Grapple

Adaptives Lernen für individuelle Erfolge

Eindhoven (NL), November 2015 - Die TU Eindhoven führte zusammen mit 15 Partnern aus neun Ländern das EU-Projekt Grapple durch (generic responsive and adaptive personalized learning environment), das ein vollständig individuelles Lernen ermöglicht. Paul De Bra, Professor an der Fakultät für Computerwissenschaften an der TU Eindhoven, und sein Team haben das System in fünf Lern-Management-Systeme integriert.

Herr De Bra, Sie erforschen das adaptive Lernen. Was genau muss man sich darunter vorstellen?

Prof. Paul de Bra: Grapple hat zum Ziel, Lernprozesse zu erleichtern. Bisher gibt es zahlreiche Management-Tools, die das Lernen nur verwalten – mit ihnen kann man Materialien verteilen, Online-Tests durchführen, Foren einrichten etc. Aber sie unterstützen die Teilnehmer nicht beim eigentlichen Lernen.

Und wie kann Grapple das Lernen erleichtern?

Prof. Paul de Bra: Beim adaptiven Lernen liegt der Fokus auf einer maximalen Freiheit: Die Lernenden navigieren auf einer Webseite – so wie sie beispielsweise bei Wikipedia recherchieren würden – und können sich die Inhalte völlig individuell zusammenstellen. Auch die Reihenfolge bestimmen sie selbst. Das System erkennt, welche Inhalte der User bereits gelernt hat und führt ihn zum passenden Content.

Das gab es beim Sequencing aber auch schon.

Prof. Paul de Bra: Nein, Sequencing funktioniert ganz anders: An Hand von Einstiegs- und Zwischentests werden die Lerner zu einem bestimmten vorgefertigten Inhalt geführt. Das ist Personalisierung ohne Freiheit. Beim adaptiven Lernen dagegen werden die User durch einen Kurs geführt, und an Hand der bearbeiteten Elemente setzt sich der Inhalt immer wieder individuell neu zusammen. Das heißt: Wenn zehn Lernende mit unterschiedlichem Vorwissen dieselbe Lektion durcharbeiten, sehen die Lernseiten zu demselben Thema völlig unterschiedlich aus.

Wie weiß denn ein Lerner, welche Reihenfolge für ihn die richtige ist?

Prof. Paul de Bra: Auch das regelt das System. Wenn der User auf einen Link klickt, für dessen Inhalt er noch zu wenig Vorwissen besitzt, erlaubt das System zwar einen Blick in die nächste Lektion, warnt aber davor, diese schon zu bearbeiten. Wenn jemand bereits gelernte Seiten noch einmal aufruft, kann es vorkommen, dass sie anders aussehen als am Anfang, da sich der Lerner weiterentwickelt hat.

Ist das nicht irritierend?

Prof. Paul de Bra: Bisher hatten wir noch keine Rückmeldungen dieser Art, und wir setzen das adaptive Lernen auch in unserer Universität ein. Außerdem ist das System so flexibel, dass man alles individuell einstellen kann, also beispielsweise Seiten innerhalb einer Session identisch lassen kann.

Können Sie adaptives Lernen an einem Beispiel erklären?

Prof. Paul de Bra: Bei uns am Institut lehren wir Logik und Theoretische Informatik, bevor wir Datenbanken behandeln. Es gibt eine bestimmte Anzahl an Einführungskursen, auf die die Datenbank-Kapitel aufbauen. Auf jeder Seite befinden sich Fragmente, die nur dann angezeigt werden, wenn man die Inhalte zu Logik und Theoretischer Informatik bearbeitet hat. Je nach dem, welche Reihenfolge man wählt, ändert sich der Content für jeden einzelnen Lerner. Da sich das System alle Seiten merkt, die bereits besucht wurden – auch aus anderen Kursen –, kann es auf verwandte Inhalte verweisen.

Welche weiteren Vorteile hat adaptives Lernen für die User?

Prof. Paul de Bra: Das System berücksichtigt unterschiedliche Lernertypen. Die einen lernen am besten, indem sie sich zuerst einen Überblick verschaffen und dann ins Detail gehen. Andere lernen am liebsten Details, die sich nach und nach zu einem Ganzen fügen.

Wie integrieren Sie das adaptive eLearning in den Uni-Alltag?

Prof. Paul de Bra: Die Theorie steht im Web, die Praxis lernt man vor Ort. Niemand braucht mehr Vorlesungen, auch Videos davon sind überflüssig, wenn das Material online vorliegt. Früher konnten Studierende keine parallelen Veranstaltungen besuchen, auch das geht über eLearning ohne Probleme. Lediglich praktische Übungen und alles, was unter Aufsicht getan werden muss, wie etwa eine Prüfung, muss vor Ort absolviert werden.

Was passiert mit dem Bildungsprofil, wenn die Studierenden die Universität verlassen?

Prof. Paul de Bra: Die Userdaten können auch im Berufsleben weiter genutzt werden, denn sie liegen im Web und können per Fernzugriff genutzt und aktualisiert werden. Wer etwa in der Universität mit Sakai gearbeitet hat und später im Unternehmen mit Clix lernt, kann immer auf seine Daten zugreifen. Denn unser Framework ist unabhängig von der LMS.

Wenn adaptives Lernen so vorteilhaft ist – warum wird es dann noch nicht flächendeckend angeboten?

Prof. Paul de Bra: Da es allein um den Lernkomfort geht, waren bisher weder Universitäten noch Unternehmen bereit, dafür extra Geld auszugeben. Das ist wie mit der Klimaanlage im Auto: Früher musste man dafür einen Aufpreis zahlen, und da haben viele darauf verzichtet. Heute gehört sie zur Standardausführung und wird auch genutzt. Wir gehen davon aus, dass das adaptive Lernen, wenn es kostenlos in der LMS integriert ist, ebenso genutzt wird.