Neuen Medien für das Erlernen von Fremdsprachen
Pallini Attikis (GR), April 2010 - Im Europa des 21. Jahrhunderts ist Sprachenvielfalt an der Tagesordnung. Die Nutzung von neuen Medien und ICT zeigt deutlich, wie wichtig es ist, dass man sich Informationen in mehreren Sprachen zugänglich machen kann. Aber worin genau liegt das immer wieder gepriesene Potenzial der neuen Medien im Erlernen von Fremdsprachen? In welchem Maße und auf welche Weise werden ICT und neue Medien derzeit in diesem Kontext eingesetzt? Pavlos Koulouris, Experte für ICT im Bildungskontext, lebt Spachenvielfalt selbst ganz konkret - sowohl in der Gestaltung von Sprachunterricht als Lehrer, als auch in Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit Bildungsinnovation und Lebenslangem Lernen.
Im Rahmen einer internationalen Forschungsgruppe spielte Pavlos Koulouris eine führende Rolle in der "Studie über die Auswirkungen von Neuen Medien und ICT auf das Erlernen von Fremdsprachen". Das Forschungsteam wurde von Ellinogermaniki Agogi, einer privaten Bildungsinstitution in Griechenland zusammengestellt, welche über eine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung verfügt. Die Datenerhebung fand zwischen Juni 2008 und May 2009 statt und wurde über die Education and Culture Executive Agency der Europäischen Kommission als Folgestudie zum Bericht der High Level Group zu Sprachenvielfalt beauftragt.
Mit SPRACHEN & BERUF sprach Pavlos Koulouris über die Ergebnisse der Studie und erläuterte Juliane Walter insbesondere, wie KMUs im Einsatz von neuen Medien im Fremdsprachenunterricht unterstützt werden können und welche Herausforderungen es auf Seiten der Lehrenden zu beachten gilt.
Die Studie zeigt, dass die größten Herausforderungen im Einsatz von ICT bei jenen liegen, die den Unterricht gestalten. Wie können Lehrer und Trainer in der Nutzung von Neuen Technologien unterstützt und ermutigt werden?
Pavlos Koulouris: Aus meiner Perspektive gilt für den Sprachunterricht genau wie für Bildung insgesamt: Innovation kann nicht erzwungen werden. Den Einsatz von neuen Technologien im Unterricht kann man somit nicht von oben herab verordnen. Der persönliche Einsatz von Seiten der Lehrenden und ihr Vertrauen in den Veränderungsprozess sind hier ganz entscheidende Vorraussetzungen für ein Gelingen. Allerdings gibt es tatsächlich eine große Zahl von Fremdsprachenlehrern, die sich dem Einsatz von neuer Technologie im Rahmen ihres Unterrichts völlig verweigern.
Wie unsere Studie gezeigt hat, gibt es dafür ganz unterschiedliche Gründe. Lehrer fühlen sich von den schnellen technologischen Entwicklungen oft überfordert, gerade dann, wenn die Schüler und Schülerinnen möglicherweise vertrauter im Umgang mit ICT sein könnten. Außerdem bedeutet der Einsatz von neuen Medien eine völlige Veränderung der Rolle des Lehrers - Veränderungen, die in der Ausbildung von Lehrern oft nicht zur Sprache kommen.
Aber noch viel wichtiger: Sprachlehrer möchten keine Technologie einsetzten, die nicht im Einklang mit aktuellen pädagogischen Entwicklungen stehen. Oft werden Neuentwicklungen eben eher von den technischen Möglichkeiten als von pädagogischen Erkenntnissen vorangetrieben. Das macht viele Lehrenden natürlich misstrauisch.
Kurz gesagt heißt das, dass wir zum einen bessere Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrer brauchen und zum anderen sicherstellen müssen, dass die Entwicklung von technologiegestützem Werkzeug für den Sprachunterreicht auf pädagogischen Erkenntnissen beruht.
In den letzten Jahren mussten Lehrer oft mit sehr schnellen Entwicklungen und ständig neuen Trends umgehen. Glauben Sie, dass die Herausforderungen für Lehrende auch eine Frage von Generationszugehörigkeit ist?
Pavlos Koulouris: Der Unterschied zwischen -œDigital Natives- und -œDigital Immigrants- ist inzwischen ein Standardargument in dieser Diskussion. "Digital Natives" sind jene, die das Zeitalter digitaler Technologie hineingeboren sind, "Digital Immigrants" jene, die ohne digitale Technologie aufgewachsen sind und den Umgang mit diese erst später in ihrem Leben gelernt haben.
Allerdings muss man vorsichtig sein, wenn man diese Unterscheidung als Erklärung für die Integration von ICT und Neuen Medien im Feld des Fremdsprachenunterrichts heranzieht. Laut neueren Forschungsergebnisse geht die "Net Generation" nämlich gar nicht so versiert mit digitalen Medien um, wie immer angenommen wird. Und viele Lehrende, die eher der "Immigranten" Kategorie zugehören sind weit davon entfernt technophob zu sein! Natürlich ist es trotzdem so, dass das Leben von jüngeren Menschen extrem eng mit digitalen Medien verknüpft ist und für signifikante Zeitabschnitte "im Netz" stattfindet.
Auch wenn diese Generationenkluft nicht so einfach ist, wie es manchmal scheint, denke ich persönlich doch, dass jüngere Lehrer dem Einsatz von ICT gegenüber und neuen Medien in ihrem Unterricht insgesamt offener sind. Der bestimmende Faktor ist jedoch weder das Alter noch die technischen Kenntnisse, sondern das Vertrauen, das Lehrende in neuen Medien als pädagogisch sinnvolles Werkzeug haben.
Ein anderer Punkt in den Ergebnissen der Studie ist, dass KMUs und größere Unternehmen die Vorteile der neuen Medien nicht sehen. Oft steht der Kostenfaktor als größtes Gegenargument im Weg. Wie können sie für die Anwendung neuer Medien gewonnen werden?
Pavlos Koulouris: Eigentlich sollte man annehmen, dass Globalisierung, veränderte Arbeitsbedingungen und die "Beweglichkeit von Arbeit" auf Seiten der Arbeitgeber einen verstärkten Einsatz von Fremdsprachenunterricht auslösen. Unsere Studie hat gezeigt, dass der Wert von zusätzlichen Kompetenzen, die Auswirkung von sich verändernden Märkten sowie der Globalisierung insgesamt zwar anerkannt werden, es aber dennoch eher Einzelpersonen sind, die sich selbst um ihre eigene Entwicklung kümmern und versuchen ihre persönlichen Chancen und Möglichkeiten zu verbessern.
Was eLearning betrifft, so wurde in den meisten Bereichen, die unsere Studie abgedeckt hat außerdem deutlich, dass Fremdsprachenunterricht in Unternehmen nur selten auf neue Technologien zurückgreift. Die Vorteile von ICT und Neuen Medien werden oft nicht erkannt. Die Kosten sind, genau wie Sie sagen, oft das erste Argument gegen Experimente mit neuen Medien im Bereich des Sprachunterrichts von Unternehmen.
Das ist natürlich in Krisenzeiten noch mal verstärkt so, da Unternehmen und Organisationen aller Größen versuchen Kosten einzusparen, insbesondere im Bereich der Weiterbildung oder der Erneuerung von Software.
Ich glaube, dass die Vertreter auf dem Fremdsprachenmarkt - also jene die Content & Service bereitstellen - das bisher noch nicht vollständig begriffen haben. Insofern haben sie es auch verpasst, Arbeitgebern die Vorteile und möglichen Zeit- und Kosteneinsparung beim Einsatz von neuen Technologien im Sprachunterricht zu verdeutlichen.
Als Beispiel möchte ich hier mal das Web 2.0 und das noch relative neue Interesse an "Personal Learning Environments" (PLEs) im Kontext von eLearning nehmen. Die Stärke des Konzeptes von einem PLE ist, dass es zum einen Lernen als lebenslange Erfahrung und Prozess anerkennt und zum anderen ganz unterschiedliche Lernkontexte zusammenbringen kann - zu Hause und am Arbeitsplatz, sowie formellen Unterricht oder informelles Lernen, das durch persönliche Interessen gestaltet wird. Der Lernprozess erfolgt hier sehr selbst bestimmt, eigene Ziele werden gesetzt und verfolgt, denn PLEs werden von den Nutzern selbst zusammengestellt und inhaltlich bestückt.
Ich würde Personalleiter und Weiterbildungsmanager in Firmen dahingehenden befragen, ob diese flexible und individuell bestimmbare Art der persönlichen und professionellen Weiterbildung wirklich so weit von den Prioritäten und Regulierungen ihrer Firmen entfernt ist, wie oft argumentiert wird.
Und vielleicht noch wichtiger: Ich würde die Produzenten von Fremdsprachen Produkten fragen, ob sie bisher in der Lage waren, diese neuen Entwicklungen schnell genug für sich zu nutzen und potenziellen Klienten die Vorteile dieser und ähnlicher Lösungen zu vermitteln.
Waren die Ergebnisse der Studie für Sie überraschend? Welche Ergebnisse fanden Sie am Spannendsten?
Pavlos Koulouris: Ich verstehe unsere Studie als heftigen aber lohnenden Kampf gegen die Zeit und den Informationsfluss in einem Feld, das sich einfach kontinuierlich weiterentwickelt. Mit unseren Ergebnissen konnten wir zeigen, dass viele der gängigen Vorannahmen nicht ganz richtig sind.
Wenn ich ein bestimmtes Ergebnis wählen müsste, so würde ich sagen, dass ich positiv überrasch war, wie rege viele ältere Menschen, hauptsächlich Rentner und Rentnerinnen, das Internet und neue Medien für verschiedene Aktivitäten nutzen - und eines ihrer Hauptinteressen ist das Erlernen von Fremdsprachen. Ich muss allerdings sagen, dass das in Deutschland eher der Fall ist, als in Griechenland.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Studie ein?
Pavlos Koulouris: Sowohl während der Forschungsphase als auch nach der Veröffentlichung der Ergebnisse von Seiten der Europäischen Kommission im vergangenen Januar gab es viele positive Reaktionen. Viele sehen, dass es an der Zeit war, eine Studie wie diese durchzuführen, die Themen in den Mittelpunkt rückt, die oftmals übersehen werden, wie zum Beispiel die Wichtigkeit der informellen Prozesse des Lebenslangen Lernens in der heutigen Zeit.
Viele der Entwicklungen waren zum Zeitpunkt der Erhebung mitten im Entstehen begriffen. Wir konnten insofern nur Momentaufnahmen von einigen von ihnen liefern und haben andere sicherlich verpasst. Nichtsdestotrotz ermöglicht diese Studie neue Wege sowohl für Entwicklung von Richtlinien als auch für zukünftige Forschungsarbeiten.
Worin sehen Sie persönlich die Vorteile von neuen Technologien für das Erlernen von Fremdsprachen? Wie halten Sie sich auf dem Laufenden?
Pavlos Koulouris: Ich möchte unterstreichen, das Fremdsprachen ganz oft im Alltag und außerhalb von Klassenzimmern gelernt werden, immer dort wo man Fremdsprachen ganz selbstverständlich ausgesetzt ist und diese in einem Zusammenhang erlernt, der für einen persönlich sinnstiftend ist.
Informelles Sprachenlernen wird insgesamt noch nicht ernst genug genommen, obwohl es sich um einen allgegenwärtigen und lebenslangen Lernprozess handelt. Obwohl informelles Lernen in anderen Gebieten wie zum Beispiel der Naturwissenschaft langsam wahrgenommen wird, ist das in der Sprachbildung bisher eher selten der Fall. Ich halte es hier für wichtig, Brücken zwischen informellen und formellen Erfahrungen des Erlernens von Fremdsprachen zu bauen.
Gleichzeitig entstehen durch die schnellen Entwicklungen im Internet ständig neue sozio-technologischen Gegebenheiten, welche den Nutzern von neuen Medien ganz selbstverständlich den Kontakt mit vielen Fremdsprachen ermöglichen. Man kann sich ganz einfach schriftlich oder mündlich mit Muttersprachlern einer anderen Sprache austauschen, lesen was einen interessiert, Nachrichten oder Musik in andere Sprache hören, Texte aus verschiedenen Sprachversionen miteinander vergleichen oder automatische Übersetzungen im Nachhinein überarbeiten.
All das ist heute Alltag für viele Internetnutzer geworden, welche jeden Tag sprachliche Kompetenzen erlernen ohne an einem formellen Sprachkurs teilzunehmen. Das gilt genauso auch für mich selbst, selbst wenn ich einen Teil meiner Zeit damit verbringe im formellen Kontext des Klassenzimmers eine Sprache zu unterrichten. Ganz offensichtlich ist das informelle Sprachenlernen durch neue Medien und im Kontext des social-networking im Internet ein Gebiet mit großem Potenzial, das gleichzeitig und paradoxerweise noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält.
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