Herausforderung Corona

Fernunterricht entfaltet volles Potenzial

Berlin, Juli 2020 - Shutdown, Mobile Office und Homeschooling sind die prägenden Schlagworte, die uns seit Beginn der Corona-Krise begleiten. Die Nachfrage nach Fernunterricht boomt. Private Bildungsanbieter reagieren schnell, unterstützen Lernende und entwickeln neue Angebote. Und doch fehlen klare politische Signale für die Branche. 

"Würde es Fernunterricht nicht schon geben, wäre er genau jetzt erfunden worden", ist sich Mirco Fretter, Präsident des Forum DistancE-Learning, dem Bundesverband der Fernstudienanbieter, sicher. Doch es gibt dieses Konzept der Wissensvermittlung auf Distanz schon seit Jahrzehnten. "Es ist etabliert und brilliert geradezu in den vergangenen Monaten, da im Angesicht der Pandemie einmal mehr deutlich wird, dass vor allem digitale Angebote und Lösungen, Wirtschaft und Gesellschaft Möglichkeiten aufzeigen, der Krise zu begegnen!"

Mehr als 500.000 Deutsche nutzen jährlich entsprechende Weiterbildungsangebote und machen Fernunterricht und Fernstudium zu einer immer stärker werdenden Säule der Erwachsenenbildung.
 

Private Anbieter reagieren schnell und effizient

"Wie schon immer in der Geschichte des Fernunterrichts, sind es private Unternehmen, die teilweise unter großen Anstrengungen den Umstieg in die Online-Welt schnell geschafft haben, um auch in schwierigen Zeiten Bildung zu ermöglichen", stellt Prof. Dr. Holger Zinn, Autor des Buches "Geschichte des Fernunterrichts", fest. Seine Aussagen untermauern die Ergebnisse einer Ende April veröffentlichten Blitzumfrage der IUBH unter Studierenden. 53 Prozent aller Studierenden vermelden hierin, dass an ihrer staatlichen Hochschule keine Online-Veranstaltungen stattfinden würden.
 

Auch Fernunterrichts-Anbieter von Krise betroffen

Natürlich prallte auch an der Fernunterrichts-Branche die Krise nicht ohne Folgen ab. Wie in vielen anderen Bereichen galt es auch hier, innerbetrieblich schnell Umstrukturierungen umzusetzen. "Die Mehrarbeit ist enorm, da sämtliche Klausuren und Präsenzveranstaltungen durch Online-Alternativen ersetzt worden sind. Aber die Studierenden sind begeistert", so Prof. Dr. Martin Kurz, Geschäftsführer der Euro-FH aus Hamburg.
 

Wurden in vielen Unternehmen Präsenzlehre und Fernunterricht zuvor klar voneinander getrennt, ist es nun das über Jahre im Fernunterrichtsbereich erworbene Knowhow, das Teilnehmenden des Präsenzbereiches die Fortführung ihrer Qualifikationsmaßnahmen ermöglicht. "Innerhalb weniger Tage haben wir unsere Hörsäle umfunktioniert und bis zu fünf Aufnahmestudios gleichzeitig betrieben, um Präsenzunterricht über das Web zu streamen und Videokonserven für die individuelle Nutzung bereitzustellen", so Gabriele Unützer von der Steuer-Fachschule Dr. Endriss aus Köln.
Doch gute Fernlehre ist natürlich mehr als die Bereitstellung von Lehrmaterialien auf digitalen Wegen. "Wir haben weltweit rund 3.000 Lehrkräfte methodisch-didaktisch geschult, um sie für digitalen Unterricht fit zu machen", berichtet Sabine Rotberg vom Goethe Institut aus München.

Auch das Berufsförderungswerk in Würzburg, spezialisiert auf die Aus- und Fortbildung blinder und sehbehinderter Menschen, war gezwungen, seinen Unterricht und den Internatsbetrieb einzustellen. "Da nahezu alle Umschulungsmaßnahmen bei uns aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, hätte das den Abbruch aller Maßnahmen bedeutet", erinnert sich Monika Weigand vom Kompetenzzentrum für barrierefreie IT.
Doch der Einsatz einer eLearning-Plattform gestaltete sich als Lösung. Das bestehende System wurde binnen weniger Tage ausgebaut, Kommunikationsmöglichkeiten erweitert und ein Fernwartungstool eingesetzt. "So ist es uns gelungen, die verschiedenen Kostenträger davon zu überzeugen, dass Umschulungen planmäßig fortgesetzt werden konnten. Abbrüche konnten komplett vermieden werden."
 

Zahlungsanpassungen, kostenfreie Weiterbildungen, Stipendien

Dass auch Fernstudierende von der Krise betroffen sind, wissen Anbieter und Hochschulen und kommen ihren Kunden entgegen. "Wir haben reagiert und bieten Menschen in Kurzarbeit nicht nur einen vereinfachten Anmeldeprozess, sondern erlassen auch die gesamten Studiengebühren während der Kurzarbeit", berichtet Prof. Dr. Stefan Kayser, Präsident der Wilhelm Büchner Hochschule aus Darmstadt.

Die Stuttgarter AKAD University bietet eine kostenfreie Weiterbildung zum Thema "Digitale Transformation" an. Die Hochschule setzt damit ein Zeichen der Solidarität. "Die digitale Transformation wird aktuell durch den 'Covid-19-Stress-Test' beschleunigt und hat teils drastische Auswirkungen auf Unternehmen, die sich nicht schnell und konsequent anpassen", erklärt Kanzler Prof. Dr. Ronny Fürst.

Über den Gewinn eines Vollstipendiums im Kulturmanagement freut sich M. Grünkern, Musiker aus Berlin, den die Corona-Krise mit der Fragilität seiner Selbstständigkeit konfrontierte. Zu verdanken hat er diese Weiterbildung der Deutschen Akademie für Management (DAM) aus Berlin. "Es ist uns ein Anliegen, die besonders stark betroffene Kulturbranche mit diesem Angebot tatkräftig, unbürokratisch und gleichzeitig nachhaltig zu unterstützen", so Akademieleiterin Sabine Pihl.
 

Neue Kooperationen entstehen

Auch das Hotel- und Gastgewerbe hat die Krise besonders stark zu spüren bekommen. "Trotz dieser schweren Zeit verzeichnen wir gerade jetzt eine hohe Nachfrage nach digitalen Bildungskonzepten", berichtet Merle Losem, Geschäftsführerin der Deutschen Hotelakademie (DHA). So nutzen Betriebe wie die Hotelgruppe Dorint beispielsweise die Zeit, um ihre Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen gezielt zu digitalisieren.
"Durch neue eLearning-Trainingsmodule ermöglichen wir unseren Auszubildenden, sich intensiv mit den wichtigen Themen der Hotellerie zu beschäftigen und ihre Kenntnisse weiter zu vertiefen", berichtet Susanne Rath, Leiterin Organisations- und Personalentwicklung der Dorint Hotels & Resorts. Die Rolle der DHA ist dabei klar definiert: "Wir bieten eine aufs Unternehmen zugeschnittene Weiterbildungsreihe methodisch, didaktisch und inhaltlich konzipiert, um Fachausbildungen im Gastgewerbe unter Einsatz von eLearning-Methoden sicherzustellen", ergänzt Losem.
 

Dass die Krise Anstöße zum Umdenken in Ausbildungsbetrieben auslöst, weiß auch Thomas Pilger zu berichten. Er entwickelt moderne Bildungskonzepte für seine Auftraggeber und realisierte jüngst eine 360°-Lernumgebung für Auszubildende eines namhaften deutschen Automobilkonzerns.
 

Fernstudium gefragter denn je

 "Das Fernstudium ist in Zeiten von Corona gefragter denn je", berichtet Fabio Astuni. Er ist Key Account Manager beim Bewertungsportal FernstudiumCheck. "Wir können beobachten, dass die Besucherzahlen auf unserer Seite im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen sind." 
Das bestätigt auch Lothar Kleiner, Geschäftsführer der Deutschen Weiterbildungsgesellschaft (DWG), zu der u.a. die Fernschulen und Hochschulen der Klett-Gruppe zählen: "Wir haben einen guten Zuspruch von Weiterbildungsinteressierten, weil unsere Lernmethode gerade als gut bewertet wird und es keine Alternativen gibt."
"Unsere Branche profitiert davon, dass Berufstätige jetzt viel im Homeoffice arbeiten und feststellen, wie gut Arbeit und Kommunikation über Distanz funktionieren", ergänzt Ingo Karsten, Geschäftsführer des ILS - Institut für Lernsysteme, Deutschlands größter Fernschule.
 

Nähe trotz Distanz

Eine Entscheidung für ein Fernstudium bedeutet aber keinesfalls den Verzicht auf eine individuelle Betreuung. "Vor allem in der aktuellen Situation ist unseren Kunden die Nähe zu ihrem Studienbetreuer und den Tutoren sehr wichtig", weiß Andreas Vollmer, Geschäftsführer und pädagogischer Leiter der Studiengemeinschaft Darmstadt (sgd). Und diese sei stets gegeben, denn über diverse Kanäle stehen Ansprechpartner zu jeder Zeit für fachliche und organisatorische Fragen zur Seite.
 

Bildungslandschaften verändern sich, Forderungen an die Bildungspolitik bleiben

Die hohe Nachfrage nach digitalen Angeboten wird bleiben und die Bildungslandschaft auch nach der Corona-Pandemie nachhaltig verändern. Denn Lernende wissen die Methode, deren Qualität und Flexibilität zu schätzen und doch bleibt der Kampf um Gehör und Anerkennung in der Bildungspolitik.
"Wenn die Aussage unserer Bundesbildungsministerin, dass berufliche Bildung bei uns Priorität habe, als ernsthaftes Bemühen um Wirksamkeit verstanden werden soll, ist es spätestens jetzt erforderlich, dass Ministerien und Behörden sich übergreifend abstimmen", fordert Gabriele Unützer, Steuer-Fachschule Dr. Endriss. Hilfreich wäre ein Mehr an Vertrauenskultur und der Abbau vieler bürokratischen Hürden, die engagierte Institutionen eher ausbremsen als sie zu unterstützen. 

"Die Forderung nach modernen Bildungskonzepten, die smarter und bedürfnisorientierter gestaltet sein sollen, wird immer lauter", ergänzt Mirco Fretter. Fernunterricht mit seinen digitalen Elementen biete hier genau die Lösungen, die es braucht, um agile Lernprozesse zu ermöglichen und dazu beizutragen, die Beschäftigungsfähigkeit in einer sich ständig im Wandel befindlichen Arbeitswelt zu erhalten – auch weit über die Krise hinaus.