Perspektive

Qualifikationsbedarf an Berührungspunkten mit den Kunden

Berlin, Juli 2006 - PD Dr. Konrad Berger vom Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik hält im Rahmen des 3. Fernausbildungskongresses in Hamburg einen Workshop, der sich mit Praxisprojekten des eLearning in KMU befasst. Für CHECKpoint eLearning gab Dr. Berger im Vorfeld der Veranstaltung eine profunde Einschätzung der Entwicklung von eLearning im Mittelstand ab.




Sie sprechen von einem aktuell zu beobachtenden Paradigmenwechsel bzgl. des eLearning-Marktes für KMU - von der Angebots- zur Bedarfsorientierung.

PD Dr. Konrad Berger: Ja, und das mit vollem Recht. Der beobachtete Paradigmenwechsel von der Angebots- zur Bedarfsorientierung im Bereich der beruflichen Fort- und Weiterbildung geht zunächst von den Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft aus. Dabei sehen wir nicht, dass dieser Wechsel in einem ursächlichen Zusammenhang mit eLearning steht. Die vermittelte Beziehung stellt sich allerdings her, wenn wir den Wandel unternehmensinterner Prozesse und Organisationsstrukturen genauer betrachten.


Es waren zuerst die großen Unternehmen, die ihre Prozesse und Strukturen unter dem Stichwort Lean Production verschlankten. Nun betrifft es zunehmend kleine, mittelständische Unternehmen. Allerdings ist dieser Begriff sehr unscharf. Er bezeichnet, legen wir nach EU-Definition allein die Mitarbeiterzahlen zugrunde, gleichermaßen handwerksähnliche, Klein- sowie Betriebe mit bis zu 250 Mitarbeitern. Das macht einen Teil der begrifflichen Unschärfe aus.


Kontur gewinnt der Paradigmenwechsel, wenn wir unternehmensinterne Veränderungen in Verbindung mit den Produkten, die hergestellt und vertrieben werden, betrachten. Dann wird deutlich, dass der Wechsel nicht nur und nicht in erster Linie von Firmen mit innovativen Produkten ausgeht. Er geht vor allem von den mittelständischen Betrieben aus, die für die Erstellung ihrer Produkte einen vergleichsweise hohen technisch-technologischen, organisatorischen und logistischen Aufwand betreiben müssen.


Hinzu kommt, dass diese Unternehmen, häufig als Zulieferer für große Wirtschaftszweige wie etwa die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrt oder die Gesundheitswirtschaft, sehr kompromisslosen Vorgaben und konsequenten Kontrollen unterworfen sind. Das bedeutet jedoch, dass der Wertschöpfungsaufwand weiter wächst. Dagegen nehmen die Möglichkeiten, ihn am Markt mit Gewinn zu realisieren, nicht notwendig zu.


Der Schere mit ihren scharfen Schneiden können solche Unternehmen jedoch nur entgehen, wenn sie den Kundenanforderungen konsequent entsprechen, aber parallel dazu und mit noch unnachgiebigerer Konsequenz die für den Wertschöpfungsaufwand notwendigen internen Prozesse und Strukturen immer effizienter gestalten.


Für die erfolgreiche Bewältigung des fortgesetzten unternehmensinternen Wandels ist die Anzahl der Mitarbeiter allein nicht entscheidend. Der erfolgskritische Faktor liegt darin, dass die Mitarbeiter ständig über die dafür erforderlichen Qualifikationen gepaart mit Motivation und Engagement verfügen.


Je kleiner ein Unternehmen ist, besonders dort, wo der Inhaber oder Geschäftsführer im Blaumann selbst tätig ist, desto geringer sind die Ressourcen zur dauernden Aufrechterhaltung der Einheit von Qualifikation, Motivation und Engagement.


Diese Firmen bedürfen daher nach unseren Erfahrungen besonderer externer Hilfe und Zuwendung, um die notwenigen Kräfte und Möglichkeiten zu mobilisieren. Gefordert sind dafür nicht nur die Bildungsanbieter mit technischen Schwerpunkten. Gefragt sind vor allem die Bildungsdienstleister mit ihren personellen und technischen Möglichkeiten, die seit Hartz III andere Geschäftsfelder anstreben.


Gesucht ist ferner eLearning. Alles das aber nur dann, und nur dann, wenn es sich konsequent am Bedarf an Qualifikationen, Motivation und Engagement ausrichtet, den die Unternehmen zur Bewältigung interner Veränderungsprozesse selbst hervor bringen.


Das ist nach unserer festen Überzeugung einer der Antriebe des Paradigmenwechsels zur bedarfsgerechten betrieblichen Qualifizierung in Verbindung mit eLearning in Deutschland.


Wo sehen Sie den größten eLearning-Bedarf im Mittelstand? Wie haben Sie diesen ermittelt bzw. auf welche Projekte stützen Sie sich dabei?


PD Dr. Konrad Berger:
Die Abteilung Mitarbeiterqualifizierung/ Arbeitssystemgestaltung, die ich im Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik ( www.ipk.fraunhofer.de ) in Berlin leite, hat die Aufgabe, Mitarbeiter vor allem in kleinen, mittelständischen Unternehmen zu qualifizieren. Alle Projekte richten sich ausschließlich am Qualifikationsbedarf der Kunden aus.


Kunden sind Unternehmen, die einen vergleichsweise hohen Aufwand bei der Wertschöpfung zu realisieren haben. Es sind mehrheitlich jedoch Unternehmen mit den für alle neuen Bundesländer typischen Problemen und betrieblichen Strukturen. Für das Land Brandenburg bedeutet das, dass etwa 90 Prozent aller Firmen weniger als zwanzig Beschäftigte haben. Es überwiegen also die Klein- und Kleinstbetriebe mit ihren sehr begrenzten Ressourcen.


Der Qualifikationsbedarf, der in diesen Unternehmen in Verbindung mit den charakterisierten betrieblichen Veränderungsprozessen entsteht, umfasst das gesamte breite Spektrum. Dazu gehört die Qualifizierung von Maschinenbedienern an CNC-Arbeitsplätzen ebenso wie das Coaching von Meistern, die als untere Führungsebene flacher betrieblicher Hierarchien an der Schnittstelle zur Fertigung tätig sind, und die Fortbildung der Mitglieder von Geschäftsführungen.


Aus dieser Perspektive kennen wir inhaltliche Schwerpunkte des betriebsspezifischen Qualifikationsbedarfs, die hauptsächlich im technisch-technologischen, im arbeitsorganisatorischen und betriebwirtschaftlichen Bereich liegen. Hinzu kommen Inhalte, die auf die Vermeidung und Verminderung der Störanfälligkeit des Wertschöpfungsprozesses gerichtet sind: Personal-, Maschinenengpässe, Behinderungen durch nicht anforderungsgerechtes Material und ungenügende Werkzeuge.


Ein weiterer Schwerpunkt ist der Bedarf an Schlüsselqualifikationen. Er tritt besonders bei der Gestaltung von Kundenbeziehungen und an innerbetrieblichen Schnittstellen auf.


Ferner ist zu beachten, dass die auch für betriebliche Qualifizierung erforderlichen Freiheitsgrade für den einzelnen Mitarbeiter, abhängig von seiner Stellung im Unternehmen und seiner Nähe zur direkten Fertigung, sehr unterschiedlich sind.


Projekte ( www.tqua.de ), die im Auftrag des Landes Brandenburg bearbeitet werden, haben unter anderem die Verbindung von traditionellen mit neuen Formen betrieblicher Qualifizierung, die Identifizierung von Lernzeiten sowie die Erprobung und Einführung betrieblicher Lernzeitmodelle zum Gegenstand.


Unter den Projekten hat der Modellversuch zum Aufbau der Virtuellen Akademie für öffentliche Verwaltung, Arbeit und Wirtschaft Brandenburg einen besonderen Stellwert.


Die Virtuelle Akademie Brandenburg ( www.via-bb.de ) ist eine externe Unterstützung vor allem für kleine, mittelständische Unternehmen. Sie stellt ihnen kommerziell Ressourcen zur Verfügung, damit sie ständig über die für die Gestaltung interner Veränderungsprozesse erforderlichen Mitarbeiterqualifikationen verfügen und sie bedarfsgerecht weiter entwickeln können.


Dazu bietet die Akademie zunächst in den für die Unternehmen besonders bedeutsamen Themenfeldern Technik, Betriebswirtschaft, Methoden-, Sozialkompetenz und Informationstechnologie eLearning-Produkte an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Produkte nur bedingt geeignet sind, den Qualifikationsbedarf von Betrieben zu kompensieren.


Zu den personellen Infrastrukturen gehören vor allem die ViA-Lernberater. Sie übernehmen die Aufgabe, Unternehmen, öffentliche Verwaltungen aktiv anzusprechen und sie bei der bedarfsgerechten Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu beraten, energisch zu unterstützen.


ViA-Regionalpartner sind Organisationen wie Wirtschaftsfördergesellschaften, Kammern und Verbände, aber auch Bildungsdienstleister, die sich in den Regionen des Landes besonders stark für die Wirtschaftsentwicklung engagieren. Diese Partner bieten den organisationalen Zielgruppen sowie Bürgern einen regionalen Zugang zum gesamten Dienstleistungsspektrum der Akademie an.
Diesen Aktivitäten liegt die uralte Erkenntnis zugrunde, von der eLearning keines Falls ausgenommen werden darf, dass jegliche Form des Lernens und der Qualifizierung stets zuerst ein sozialer Prozess ist.


Wie beurteilen Sie die Akzeptanz von eLearning in KMU? Haben schwierige Einstiegserfahrungen auch hier die Märkte beeinflusst und beeinträchtigt - wie in den Anfangsjahren in den Großunternehmen?


PD Dr. Konrad Berger:
Wir gehen davon aus, dass sich die Akzeptanzprobleme von eLearning in kleinen, mittelständischen Unternehmen nicht grundsätzlich von jenen unterscheiden, die wir in den Anfangsjahren in Großunternehmen kennen gelernt haben. Das hängt mit der Sensibilität und Störanfälligkeit des Wertschöpfungsprozesses in allen Betrieben zusammen. Die Angst, dass dieser Prozess, der die Existenz bestimmt, aus dem Ruder laufen könnte, hat jedes Unternehmen. Wegen ihrer begrenzteren Ressourcen ist diese Angst aber bei Mittelständlern stärker ausgeprägt und die Akzeptanzprobleme von eLearning sind es eventuell auch.


Allerdings sehen wir eine ganze Reihe von wichtigen Faktoren und begleitenden Bedingungen, die dazu führen können, dass wir die Akzeptanzprobleme bereits im Vorfeld erheblich minimieren oder ganz beseitigen.


Der wichtigste Faktor besteht darin, dass wir wirklich Produkte virtuellen Lernens entwickeln und anbieten, die möglichst genau mit dem wirklichen Qualifizierungsbedarf der Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen übereinstimmen. Davon sind wir gegenwärtig, so weit wir den eLearning-Markt überblicken, noch sehr weit entfernt.

Wie sieht die künftige eLearning-Einheit für KMU aus?


PD Dr. Konrad Berger: Ich denke, wenn Sie mit Ihrer Frage auf die betriebliche Qualifizierung in Verbindung mit virtuellem Lernen zielen, dass dann heute noch niemand mit letzter Sicherheit Auskunft geben kann. Die Antwort ist ausdrücklich meine sehr persönliche, etwas visionäre Auffassung.


Sehr sicher bin ich mir, dass diese Einheit kaum noch Ähnlichkeit mit den derzeitigen eLearning-Produkten haben wird. Dass wir solche Produkte auch über die Virtuelle Akademie anbieten, heißt zum einen, dass ihnen in Betrieben, zum Beispiel bei der Erstausbildung eine bestimmte Bedeutung zukommen könnte. Es bedeutet jedoch zum anderen auch, und, das ist die Kehrseite der Medaille, dass es bislang nur ganz wenige Entwickler modularisierter Produkte gibt. Weiterhin bezweifle ich, dass es überhaupt eine eLearning-Einheit im Sinne der Standardisierung ist.


Nun zur Vision: Überzeugt bin ich vielmehr davon, dass es sich im Hinblick auf den Qualifizierungsbedarf in den Unternehmen, vor allem denen des Mittelstandes, um einzelne eLearning-Sequenzen handelt. Auf dem Weg dorthin ist die zu beobachtende Modularisierung, die eben angesprochen wurde, ein ganz wichtiger Schritt. Aber das Ende des Weges ist sie noch nicht.


Diese Sequenzen werden, ausgehend davon, dass der Qualifizierungsbedarf im einzelnen Unternehmen in Abhängigkeit von den Produkten, von den dafür notwendigen Prozessen und Strukturen einzigartig ist, elementare, eng umgrenzte und leicht austauschbare Inhalte präsentieren.


Schließlich werden diese Sequenzen, in Kombination mit heute bereits bekannten Elementen so genannten informellen Lernens wie Blogs, Wikis, Communities inhaltlich, didaktisch lose in verschiedenen Arrangements für die virtuelle betriebliche Qualifizierung verbunden sein.