Schlaganfall-Patienten

Karotten sammeln, Bewegungen neu erlernen

Zürich, Oktober 2011 - (von Prem Lata Gupta) Das Schweizer Unternehmen YouRehab hat eine Therapiemethode entwickelt, die bis jetzt vor allem Schlaganfall-Patienten hilft: Diese trainieren Finger- und Armbewegungen mit Hilfe von rehabilitationsspezifischen Computerspielen. Klar, das macht mehr Spaß als eine konventionelle Ergo-Therapie. Die Trainingsintensität, das haben klinische Studien erwiesen, ist bis zu dreimal so groß. Mitgründer und CEO Oliver Ullmann erklärt, wie sich neueste Erkenntnisse und moderne Technologie ergänzen.




Inwiefern ist Ihre Methode anderen Schlaganfall-Therapien überlegen?

Oliver Ullmann: Es gibt zwei wichtige Faktoren - Trainingsintensität und "virtuelle Spiegeltherapie". Der Patient trägt beidarmig Handschuh-Manschetten um seine Hände, die wiederum mit Sensoren und Infrarot-Dioden für Hand und Finger bestückt sind. Seine Bewegungen werden von einer Infrarot-Kamera erfasst. Auf dem Bildschirm vor ihm sind seine Arme als virtuelle Abbilder zu sehen. Das System lässt sich sehr flexibel nutzen: Etwa indem man gezielt nur einen Arm trainiert oder indem der rechte gesunde Arm im Spiel den linken virtuellen Arm steuern muss. Innovativ ist aber auch der Spaßfaktor, der sich in einer deutlich erhöhten Trainingsintensität ausdrückt.

Und das wiederum bedeutet Therapiefortschritte?

Oliver Ullmann: Bei der Trainingsintensität ist es ziemlich klar - mehr Trainieren heisst bessere Fortschritte. Die Spiegeltherapie geht unter anderem davon aus, dass bei Beobachtung einer zielgerichteten Bewegung im Gehirn dadurch entsprechende Bewegungs-spezifische neuronale Netzwerke aktiviert werden. Bewegungsmuster werden neu abgespeichert und trotz Lähmungserscheinungen wieder erlernt. Wir haben sogar bei chronischen Patienten, deren Schlaganfall bereits mehrere Jahre zurücklag, noch einmal spürbare Verbesserungen erlebt.

Die Patienten üben mit Hilfe Ihres Systems YouGrabber einfache Fingerbewegungen, sie sammeln Rüben ein oder steuern ein Flugzeug. Was lässt sich da messen?

Oliver Ullmann: Das System erfasst dreidimensional sowohl Finger- als auch Armbewegungen. Das ist mehr als bei bekannten Spielkonsolen, dort wird nur die Armbewegung registriert und wiedergegeben. Aber Greifen oder Loslassen sind wesentlich komplexer. Außerdem können wir sehr fein kalibrieren. Wenn der Patient noch am Anfang steht und noch nicht gut zupacken kann, lässt sich einstellen, dass die virtuelle Bewegung wie die einer gesunden Hand ist. Das motiviert und unterstüzt ebenfalls den Lerneffekt des Gehirns.

Sie und Ihr Partner Kynan Eng (CTO) haben mit Ihrem Team als Start-up begonnen. Und mit Ihrem Ansatz, bei dem Ärzte, Therapeuten, Programmierer und Elektroingenieure beteiligt waren, haben Sie inzwischen mehrere Preise gewonnen. Wie reagiert der Markt auf Ihr Produkt?

Oliver Ullmann: Das Interesse ist da und drückt sich auch in Zahlen aus. Zu den Abnehmern zählen Reha-Kliniken, Krankenhäuser, aber auch Privatpersonen. Wir sind in der Schweiz aktiv, in Nordamerika und Asien. Außerdem arbeiten wir nicht nur an YouGrabber, sondern auch an YouKicker: Damit werden die unteren Extremitäten trainiert. Dieses Produkt ist als Prototyp bereits erhältlich.

Ist Ihre Technologie nicht zu komplex für eine Privatperson?

Oliver Ullmann: Wir denken in Anwenderbedürfnissen. Die Basis-Version ist sowohl in der Rehabilitationsklinik, in Praxen oder auch zuhause sinnvoll einsetzbar. Die Softwareoptionen ermöglichen für den Therapeuten interessante Möglichkeiten wie Leistungsfeedback und Assessment. Die komplexeste Version ist für detailliertes Motorikfeedback beispielsweise in der klinischen Forschung und Wissenschaft bestimmt. Zu unserer Zukunftsvision gehört auch, dass man diese Therapie eines Tages webbasiert nutzen kann, etwa die Software auf einem Server liegt.

Sind denn auch noch andere Indikationen als Schlaganfall denkbar?

Oliver Ullmann: Wir haben eine gute Verbindung zum Kinderspital in Zürich und anderen Kliniken. Unser System eignet sich auch zur Therapie bei cerebraler Kinderlähmung. Das bedeutet eine zusätzliche Gruppe von Nutzern. Für YouKicker laufen Studien mit Teilnehmern, deren Rückenmark verletzt ist.

Und muss der Patient denn permanent am Ball bleiben, um nicht wieder eine Verschlechterung zu erfahren?

Oliver Ullmann: Ich denke, das ist so ähnlich wie Sport oder wie der Besuch eines Fitness-Studios. Wer damit aufhört, dessen Kondition lässt ja auch nach. Aber genau deshalb halte ich unser System für so erfolgversprechend. Wir stellen nicht die Reha in den Vordergrund, sondern den Spaß. Auch darf man nicht vergessen, dass unser System nicht den kompletten Therapieplan eines Patienten ersetzen soll, sondern als wertvoller Baustein gedacht ist, der Therapeuten entlastet und die Betroffenen auf neuartige Weise aktiviert.