Implosionen nach der Homeoffice-Phase?
Gossau (CH), Juni 2021 - Das Ende der Homeoffice-Pflicht in den Unternehmen soll bis spätestens Ende Juni eingeläutet werden. Inzwischen arbeiten wir remote, hybrid und mobil - und endlich auch wieder physisch. Doch was passiert in der Nach-Homeoffice-Zeit? Über Monate gab es immer raffiniertere Wege, um über Distanz zu arbeiten. Das hat mitunter gut funktioniert. Doch zurück im Büro tun sich Gräben auf, zeigen sich persönliche Differenzen, werden unterschwellige Konflikte plötzlich sichtbar. Mit diesem Phänomen befasst sich der Schweizer Kommunikationsexperte Stefan Häseli von der Atelier Coaching und Training AG. Er zeigt auf, welche dramatischen Folgen hybride Arbeitsweisen haben können. Und er plädiert dafür, in der aktuellen Change-Phase bloß keine kommunikativen Rückschritte zu machen.
Gehören Sie auch zu den Anhängern flexibler Arbeitsorte und Homeoffice? Arbeiten Sie in Ihrem Unternehmen auch schon seit zehn oder sogar zwanzig Jahren sowohl remote, hybrid und mobil als auch gleichzeitig physisch? Lange Zeit wurde diese Praxis noch etwas belächelt: Wer nicht einmal ein zentrales Office mit Arbeitsplätzen für alle zur Verfügung hatte, galt als unkonventionell. Heute ist es völlig selbstverständlich geworden – wer noch anders arbeitet, hinterlässt unterdessen schon fast einen etwas anachronistischen Beigeschmack…
Wir reden seit 15 Monaten von Vor- und Nachteilen dieses Arbeitens. Was vor dem ominösen März 2020 eher Einzelfälle oder Zeichen global tätiger Firmen oder von Start-up-Unternehmen war, ist seit damals die Regel – zumindest in Beschäftigungen, die überhaupt von zu Hause aus erledigt werden können. Es war ein Segen, dass vor allem Dienstleistungsunternehmen und Stabsabteilungen in der Industrie praktisch weiterhin reibungslos weiter funktionieren konnten. Man hat immer raffiniertere Wege gefunden, über Distanz zu arbeiten. Das hat so gut funktioniert, dass es schon fast unbestritten ist, dass dieses Setting der Arbeit auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil bleibt.
Hybride Arbeitsweisen und die dramatischen Folgen
So weit so gut – wirklich? Nein! Denn selbst die Anhänger solcher hybriden Arbeitsweisen nehmen nun immer mehr eine kritische Haltung ein. Einerseits machen uns die Fakten von Forschungen unmissverständlich sichtbar, dass wir in den letzten Monaten ein Problem in der zwischenmenschlichen Kommunikation hatten. Eine Studie der BARMER und der Universität St. Gallen unter der Leitung des Gesundheitsforschers Stephan Böhm zeigt, welche teilweise dramatischen Folgen das hat und wie sich der oft auch falsche Umgang mit Homeoffice auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden auswirkt.
Die Art und Weise der Kommunikation hat sich massiv verändert. Größtenteils ist das persönliche Gespräch auf eine Kommunikation per eMail, Kurznachrichten, Videokonferenzen oder Telefongespräche verlagert worden. Auch das ist per se noch nicht schlecht, solange man bewusst auch Wege gefunden hat, das Zwischenmenschliche zu pflegen. Denn genau das bildet die Grundlage für soziale Beziehungen und schlussendlich für des Wohlbefindens.
Ersetzen lassen sich persönliche Begegnungen zwar ohnehin nicht, zumindest aber die negativen Auswirkungen der reinen Online-Kommunikation und der Remote-Arbeit abschwächen. Das ist auch dringend notwendig, denn jedem Dritten fehlt die Gesellschaft, jeder Vierte fühlt sich isoliert. Anlass zur Sorge muss vor allem die Tatsache geben, dass Umfragen im Rahmen dieser Studien zeigen, dass sich die Tendenz im Vergleich zum Sommer 2020 nochmals verstärkt hat.
Eklatante Bewegung zurück zu "Physis"
Das bedeutet in logischer Konsequenz im Unternehmen: Pflegen Sie die Kommunikation in Zeiten der Homeoffice-Phase sehr bewusst und trotz allem abwechslungsreich und persönlich. Gleichzeitig lässt sich in den letzten Wochen beobachten, dass hier und da Entscheidendes passiert: Die Homeoffice-Pflicht ist vielerorts kurz vor der Auflösung und gerade in der Schweiz ist in dieser Zeit die Bewegung zu "Physis" eklatant. In manchen Unternehmen kann die Rückkehr zum Echten, zum persönlichen Miteinander gar nicht schnell genug gehen. Die Menschen haben sich vermisst, man trifft sich wieder. Und wir erleben mitunter herzberührende Szenen in Firmen, in denen sich die Mitarbeitenden nach zwölf Monaten erstmals wieder im Büro treffen – von Angesicht zu Angesicht, ohne dazwischen geschalteten Bildschirm, in 3D-Qualität, leibhaftig und hautnah.
Doch die Rückkehr zur ganz klassischen interpersonellen Kommunikation kann auch ihre Tücken haben. So erlebte es kürzlich erst eine Kadermitarbeiterin und ausgewiesene Fachkraft, die im November ihren Dienst in einem großen Unternehmen angetreten hatte. Bis in den April hatte sie noch nie persönlichen Kontakt zu irgendeinem Teammitglieder oder zu ihrer Chefin.
Jeder Kontakt, jeder Austausch und jedes Gespräch hatten sich im digitalen Raum abgespielt. Kurz nach dem ersten Zusammentreffen mit Kollegen und Vorgesetzten im "echten" Umfeld zeigte sich, dass es ihr schwerfiel, in dem Team und in dem Betrieb anzukommen. Sie fühlte sich schlichtweg nicht in der Lage, den Transfer aus dem Remote-Zustand in die analoge Welt zu leisten. Das Unternehmen begegnete ihrem Anliegen mit einer Art der Ignoranz, die für sie untragbar war. Also kündigte sie ihre Anstellung.
Die Tücken der interpersonellen Kommunikation
Das ist möglicherweise ein Einzelfall. Trotzdem sollte es uns nicht nur zu denken geben, sondern sogar Sorgen bereiten. Denn egal wo und wie: Es wird die Zeit kommen, in der sich die Leute wieder persönlich antreffen. Nach der anfänglichen und gut zu beobachtenden Euphorie geschieht das, was in der Gruppendynamik eben oft passiert: nach der Phase von "Reforming" folgt das "Storming". Die Menschen im Unternehmen, im Team, in der Abteilung spüren, dass man sich schlichtweg auseinandergelebt hat. Plötzlich werden auch Vorwürfe formuliert, die man vorher nicht aussprechen oder artikulieren konnte – oder wollte. Viele fühlen sich ungleich oder unfair behandelt, die oft nicht funktionierenden Prozesse werden einem Schuldigen zugeteilt. Jetzt keimen Konflikte auf, die in den letzten Monaten unter dem Deckel der remoten Arbeit reifen konnten.
Nun ist es wie im Straßenverkehr: Man kann das Autofahren gut finden und befürworten, doch dann sollte man es beherrschen. Dazu gehört es eben auch, die Gefahren zu kennen. Auch die Arbeit im Homeoffice kann man als etwas Gutes erachten. Gleichzeitig sollte man es beherrschen und die Risiken im Griff haben. In der derzeitigen Übergangszeit lässt sich mancherorts in den Unternehmen eine förmliche Implosion der remoten Zeiten erleben. Da gilt es, die darauffolgende Zeit rechtzeitig und vor allem professionell zu kalibrieren. Das bedeutet gerade für Unternehmer und Führungskräfte, dass sie bewusst diese neue Zeit anzugehen haben, alles an aufkommenden, gereiften und auch niederschwelligen Konflikten aufzuarbeiten und die Mannschaften neu einzunorden und zu justieren, manchmal sogar neu aufzustellen. Das wäre der kluge Weg.
Drehen Sie das Rad bitte nicht zurück!
Es eröffnen sich jedoch auch andere Möglichkeiten. Tendieren Sie eher zu radikalen Ansätzen? Dann könnten Sie sofort wieder Homeoffice einführen, damit wieder alles so läuft, wie in den letzten Monaten. Diese Strategie kann gut gehen, muss aber nicht. Oder Sie verbietet das Homeoffice-Arbeiten schlichtweg wieder, auch das passiert bereits in ersten Unternehmen. Die Hoffnung, dass Sie als Chef Ihre "Schäfchen" wieder persönlich "an die Zügel" nehmen können (übrigens ein Original-Zitat eines Unternehmers) ist wohl auch nicht das zeitgemäße Rezept. Denn beiden gemein ist: Sie drehen das Rad zurück. In dem einen Fall um vier Wochen, im anderen um 15 Monate.
Übergangszeiten sind in jedem Changeprozess anspruchsvolle Zeiten. Es sind einerseits Sollbruchstellen im Arbeitsklima und sie bieten andererseits auch Möglichkeiten, die neue Zeit bewusst anzugehen, zu regeln und die Kommunikationskultur nicht sich selbst zu überlassen. Wenn es implodiert, erodiert es – und am Schluss ist nichts mehr Schlaues da.
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