ELearning senkt die Rückfallquote
Bremen, April 2011 - (von Kirsten Seegmüller) Konsequentes Lernen im Strafvollzug ist die einzige Möglichkeit, Menschen wieder in die Arbeitswelt zu integrieren. Vor allem, wenn die Gefangenen ihr Lernen selbst steuern können. Allerdings ist die Finanzierung in Zeiten knapper Kassen schwierig. Jürgen Hillmer, Senator für Justiz und Verfassung in Bremen, hofft, dass sich eLearning als feste Instanz mit festen Landesgeldern etablieren wird.
ELearning im Strafvollzug (Elis) und Blended Learning im Strafvollzug (BLiS ) sind zwei Projekte zur Weiterbildung und Arbeitssuche im Internet, mit deren Hilfe Gefangene wieder in die Gesellschaft integriert werden sollen. Sie erhalten Zugang zum Internet, allerdings nur auf einzelne Seiten und Anwendungen. Sie arbeiten in Virtual Private Networks, von denen aus sie nicht ins öffentliche Netz kommen. "Sicherheit ist das wichtigste Kriterium", betont Jürgen Hillmer, Senator für Justiz und Verfassung in Bremen. Schließlich wolle man den Insassen keine Möglichkeit geben, Straftaten im Internet zu planen und zu begehen oder ihre Flucht zu organisieren.
Angefangen hat alles vor 14 Jahren mit computerbasiertem Lernen an ein paar Einzelarbeitsplätzen, heute liegen auf den sechs Open-Source-Plattformen - darunter der Virtual Campus, ILIAS und Moodle - knapp 190 Bildungsangebote zu allen denkbaren Themen. Das fängt bei der Basisqualifikation an - also Allgemeinbildung und Schulwissen - und geht über Selbstorganisation bis hin zur Berufsvorbereitung und in ganz wenigen Fällen sogar zu einem Studium.
"Ein beliebter Kurs ist der Europäische Computerführerschein ECDL, weil der in jedem Beruf wichtig ist", so Hillmer. Da die meisten Strafgefangenen aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen und meist Schulverweigerer sind, haben sie nie gelernt, zu lernen. "Da ist ein Hauptschulabschluss schon eine Leistung." Das heißt aber nicht, dass Gefangene dümmer sind als die Normalbevölkerung. "Sie hatten bisher nur noch keine Gelegenheit, aus ihren Anlagen Kompetenzen zu entwickeln."
Am meisten überrascht hat Hillmer, dass keiner dazu neigt, etwas was kaputtzumachen und dass sich die Kursteilnehmer gegenseitig helfen. "Mit so viel Sozialkompetenz hätten wir gar nicht gerechnet." Während normale Kurse draußen mit der Zeit ausdünnen, bleiben alle Insassen bis zum Ende der Fortbildung bei der Stange. "Sie bleiben sogar in den Pausen sitzen und machen ihre Hausaufgaben, was ja eigentlich uncool ist." Das zeige, dass sie ein Interesse an ihrer eigenen Entwicklung haben.
Assessment Profiling ermittelt den Bildungsbedarf
Wer welche Kurse besuchen sollte, wird an Hand eines mehrwöchigen Assessment Profiling entschieden. In pädagogischen Testverfahren wird ermittelt, wer welche Qualifikationen benötigt und welche Kompetenzprofile sie bereits haben. "Beim Lernen gehört jeder zur Zielgruppe. Und gelernt wird von Anfang an", betont der Justizsenator. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene müssten auf ihre Zeit nach dem Vollzug vorbereitet werden, um den Drehtüreffekt zu durchbrechen. "Sonst kommen sie immer wieder."
Die eLearning-Maßnahmen haben sich bewährt: "Ohne Weiterbildung werden 90 Prozent der Entlassenen rückfällig", weiß Hillmer aus Erfahrung, "und selbst mit Bildungsmaßnahmen kommen 80 Prozent wieder." Erst wenn die Weiterbildung in eine berufliche Qualifizierung und Arbeitsvorbereitung integriert ist, reduziert sich die Rückfallquote auf 40 Prozent.
Um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen, sollten die Kandidaten auch nach ihrer Entlassung betreut werden. Ein Projekt namens Omnia begleitet die Leute an ihrem Wohnort. "Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Nachbetreuung und Rückfallquote kann man aber nicht herstellen", so Hillmer. Doch England könnte als Beispiel dienen: Dort haben die Kursteilnehmer auch nach ihrer Entlassung Zugang zur Lernplattform. Über Apps können sie arbeiten und lernen, sich vernetzen und sich gegenseitig helfen. Wichtig für die Gefangenen ist auch, dass sie ihr Wissen draußen am Arbeitsplatz anwenden können. "Transfer ist also der entscheidende Punkt."
Organisation und Finanzierung
BLiS ist ein Projekt im Rahmen des Bundesprogramms "Xenos - Integration und Vielfalt". Projektträger ist das Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI) in Berlin. Die Gelder kommen vorwiegend vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und den Ländern. Inzwischen kooperieren elf Bundesländer: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Ausgestattet ist das Projekt mit einer Million Euro. "Die große Herausforderung liegt nun darin, wie wir die 1.500 Haftanstalten in Europa vernetzen können", erklärt Hillmer.
Einen ähnlichen Kurs verfolgt das internationale Projekt Learning Infrastructure for Correctional Services (Licos). Für die 19 Einzelprojekte steht ein Budget von circa 300.000 Euro zur Verfügung, verteilt auf die Projektmitglieder Deutschland (Bremen), Norwegen, England, Spanien, Katalonien, Ungarn und Belgien. Gefördert wird das Vorhaben vom EU-Programm Leonardo da Vinci (EU LLP). Ein Pilotprojekt wurde beispielsweise an der Fundación Diagrama im spanischen Alicante durchgeführt. Die spanische Organisation arbeitet seit 1990 mit und für straffällig gewordene Jugendliche und ihre Familien.
Trotzdem hätte Hillmer gerne mehr Zuschüsse: "In Skandinavien sind die Budgets viel größer, und der Finanzbedarf hier in Deutschland ist deutlich höher als die Mittel, die wir bekommen." Seine Hoffnung ruht auf dem höchsten Gremium: dem Strafvollzugausschuss der Länder. Dieser wird im September 2011 darüber entscheiden, ob die Mittel aufgestockt und vor allem regelmäßig gefördert werden. Hillmer: "Ich hoffe, dass im Anschluss daran eLearning im Strafvollzug institutionalisiert und regelmäßig gefördert wird."
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