ELearning-Anteil in der medizinischen Ausbildung wächst
Erlangen, Juni 2009 - Die Veränderungen im Gesundheitswesen haben u.a. zu erheblich kürzeren Patientenliegezeiten in den Kliniken geführt. So stehen Studierenden im Rahmen der Lehre immer weniger reale Patienten zur Verfügung. Simulationen und fallbasierte Szenarien spielen daher eine immer größere Rolle. Prof. Dr. med. Eckhart G. Hahn, Vorsitzender GMA (Gesellschaft für Medizinische Ausbildung) erklärt CHECK.point eLearning, warum das elektronische Lernen gerade in der medizinischen Ausbildung so große Chancen bietet.
Wie beurteilen Sie als Vorsitzender der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung den Stellenwert von eLearning in der medizinischen Lehre?
Eckhart G. Hahn: Besonders in der Ausbildung halte ich das Lernen mit elektronischen Mitteln inzwischen für unabdingbar. Das eLearning mit Simulationen und fallbasierten Szenarien mit virtuellen Patienten bietet große Chancen, die Lehre trotz mangelnder Patientenverfügbarkeit aufrecht zu erhalten. Das Thema hat für die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) einen so hohen Stellenwert, dass wir eigens einen Ausschuss für "Neue Medien in der medizinischen Ausbildung" ins Leben gerufen haben.
Vor allem die kommenden Generationen, die mit dem Computer aufgewachsen sind, nutzen diese Medien selbstverständlich auch zur Aus- und Weiterbildung. Ihnen muss man genügend Angebote machen, damit sie Lehrstoff wie gewohnt aufnehmen können.
Dabei setze ich voraus, dass Prüfungsmodule Teil des elektronischen Lernpakets sind. Die Überprüfung des Wissens ist für uns verständlicherweise von großer Bedeutung. Zudem muss es sich zeigen, ob Studierende in der Lage sind, die am Computer erlernten kognitiven Fähigkeiten auch in die Praxis umzusetzen.
Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Lernkontext eine große Rolle spielt. Wenn der Studierende am Computer hervorragende Ergebnisse erzielt, heißt es noch lange nicht, dass er das Wissen in den Praxiskontext transferieren kann. Elektronische Medien müssen daher Lernziele und das Lernergebnis berücksichtigen und sich in das Gesamtgefüge des Lehrens und Lernens einfügen. Blended-Learning-Konzepte haben daher in der medizinischen Ausbildung Vorrang.
Zudem sollten elektronische Medien in Deutschland auch die deutsche Sprache benutzen. Beim Lernen mit dem Computer sehe ich generell die Gefahr einer Vernachlässigung der Schreib- und Sprechfähigkeit sowie der interpersonellen Kommunikation, die für Ärzte von großer Bedeutung sind. Elektronische Medien können die Sprechfähigkeit nicht ausreichend schulen, obwohl audiovisuelle Techniken der Kommunikation am Rechner eingesetzt werden und weiterentwickelt werden könnten. Wie man mit Patienten und deren Angehörigen spricht, müssen künftige Ärzte überwiegend in der Praxis lernen.
Welche Rolle spielt eLearning zur Zeit in der medizinischen Ausbildung bzw. bei der Qualifizierung von Ärzten?
Eckhart G. Hahn: Zur Zeit beträgt der Anteil von eLearning in der medizinischen Ausbildung rund 20 bis 30 Prozent - Tendenz rapide steigend. Allein die heranwachsenden digitalen Generationen werden dafür sorgen, dass sich das eLearning-Angebot stark verbreitern wird.
Bei den niedergelassenen Ärzten gibt es bisher keine validen Angaben über die Nutzung von eLearning. Man weiß nicht einmal wie viel Prozent der Ärzte überhaupt einen Multimedia-fähigen Computer besitzen. Beim vergangenen Symposium der Allgemeinmediziner hieß es, rund 40 Prozent würden nicht über so ein Gerät in der Praxis verfügen. Der Rest ist reine Spekulation. Ich schätze die meisten haben privat einen Schossrechner.
Unbestritten ist allerdings, dass seit der Einführung der Pflichtpunkte (CME-Punkte) die Nutzung der elektronischen Kurse zur Weiterbildung enorm zugenommen hat. Schätzungen liegen bei 30 bis 40 Prozent.
Welche Formen des elektronischen Lernens eignen sich Ihrer Meinung nach, um nachhaltig Wissen zu vermitteln?
Eckhart G. Hahn: Jedes Medium ist Recht, das die Lernsituation so nah wie möglich an den Kontext der realen Praxis bringt. Je nach Lernziel können es virtuelle Patienten, Simulationen, Videos, Wikis, Serious Games oder Avatare ("Second Life") sein. Allerdings müssen sie immer in Verbindung mit Bewertungsinstrumenten funktionieren, um eine Qualitätskontrolle in der Ausbildung zu gewährleisten.
Die Herausforderung ist der Kontext. Der Kontext ist ein wichtiger Lernstimulus. Wenn allerdings der Computer der Kontext für das Lernen ist, wird der Transfer in die Praxis sehr schwer. Es gibt bisher zu wenige Forschungsergebnisse hinsichtlich der Übertragung der Lernerfolge in den Kontext der Tätigkeit am Patienten selbst. Hier besteht leicht die Gefahr der Überschätzung. Manche Studierende können am Computer jede Frage beantworten und versagen danach im Angesicht realer Patienten.
Woran liegt es, dass UK und die USA in Bezug auf das Lernen mit neuen Medien auch in der Medizin die Nase vorn haben?
Eckhart G. Hahn: In Großbritannien und den USA gibt es die DRGs bereits seit vielen Jahren. Die daraus folgernde geringe Patientenverfügbarkeit für die Lehre, veranlasste die Universitäten frühzeitig, alternative Lösungsmöglichkeiten zu finden. Deswegen sind uns die anglo-amerikanischen Staaten im eLearning einen großen Schritt voraus.
Der große Sprachraum (UK, USA, Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland) ermöglicht eine internationale Vermarktbarkeit. Zudem ist Englisch zur globalen Geschäftssprache avanciert, was die Chancen für den Vertrieb der Kurse weiter erhöht.
Der anglo-amerikanischen Marktmacht könnten die Europäer nur entgegentreten, wenn sie in einen Wettbewerb um Qualität eintreten. Die Produzenten von eLearning-Anwendungen sollten dabei auch die Mehrsprachigkeit im europäischen Markt von vornherein berücksichtigen und entsprechende Konsortien bilden.
Im Wege steht uns hierzulande auch die föderalistische Verwaltung von Hochschulen. Sollen Hochschulen in Zukunft im nationalen wie internationalen Wettbewerb bestehen, müssen sie selbstständig agieren und sich in leistungsstarken Feldern profilieren können. Seitens der öffentlichen Hand ist hierzu eine konsequente Deregulierung sowie eine radikale Ausdünnung von Gesetzen und Verordnungen zwingend erforderlich.
Als Bremsklotz für die Durchsetzung wettbewerblicher Reformen hat sich insbesondere die Kapazitätsverordnung erwiesen. Diese schreibt nach einem höchstrichterlichen Urteil aus dem Jahre 1974 vor, dass die Hochschulen unter allen Umständen ihre Kapazitäten für Studienplätze ausschöpfen müssen - und das legen Juristen fest, nach den Regeln von vor 35 Jahren!
Im Ergebnis bleibt das katastrophale Betreuungsverhältnis Studierende/Professoren an Universitäten bei 40:60 und mehr! Wenn neue Stellen geschaffen werden, klagen sich umgehend entsprechend mehr Studierende in die Universität ein. Ein solches Betreuungsverhältnis entspricht aber nicht dem Bildungs- und Ausbildungsauftrag der Hochschulen. Auch deswegen sind elektronische Hilfen beim Lehren und Lernen unverzichtbar.
Wie wird sich die Rolle des eLearning in den nächsten fünf Jahren verändern?
Eckhart G. Hahn: Einerseits werden Rechner und Programme immer billiger, andererseits nimmt die Dringlichkeit, orts- und zeitunabhäng zu lernen zu. Allein die Wissens- und Verstehensbasis wird immer breiter und Expertenwissen immer gefragter. Das sind alles Indikatoren dafür, das sich das elektronische Lernen mit Hochdruck in der medizinischen Ausbildung ausbreiten wird.
Auch hierzulande wird die Patientenverfügbarkeit in den nächsten Jahren drastisch abnehmen. Früher lagen die Liegezeiten durchschnittlich bei zehn bis zwölf Tagen, heutzutage sprechen wir eher von fünf bis sieben Tagen. Aus diesen Gründen wird sich die digitale Welt enorm verbreitern müssen.
Auch ethische Gründe sind Treiber für die Entwicklung von realistischen Simulationen. In den USA sind rektale oder die vaginale Untersuchung aus rechtlichen Gründen in der Lehre nur mit simulierten Patienten (Schauspieler oder Computeranimationen) möglich. Aus ethischen Gründen ist es Patienten generell nicht zuzumuten, dass Studierende beispielsweise die endoskopische Blutstillung in der Praxis erlernen. In Erlangen weichen wir deshalb auf so genannte Biosimulatoren aus, die speziell für diesen Zweck entwickelt wurden.
Auch das informelle Lernen wird in den nächsten Jahren über Werkzeuge des Web 2.0 und 3.0 immer weiter zunehmen. Vorstellen kann ich mir hier Podcasts mit persönlicher Kommunikation und direkter Rückmeldung sowie individualisierte Lernprogramme. Die nachwachsende Generation ist mit sozialen Netzen aufgewachsen und wird diese Form der Wissensvermittlung sicher in Zukunft noch weiter ausprägen und mit besseren, semantischen Suchkriterien verfeinern.
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