15 Jahre LEARNTEC: Unzeitgemäße Betrachtungen
Karlsruhe/Berlin, Februar 2007 - (von Alexander Ross) Der einst aus Deutschland vertriebene, so brillante wie inzwischen steinalte Harvard-Soziologe Albert O. Hirschman benannte 1970 in seinem Buch "Exit, Voice and Loyalty" diese drei Grundformen menschlicher Reaktion auf den Niedergang in Firmen, Organisationen und Staaten. Die drei Worte stehen für das Mitmachen bis man nicht mehr mag, den Protest in der Hoffnung auf eine Änderung, und wenn die nicht kommt, die Abstimmung mit den Füßen, das Abhauen.
Eines der stärksten Indizien für seine Theorie lieferte der überraschende Untergang der DDR kurz nach dem Jubiläum zu ihrem 40. Geburtstag.
Nun weiß ich nicht, ob Albert Hirschman die LEARNTEC kennt. Auch nicht, ob die LEARNTEC-Macher ihn gelesen haben. Doch auf der diesjährigen LEARNTEC und ihrem 15. Geburtstag kam man schon ins Nachdenken. Denn mitmachen tun viele, einige sogar von Anfang an. Meckern hat inzwischen Tradition, und so mancher weiß nicht mehr genau, warum er bleibt. Abgehauen sind hingegen schon Urgesteine und bekannte Firmen wie HQ und M.I.T, ohne dass es ihrem Geschäft erkennbar geschadet hätte.
Wie zu hören ist, wurde bei M.I.T. - immerhin seit der ersten LEARNTEC dabei - die Absage für 2007 kommentarlos zur Kenntnis genommen. Löste es kein ungutes Gefühl aus? Wer nicht mehr fragt, warum gute Kunden wegbleiben, der fürchtet entweder den Grund, oder es interessiert ihn nicht. Vielleicht hülfe die Erinnerung an das "Neue Deutschland", in dem es damals über die Prag-Flüchtlinge hieß: "Wir weinen ihnen keine Träne nach."
Doch genau das sollte man, sonst weint man irgendwann den vergangenen Zeiten nach. Stattdessen wieder die Erfolgsmeldungen aus dem Oberkommando der Lehrmacht, so pünktlich und verlässlich wie einst die Ernteberichte in der Prawda. Dabei ist die Veranstaltung für das Thema eLearning für manche inzwischen so aussagekräftig wie ein Globus von Baden-Württemberg für die ganze Welt. Die Musik im Markt spielt anderswo, und in den Augen nicht weniger verkam der Kongress in den letzten Jahren zum Recyclinghof, mitunter gar zur geistigen Sondermülldeponie abgenudelter Powerpoint-Folien über Lern-, Lehr- oder auch nur Leertechnologien. Man kann nur hoffen, dass der Weg einer Besserung wie in diesem Jahr konsequent und ohne Rückfälle beschritten wird, sonst kann man es genauso gut auch sein lassen.
Doch es gab auch viel Gutes, in der DDR wie auch auf der LEARNTEC 2007. Es gab sogar spürbare, angenehme Verbesserungen. So wurde man nicht wie im letzten Jahr sogar auf dem Weg zum Klo von jungen Damen mit Lesegeräten verfolgt, die damit zum x-ten Mal die Eintrittskarte scannen wollten. Und erst die neue Messe: sie ist bis zur Fertigstellung der Stuttgarter Messe sicher eine der schönsten in Deutschland, und die Kapazität wie die Kosten schreien geradezu nach Auslastung.
Passten die alten Hallen noch zum konzeptionell gepflegten Pfalzbarock, vermittelt die neue große Halle mit moderner Einrichtung, mit viel Ausstellungsplatz und viel freier Fläche ein luftiges Raumgefühl, das zum Verweilen einlädt in ruhiger Atmosphäre, nur ab und zu unterbrochen von einer lauten Durchsage wie im Fußballstadion. Ein Genius loci? Dafür hat der Ort noch keinen besonderen Geist, und ein besonderer Geist scheint hier auch noch nicht seinen Ort gefunden zu haben. Dazu braucht es mehr als einen neuen, eleganten Locus.
Die Verpackung ist sexy, der Inhalt noch nicht. Vielleicht auch deshalb gemahnt die LEARNTEC an ihrem neuen Ort an eine Orchidee, die zu voller Pracht aufblüht. Bis die Herrlichkeit der Welt vergeht. Denn bei aller derzeitigen bunten Pracht sollte die LEARNTEC aufpassen, dass ihr nicht das Schicksal der CeBIT blüht - jener anderen Messe, die nach jahrelanger Loyalty und ansteigender Voice inzwischen unter ernsthaftem Exit leidet.
Vollends skurril wird die immer wieder aufgeworfene Frage der Zukunft der LEARNTEC aber, wenn man das diesjährige Trendthema betrachtet: Ageing Workforce. Ein wichtiges Thema, gewiss. Allerdings ist es nicht immer nur wertvolles Wissen, dass man retten will, sondern manchmal auch nur den alten Trott, eigene Macht und Einfluss. Dabei ist ein Generationswechsel immer auch eine große Chance. Werden hier nicht die richtigen Wege rechtzeitig und konsequent beschritten, dann reicht es irgendwann nicht mehr, Honecker durch Krenz zu ersetzen. Es ist zu wünschen, dass es diesmal und hier anders kommt. Vielleicht halten die LEARNTEC in ihrem Lauf ja nur Ochs und Esel auf?
Alexander Ross, M.Sc.,
schreibt als Wirtschaftsjournalist für bekannte Printmedien und SPIEGEL Online. Für Unternehmen und Institutionen im Bildungsmarkt war er als Kommunikationsdirektor und Marketingleiter tätig. Auf der LEARNTEC war er die letzten fünf Jahre als Kongressmoderator im Einsatz, darüber hinaus für den imc-Kongress, die Campus Innovation, den eLearning-Tag der CeBIT, die Online Educa und andere. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählen unter anderem "Corporate E-Learning" (Gabler, 2002) und die "Marktstudie E-Learning" (2003) mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
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