.
Nur 15 Prozent sind grundsätzlich gegen eine solche gesetzliche Verpflichtung. "Intelligente Verkehrsnetze sind der Schlüssel zur Bewältigung des Verkehrsaufkommens der Zukunft und zur Reduzierung von Unfällen", so Dirks. Deshalb sei es wichtig, eine offene Diskussion darüber zu führen, welche Daten für diese Zwecke in welcher Form erhoben und verarbeitet werden können und wie sie geschützt werden müssen.
Im Zuge des Wandels hin zum vernetzten und autonomen Fahren verändern sich auch die Kriterien, die Verbraucher in zehn Jahren, also im Jahr 2025, beim Autokauf anlegen. Jeder der Befragten (100 Prozent) ist der Meinung, dass der Internetzugang als Kaufkriterium wichtiger wird. 96 Prozent sagen, dass Verbraucher künftig verstärkt darauf achten, dass die Benutzeroberfläche im Cockpit mit den gängigen Smartphone-Betriebssystemen kompatibel ist.
93 Prozent denken, dass ein vernetztes Entertainmentsystem als Kaufkriterium bedeutender wird. Wichtiger werden außerdem Fahrassistenzsysteme wie die Einparkhilfe (88 Prozent), Umwelteigenschaften (85 Prozent), neue Dienste, etwa für Verkehrshinweise auf der Grundlage von Car-to-Car-Kommunikation (84 Prozent), alternative Antriebe zum Verbrennungsmotor (80 Prozent) und ins Fahrzeug integrierte Navigationsdienste (77 Prozent).
Eine überwältigende Mehrheit der befragten Unternehmen steht dem derzeitigen Wandel positiv gegenüber: 97 Prozent betrachten die Digitalisierung als Chance, nur ein verschwindend geringer Teil als Risiko (3 Prozent). Zugleich sind sich die Befragten der damit einhergehenden veränderten Wettbewerbssituation bewusst: Jeder Zweite (54 Prozent) sieht große Unternehmen der Digitalbranche als "sehr starke" oder "eher starke" Konkurrenz für disruptive Neuentwicklungen im Automobilsektor.
Das größte Hemmnis ist aus Sicht der Experten die derzeit noch fehlende Regulierung von Haftungsfragen zum automatisierten bzw. autonomen Fahren. 83 Prozent sagen, dass dadurch Innovationen verhindert werden. "Die Haftung ist in der Tat einer der brisantesten Diskussionspunkte rund um das autonome Fahren", so Dirks. So sei beispielsweise unklar, ob womöglich ein Software-Zulieferer für einen Unfall rechtlich in die Pflicht genommen werden kann. "Hier muss schnell Klarheit geschaffen werden."
82 Prozent der Befragten finden zudem, dass die öffentliche Hand zu wenig in die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur investiert. 65 Prozent sehen sich selbst in der Pflicht und meinen, dass die deutschen Autobauer zu stark an ihren traditionellen Geschäftsmodellen hängen. 60 Prozent sagen, es fehlen in den Unternehmen Spezialisten mit IT-Kenntnissen. 52 Prozent sind der Ansicht, dass das deutsche Verkehrsrecht Innovationen verhindert und 44 Prozent glauben, dass Autofahrer gegenüber Innovationen im Automobilbereich skeptisch sind.
Ein Großteil der befragten Unternehmen ist trotz dieser Hemmnisse optimistisch, was die künftige internationale Stellung der deutschen Automobilindustrie angeht. 64 Prozent gehen davon aus, dass die deutsche Automobilbranche in zehn Jahren im internationalen Vergleich beim Thema Digitalisierung in der Spitzengruppe liegen wird. 22 Prozent glauben sogar, dass sie weltweit führend sein wird. Nur 9 Prozent sehen die deutsche Automobilbranche beim Thema Digitalisierung künftig lediglich im Mittelfeld, 6 Prozent erwarten, dass sie unterdurchschnittlich oder abgeschlagen sein wird.
"Die Digitalisierung wird die Mobilität und damit die Autobranche stark verändern", so Dirks‘ Fazit. Für den Automobilstandort Deutschland sei das eine Chance und zugleich eine Herausforderung. "Die Automobilindustrie ist ein Fundament der deutschen Wirtschaft und des deutschen Wohlstands. Sie gehört bereits heute zu den Treibern der digitalen Mobilitätsrevolution und hat beste Aussichten, erfolgreicher Vorreiter der digitalen Transformation zu sein." Damit das gelinge, müssten Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Hand in Hand arbeiten und offene Fragen des autonomen und vernetzten Fahrens rund um Zulässigkeit, Haftung, Datenschutz und Versicherung schnellstmöglich klären.
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