Traum oder Trauma? - Wissensarbeit mit Web 2.0
Karlsruhe/St. Gallen, Januar 2009 - Mit der weiterhin rasanten Entwicklung des Internet zeichnet sich ein grundlegender Wandel in der Arbeits- und Lernpraxis von Wissensarbeitern ab. Die "Werkbank" von Wissensarbeitern ist mehr und mehr der Computer in all seinen Erscheinungsformen, mit dem man ständig online ist. Prof. Andrea Back stellt im Rahmen der LEARNTEC am Dienstag, den 3. Februar 2009 in diesem Zusammenhang die Frage: "Traumhaft oder traumatisch? Die Produktivität von Wissensarbeit unterwegs nach 2.0".
Erhöhen Web 2.0-Applikationen die Produktivität der Wissensarbeit?
Prof. Andrea Back: Wie Sie sicher vermuten, ist meine Überzeugung und Erfahrung ganz klar "Ja", auch wenn der Weg dahin ein Lernweg und manchmal auch ein Leidensweg ist. - Aber auch im Märchen muss sich der Prinz in sieben Herausforderungen bewähren, bevor er die ersehnte Hand der Prinzessin bekommt - so könnte man es doch auch mit dem Produktivitätsversprechen des Internet 2.0 sehen? -
Trotzdem werde ich mich damit in Vortrag und Diskussion kritisch reflektierend auseinandersetzen. Aber um es gleich provozierend zu sagen: Die Produktivitätseffekte sind zum einen eine Frage des "gewusst wie" und zum anderen auch eine Frage dessen, wie und welche Effekte man misst. Das war schon in der Diskussion um das Produktivitätsparadoxon bei IT-Investitionen in den 90er Jahren so.
Um es provokativ auszudrücken: Sind die Klagen über Information Overload, über die Zeitverschwendung durch Social Software, über den Fluch der Unterbrechung und das qualitätszerstörerische Multitasking nicht eine angstgesteuerte Abwehrreaktion von Leuten, die das Internet 2.0 einfach noch nicht verstehen, und auch noch nicht damit umgehen gelernt haben?
Gibt es tatsächlich beide Erfahrungen: Traumatische und Traumhafte?
Prof. Andrea Back: Ja, meine tabellarische Liste wird immer länger, je näher der Vortrag rückt. Zum Beispiel finde ich es traumhaft, wie viel schlanker die eMail-Inbox wird, wenn man in Projekten mit Web-basierten Teamspaces zusammenarbeitet. Oder denken Sie nur daran, wieviel eMail-Overload - bei allen Beteiligten - die Terminvereinbarung über ein Web-Tool wie Doodle (doodle.ch) spart. Ich nutze dessen Funktion "Eine Wahl treffen" seit einigen Wochen auch intensiv bei Koordinationsaufgaben in meiner Lehrveranstaltung.
Traumatisch finde ich Produktivitäts- und Spassverderber "Spam". Als ich ganz neu mit dem Bloggen begann und noch keinen Spam-Filter aktiviert hatte, war ich beinahe geschockt und hätte schon fast aus Wut die Motivation verloren, weiterzumachen, als ich mitbekam, wie nach ein paar Tagen die Kommentarfunktion von Spambots zugespammed wurde.
Und als weiteres Beispiel: Nur am Anfang fand ich es traumatisch, dass mein Newsreader immer voller von ungelesenen News wurde. Wenn wir morgens am Zeitungskiosk vorbei gehen, kriegen wir ja auch keinen psychischen Schock, wenn wir die vielen Schlagzeilen in Zeitungen und Zeitschriften sehen, die wir nie alle werden lesen können. Inzwischen bin ich da ganz gelassen, und abonniere weiter Feeds, nutze sie auch auf "meine Art" und würde den Reader nicht einfach abstellen.
Inwiefern nimmt Ihr Beitrag Bezug auf die Diskussionen über dieses Thema in den letzten Jahren bzw. hebt sich davon ab?
Prof. Andrea Back: Bezug nehme ich natürlich auf das, was bisher dazu geschrieben wurde, z.B. über das IT-Produktivitätsparadoxon, auf Studien zum Information Overload und auch auf Meinungsäusserungen in der Bloggosphäre. Wodurch sich mein Beitrag abheben wird? Nun, allein dadurch, dass jeder Text von einem Autor persönlich geprägt ist - ich werde ja nicht das "Copy&Paste-Plagiieren" vorführen.
Ein Text und ein Vortrag sind ein Werk, vielleicht sogar ein Kunstwerk, denn mein Beitrag wird nicht nur aus den "Folien" bestehen, sondern auch aus einer Inszenierung, welche die Interessierten mit einbezieht. E-Participation, ganz in der Web-2.0-Kultur.
Zum Vortragsthema nehme ich via "Wissenswert Blog Carnival" in der Ausgabe #1 auch Erfahrungsgeschichten zum Thema entgegen. Der Carnival geht jeweils am ersten Montag eines Monats online auf "Wissenswert", d. h. Einsendeschluss der Links (bei Bloggern) oder der Textbeiträge bei mir unter dem Stichwort "Wissenswert Blog Carnival #1" ist Ende Februar.
Ausserdem möchte ich das Thema aus der persönlichen Sicht des Wissensarbeiters behandeln und dabei auch Emotionen ansprechen. Denn der Beitrag soll ja einen Impuls geben, von den neu möglichen Arbeitspraktiken auch die Produktivitätseffekte zu ernten. Aber ohne veränderte Einstellungen auch keine neuen Gewohnheiten und keine grundlegend andere Arbeitspraktiken. Deshalb gilt es an den Einstellungen, und damit Emotionen anzusetzen.
Prof. Andrea Back spricht in der Sektion Technologie 1 "Zukunft des Lernens" am Dienstag, den 3. Februar 2009 um 14.30 Uhr.
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