Risiko

Wenn sich das Management aus Veränderungsprozessen ausklammert

Berlin, November 2024 - (von Andreas von Oertzen) In Beratungsprojekten der von Oertzen Managementberatung kommt es vor, dass sich das Management aus Organisationsentwicklungsprozessen zurückzieht oder ausklammert. Das Thema ist in der Praxis hoch relevant. Die Dynamiken sind in einschlägigen Studien und Artikeln gut dokumentiert. Sowohl in wissenschaftlichen Organisationen als auch Wirtschaftsunternehmen kann es geschehen, dass sich die Leitung – bewusst oder auch unbewusst – aus einem Organisationsentwicklungsprozess heraushält. Obwohl die Intentionen positiv sein mögen, birgt dieses Verhalten erhebliche Risiken.

Doch warum passiert das, und was sind die Auswirkungen?

1. Plausible Gründe aus Sicht der Leitung

Aus der Perspektive der Führungskräfte kann es sehr sinnvoll erscheinen, sich selbst aus dem Entwicklungsprozess herauszunehmen. Nachfolgend einige Motive:
Delegation an Experten: Die Leitung vertraut darauf, dass spezialisierte Berater oder ein interner Change-Manager den Prozess steuern und glaubt, ihre eigene Beteiligung würde den Freiraum dieser Fachleute einschränken.

  • Zeitmangel: Führungskräfte haben ein hohes Arbeitspensum und priorisieren kurzfristige operative Aufgaben über strategische Veränderungsprozesse.
  • Vermeidung von Konflikten: Veränderungen bringen Spannungen und Unsicherheiten mit sich. Führungskräfte ziehen sich zurück, um nicht direkt in interne Konflikte oder Machtspiele verwickelt zu werden.
  • Vertrauen in bestehende Strukturen: Die Führung sieht die aktuellen Strukturen als grundsätzlich funktionierend an und schätzt die Notwendigkeit ihrer eigenen aktiven Beteiligung als gering ein.
  • Unpopulärer Führungsstil: Führungskräfte ahnen oder wissen, dass ihr Führungsstil bei den Mitarbeitenden unpopulär ist. Aus Angst vor direktem Feedback oder einer Konfrontation mit Kritik vermeiden sie den engen Kontakt zum Team. Sie befürchten, dass ihre Autorität untergraben wird, oder dass die Organisationsentwicklung auf strukturelle Probleme hinweist, die auf ihren Führungsstil zurückzuführen sind.

2. Blinde Flecken

Dieses Verhalten hat Konsequenzen, die nicht gesehen oder nicht beachtet werden. Einige Beispiele:

  • Fehlendes Vorbild: Wenn die Leitung nicht aktiv am Wandel teilnimmt, sendet sie ein Signal an die Belegschaft, dass Veränderungen nicht ihre höchste Priorität haben. Dies schwächt das Engagement der Mitarbeitenden. Führungskräfte unterschätzen, dass sie als kulturelle Vorbilder agieren müssen.
  • Gefahr der Entkopplung: Ohne die Beteiligung der Leitung besteht die Gefahr, dass sich die Maßnahmen der Organisationsentwicklung von den strategischen Zielen entfernen und nur oberflächliche Effekte erzielen.
  • Ignoranz gegenüber potenzieller Kritik: Indem Führungskräfte den Kontakt zu den Mitarbeitenden vermeiden, können sie wichtige Kritik oder Verbesserungsvorschläge nicht wahrnehmen. Dieser blinde Fleck führt zu einem verzerrten Selbstbild und verhindert, dass die Leitung an sich selbst arbeitet.
  • Vertrauensverlust: Mitarbeiter stellen die Authentizität des Wandels infrage, wenn die Leitung selbst nicht involviert ist. Dies führt häufig zu Skepsis, Widerstand und einem generellen Vertrauensverlust.
  • Fehlende Nachhaltigkeit: Veränderungen, die von unten oder extern angestoßen werden, verlieren schnell an Wirksamkeit, wenn sie nicht von der Spitze aktiv getragen werden. Der Prozess läuft Gefahr, zu stagnieren.
  • Verschlechterung der Unternehmenskultur: Ohne die Unterstützung der Führung können bestehende dysfunktionale Muster weiter bestehen. Infolgedessen bleibt die Unternehmenskultur unverändert oder verschlechtert sich sogar.
  • Verstärkte Unzufriedenheit der Belegschaft: Wenn die Mitarbeitenden den Eindruck haben, dass ihre Führungskräfte Kritik meiden und sich einer echten Auseinandersetzung mit dem Team entziehen, steigt die Unzufriedenheit. Das führt zu erhöhten Spannungen und beeinträchtigt die Zusammenarbeit.

3. Empfehlungen für die Leitung

Auch die von Oertzen Managementberatung ist diesem Thema in mehreren Organisationen begegnet. Auf Grundlage der eigenen Erfahrungen wird empfohlen, dass Führungskräfte die folgenden nicht-trivialen Schritte unternehmen:

  • Aktive, aber reflektierte Beteiligung: Die Leitung beteiligt sich sichtbar und kontinuierlich am Organisationsentwicklungsprozess, ohne jedoch den gesamten Raum zu dominieren. Es geht darum, sich als Teil des Teams zu positionieren und Veränderungen mitzutragen. Externe Beratung wird als Helfer genutzt.
  • Systemische Selbstreflexion: Führungskräfte reflektieren regelmäßig, wie ihre eigene Haltung und ihr Verhalten die Organisation beeinflussen. Ein externes Coaching hilft, blinde Flecken aufzudecken und das eigene Rollenverständnis zu schärfen.
  • Förderung von Feedback-Kultur: Offenes Feedback – auch gegenüber der Leitung – wird aktiv eingefordert. Dies erfordert Mut, aber es schafft die Basis für nachhaltige Veränderungen und Vertrauen in den Prozess.
  • Strategische Verankerung des Wandels: Veränderungsprozesse sind mit den übergeordneten Zielen und der Vision der Organisation verknüpft. Die Leitung stellt sicher, dass diese Verbindung für alle sichtbar ist.
  • Verantwortung für kulturellen Wandel: Die Führung erkennt, dass sie ein kultureller Taktgeber ist. Wenn sie den Wandel vorlebt, wird dies Nachahmungseffekte erzeugen und die Veränderungsbereitschaft auf allen Ebenen erhöhen.
  • Proaktive Auseinandersetzung mit Kritik: Führungskräfte suchen gezielt das Gespräch mit den Mitarbeitenden, um sich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Es mag unbequem sein, jedoch stärkt es langfristig das Vertrauen in die Führung und verbessert die Unternehmenskultur.

Fazit

Sich aus einem Organisationsentwicklungsprozess herauszuhalten, mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, birgt jedoch erhebliche Gefahren. Führungskräfte sollten ihre Vorbildfunktion und ihre eigenen blinden Flecken nicht unterschätzen. Für einen nachhaltigen Wandel braucht es aktive Beteiligung, eigene Reflexion und eine klare Verankerung des Wandels in der Unternehmensstrategie. Die Konfrontation mit unpopulären Führungsmerkmalen sollte als Chance begriffen werden.