Digitale Medien als Potenzial der Hochschulentwicklung
Saarbrücken, November 2007 - (von Bettina Deininger) Die digitalen Medien und eLearning sieht Dr. Christoph Igel als zukunftsweisende Bestandteile der Universität des 21. Jahrhunderts. CHECK.point eLearning sprach mit dem Leiter der Virtuellen Saar Universität (VISU) an der Universität des Saarlandes über Schwerpunkte in der Zielsetzung und aktuelle Projekte.
ELearning hat der Universität des Saarlandes einen großen Stellenwert. Wodurch wurde diese Dynamik ausgelöst?
Dr. Christoph Igel: In Wissenschaft, Wirtschaft und Politik haben sich in den zurückliegenden Jahren in der Bildungsregion Saarland zahlreiche Menschen für die Vision der Virtualisierung der Hochschule eingesetzt und verdient gemacht. Die Vision wurde nicht nur geträumt, sie wurde gelebt, diskutiert, kritisiert, erfahrbar gemacht. Zu nennen sind hier die Förderung durch die Landesregierung und die Festschreibung der Virtualisierung der saarländischen Hochschulen in der Innovationsstrategie des Ministerpräsidenten.
Bereits 1999 entschied das Universitätspräsidium, den Aufbau der Virtuellen Saar Universität (VISU) unter Leitung des damaligen Vizepräsidenten Professor Dr. Reinhard Daugs voranzubringen und 2002 ein eigenes Competence Center zu errichten. Von großer Bedeutung waren das Förderprogramm "Neue Medien und Bildung" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie weitere Programme der Europäischen Kommission. Allein durch das BMBF-Programm konnten wir rund sieben Mio. Euro in zwölf Drittmittelprojekten einwerben, wodurch eine einzigartige Dynamik in der Bildungsregion - also deutlich über unsere Universität hinaus - entstand.
Welche besonderen Chancen sehen Sie für Lehrende und Lernende an der VISU?
Dr. Christoph Igel: Selbstredend zunächst die gängigen Mehrwerte: Für die Lernenden die orts- und zeitunabhängige Nutzung digitaler Lehr-, Lern- und Prüfungsmaterialien. Hinzu kommt die Multimedialisierung von Content und dessen Erfahrbarkeit durch Animationen, Simulationen oder virtuelle Modelle. Und schließlich ist es die interaktive Nutzung adaptiv-intelligenter Systeme in Lehr-Lern-Umgebungen, die sich zunehmend individualisieren.
Für die Lehrenden werden innovative und zukunftsweisende Möglichkeiten für die Hochschuldidaktik geschaffen, ein Thema, das nach Jahren der Ruhe an deutschen Universitäten nun allmählich wieder in der Wahrnehmung der Dozenten ankommt.
Die VISU setzt hierbei noch weitere Akzente: Wir entwickeln derzeit mit Lehrenden und Lernenden gemeinsam intelligente Online-Assessment-Verfahren, die die Passfähigkeit von Studieninteressierten und Studienfächern fokussieren. Oder auch eLearning-Module zum Thema Consulting, um hierdurch den Studierenden aller Fachrichtungen die Möglichkeit zu bieten, sich für diesen Arbeitsmarkt bereits während des Studiums und ergänzend zum gewählten Studienfach zu qualifizieren.
Das Ziel der VISU ist es nicht, etwa eine Kopie der Fernuniversität Hagen aufzubauen, sondern die Hochschulentwicklung an der Universität des Saarlandes durch neue, digitale Medien zu unterstützen und mit eigenen Initiativen und Projekten zu stimulieren.
Kann man schon von einem selbstverständlichen Einsatz von eLearning an der Universität des Saarlandes sprechen?
Dr. Christoph Igel: Nein, davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. 2006 haben wir eine Analyse zum Einsatz der neuen Medien an der Universität des Saarlandes durchgeführt: 30 Prozent der Professorinnen und Professoren bieten digitale Lehr-, Lern- und Prüfungsmaterialien via Internet oder auf Datenträger an. Im Übrigen: Wenngleich die Saarbrücker Universität einen Profilschwerpunkt Informatik hat, zeigt die Studie auch, dass die Nutzung der digitalen Medien sich über alle Fakultäten erstreckt - also auch über die oft zu unrecht gescholtenen Philosophischen Fakultäten und deren Fächer.
Wir arbeiten daran, den Prozentsatz sukzessive zu steigern. Ein Meilenstein hierbei war in diesem Jahr die Einführung des Learning-Management-Systems CLIX Campus. Obwohl die Schulungs- und Einführungskurse erst zum Ende des Sommersemesters begonnen haben, wurde das System im Oktober von mehr als 1200 Studierenden und über 500 Dozierenden genutzt. Ich denke, wir sind also auf einem guten Weg, eLearning an unserer Universität zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Vor welchen Herausforderungen steht eine Universität, wenn sie sich dem Thema eLearning öffnet?
Dr. Christoph Igel:
Auf den ersten Blick könnten Sie Bücher zu dieser Frage schreiben. Im Kern gibt es für mich nach knapp zehn Jahren in diesem dynamischen und hochinteressanten Bereich jedoch nur eine Antwort: Hochschulentwicklung im Spannungsfeld von Mensch, Technologie und Organisation. Wenn Sie so wollen, ein systemischer Ansatz, aber nach meinem Dafürhalten der einzig Zukunftsweisende.
Die Competence Centren, die Universitäten, die Kolleginnen und Kollegen, die bis heute Learning-Management im Kontext von eLearning, eTeaching und eEducation überlegt haben, verbindet eine Gemeinsamkeit: Sie haben die digitalen Medien als Potenzial für die Hochschulentwicklung verstanden, als Element zur Gestaltung der Universität des 21. Jahrhunderts.
Welche mittel- und langfristigen Ziele verfolgt die VISU?
Dr. Christoph Igel: Mittelfristig muss zunächst nach fünf Jahren Competence Center Virtuelle Saar Universität (2002-2007) die Zukunftsfähigkeit der VISU gesichert werden. Hierzu wird seit knapp einem Jahr eine umfangreiche Evaluation der VISU durchgeführt, u.a. mit der Einbindung externer Gutachter und umfassenden Analysen der Leistungsfähigkeit des Centrums. Derzeit sind wir in den Vorbereitungen einer neuen Ziel- und Leistungsvereinbarung für die VISU, diese gilt es möglichst bis Ende des Jahres abzuschließen, damit wir wieder Handlungssicherheit haben.
Weiterhin sind zentrale Projekte mit Erfolg abzuschließen, unter anderem die Einführung von CLIX Campus, der Aufbau des Portals "Study Finder" für Studieninteressierte, der Aufbau des Portals "Future:Consulting" für die Arbeitsmarktqualifikation. Außerdem sollen laufende Projekte vertieft werden, wie etwa die Nutzung von Bildungstechnologien für Hochschulmarketing und die Integration von eLearning in die akademische Weiterbildung.
Langfristig gilt es etwa über das Vorhaben "eCampus Saar" die Hochschulen der Bildungsregion Saarland für Dienste, Leistungen und Services der VISU zu gewinnen und den Aufbau einer "Virtuellen Hochschule der Region" mit unseren Partnern in Frankreich und Luxemburg zu entwickeln.
Andernorts kommen ehrgeizige eLearning-Hochschulprojekte ins Stocken. Was macht die VISU anders?
Dr. Christoph Igel: Wir haben uns auf Fragen der Hochschulentwicklung durch neue Medien konzentriert. Weiterhin sind unsere Aktivitäten in hohem Maße drittmittelfinanziert; seit 2004 wurden rund 3,75 Mio. Euro eingeworben. Die VISU arbeitet seit Jahren an der Schnittstelle von Hochschule, Wirtschaft und Politik. Nicht immer einfach, aber eben schlussendlich doch erfolgreich.
Welche sind die aktivsten eLearning-Fakultäten an der Universität des Saarlandes? Wie kam es dazu?
Dr. Christoph Igel: Traditionell gibt es Schwerpunkte in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, etwa mit dem Institut der Wirtschaftsinformatik (Prof. Scheer, Prof. Loos) oder dem Institut für Rechtsinformatik (Prof. Herberger, Prof. Rüssmann). Erhebliche Investitionen hat die Medizinische Fakultät getätigt, hier wurde unter der Leitung des Studiendekans Prof. Graf sogar ein eigenes "Coordination Center Homburg eLearning in Medicine" (CHELM) gegründet. Seither schreitet die Medizin mit großer Dynamik im Thema voran.
Die Philosophischen Fakultäten gehen das Thema eLearning in Modellprojekten etwa für die Lehrerbildung (Prof. Stark, Prof. Brünken) oder die Klinische Psychologie (Prof. Krause) an, aber auch in der Klassischen Archäologie (Prof. Reinsberg) oder der Kunstgeschichte (Prof. Wagner). Für die Sportwissenschaft ist die Universität des Saarlandes Vorreiter und Dienstleister für andere Institute in Deutschland und in Europa.
Nach und nach thematisieren auch die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen das Thema eLearning. Exemplarisch sollen die Saarbrücker Material- und Werkstoffwissenschaften (Prof. Mücklich) genannt sein.
Welche Ergebnisse sind beim "Bildungsnetzwerk Hochschule-Wirtschaft" sichtbar?
Dr. Christoph Igel: Das Projekt ist nach meinem Dafürhalten eines der innovativsten, das in einzigartiger Weise die Schnittstelle von Hochschule und Arbeitsmarkt bedienen wird. Einerseits wird das Internetportal "Future:Consulting" unter Verwendung von Web 2.0-Technologien entwickelt, in dem Firmenkontakte vermittelt und success stories erzählt werden. Andererseits werden Online-Self-Assessments entwickelt, die Interessenten am Thema Consulting eine erste Selbsteinschätzung geben soll und Hinweise, wo Optimierungsmöglichkeiten bestehen. Hierzu können eLearning-Angebote genutzt werden, die ebenfalls im Projekt entwickelt werden. Dieses Portal steht allen Studierenden der Universität des Saarlandes bereits während des Studiums zur Verfügung.
Wie wir denken, eine außergewöhnliche Idee zur arbeitsmarktorientierten Qualifizierung unserer Studierenden, die in Zusammenarbeit mit Professoren der Psychologie und Wirtschaftsinformatik entwickelt wird. Das Vorhaben wird von der Stiftung Europrofession als Innovations- und Zukunftsprojekt gefördert und wurde am 1. September 2007 gelauncht. Insofern können wir derzeit im Web noch nichts zeigen. Mit ersten Ergebnissen ist Ende des Wintersemesters 2007/08 zu rechnen.
An welcher Universität auf internationalem Niveau wird eLearning am stärksten entwickelt?
Dr. Christoph Igel: Verschiedene Universitäten haben in der Vergangenheit mit teilweise immensen Investitionen Content-Entwicklung forciert und wie das MIT im Rahmen der Initiative "Open Courseware" (MIT OCW) kostenfrei ins Netz gestellt. Das Projekt wurde 2002 mit Unterstützung der amerikanischen IT-Wirtschaft, wie etwa der William and Flora Hewlett Foundation und der Andrew Mellon Foundation, gestartet. Anfang 2007 standen mehr als 1800 Kurse aus zahlreichen MIT-Departments online.
Meines Wissens wird derzeit ein internationaler Benchmark zum Thema eLearning erarbeitet. Ich denke, wenn dieser vorliegt, können wir diese Frage fernab von persönlichen Eindrücken und Begeisterungen empirisch fundiert beantworten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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