Buchtipp: Bildung als Brücke
Hamburg, November 2004 - Unter dem Titel "Bildung als Brücke - Hamburger Ansätze zur Überwindung der Digitalen Spaltung" beschreiben die Autorinnen Anke Grotlüschen und Barbara Brauchle plastisch, welche Lernerfahrungen von so genannten "Low Level Learnern" - im wahrsten Sinne des Wortes - zu Buche schlagen. Mit freundlicher Erlaubnis der Autorinnen bietet Ihnen CHECKpoint eLearning hier eine Lesekostprobe.
Dienstag, acht Uhr, Unterrichtsbeginn: European Computer Driving Licence heißt das Zertifikat, das 15 Lerner hier erwerben wollen. Leute wie die Langzeitarbeitslosen der Campus Fahrradstation. Der ECDL ist das europaweite Zertifikat, mit dem PC-Kenntnisse standardisiert nachgewiesen werden können. Dazu muss man allerdings die Programme auch beherrschen, und genau da hapert's grade bei unserer Frühaufsteher-Zielgruppe. Es handelt sich um Low Level Learner, auch bezeichnet als Geringqualifizierte, Bildungsbenachteiligte oder Weiterbildungsabstinente. Es kommt noch kritischer: Sie sollen sich ihr Wissen selbstgesteuert aneignen - mit Hilfe von Lernsoftware.
Nie-Teilnehmer und Offliner
Satte 13% der Erwachsenen nehmen nie an Weiterbildung teil (Expertengruppe Finanzierung Lebenslangen Lernens). Zudem hat Deutschland 41% Offliner. Sie sind mehrheitlich weiblich, gering gebildet und haben ein niedriges Einkommen - laut (N)ONLINER Atlas 2004. Das Projekt "ICC-Bridge to Market" lotet deshalb Hamburger Ansätze zur Überwindung der Digitalen Spaltung aus.
eLearning für Benachteiligte?
Keine Chance, hätte die Fachwelt vor einigen Jahren gesagt. eLearning ist hochselektiv, daran scheitern schon mittelmäßige Lerner, die Motivation wird bei schwachen Lernern nie ausreichen. Und Dozent möchte da schon gar keiner sein: wie soll man solche Leute gleichzeitig über's Surfen und über eLearning aufklären? Der qualifizierte eCoach, eTrainer, Online-Moderator oder wie auch immer er (meistens sie) heißt, weiß heute mehr.
Die Evaluationsergebnisse zeigen: Benachteiligte können an eLearning herangeführt werden und erleben sich sukzessive als kompetent.
Aus den Beobachtungsergebnissen:
Die Lernerin "Frau Bockig" weiß nicht, was sie machen soll. Fingernägel kontrollieren, Mousepad reinigen, mit Nachbarn tuscheln sind Anzeichen für Orientierungslosigkeit: Ablenkungen bedeuten, dass der Lerner feststeckt und Dozentenhilfe braucht. (S. 129).
Praktisches Lernen und Lernen aus Büchern: "Es hat schon immer mehr gebracht, wenn jemand die Sachen erklärt. So war das immer! " sagt ein Teilnehmer. Low Level Learner lassen sich lieber etwas zeigen und vormachen als nach Texten zu lernen. eLearning setzt hier neue Herausforderungen: Die bücherferne Klientel muss lesen, um zu lernen. Mit entsprechender Unterstützung wird nachhaltig die Lernfähigkeit verbessert (S. 134). Na bitte, geht doch.
Aus den Befragungen:
Die Basiskenntnisse sind angekommen, zeigt die Vorher-Nachher-Befragung. Alle Lerner wissen jetzt, wie man Preise in einer Tabelle sortiert, multipliziert, addiert (S. 164ff). Dasselbe gilt für Word, Outlook & Internet Explorer: die Grundfertigkeiten sind gut angekommen, auch beim Lernen mit Lernsoftware. Kann man nun die Lerner mit einer CD-ROM nach Hause schicken?
eLearning plus Dozent
Die Sache mit den Dozenten formuliert Frau Bockig in erfrischender Direktheit. Einen Vorteil sieht sie in der endlosen Geduld der Lernsoftware: "So kann man Dinge, die man nicht in den Schädel kriegt, wiederholen. Wenn man dann nicht klar kommt, kann man immer noch fragen." Allerdings sind Frau Bockig, Frau Lebhaft, Herr Selfmade, Herr Ecke, Frau Unsichtbar und ihre Kollegen sich weitgehend einig über eine notwendige Dozentenunterstützung: "Ohne Lehrer wäre das Programm Schei.... " (S. 171).
Wär's nicht einfacher, die Software wegzulassen?
Ja, derzeit schon. Nur koppeln sich dann immer größere Teile der Gesellschaft ab, werden "Nonliner" und Verlierer des Digital Divide. Schon heute ist "Social Cohesion" das Zauberwort der Europäischen Fördertöpfe, denn die EU-Gesellschaften brechen auseinander. Soziale Kohäsion setzt voraus, dass die Schere zwischen Arm und Reich, Onliner und Nonliner nicht zu weit auseinander geht. Mit Blended Learning wird praktisch "Hilfe zur Selbsthilfe" gegeben. Schließlich will das eLernen gelernt sein.
Nicht bloß für Computerkurse
Übrigens, ganz frisch aus dem Forschungsfeld: Auch Soft Skills können mit Unterstützung von Lernsoftware unterrichtet werden. Fallbeispiele, theoretische Einordnungen und audiovisuelle Szenarien helfen beim Erlernen von "Kundenorientierung" oder "Kommunikation". Zur Verhaltensänderung bleibt jedoch das beliebte Rollenspiel mit Trainer ungeschlagen.
Grotlüschen, Anke; Brauchle, Barbara: Bildung als Brücke, Hamburger Ansätze zur Überwindung der Digitalen Spaltung. Evaluation des Projektes ICC (Information Technology and Communication Competence) - Bridge to Market. Münster 2004
Reihe: Hamburger Beiträge zur beruflichen Aus- und Weiterbildung Bd. 5, 208 S., 19.90 EUR, br., ISBN 3-8258-7851-1
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