Mit dem Rechner in der Hosentasche jederzeit online
Goldau, Juli 2010 - (von Prem Lata Gupta) Telefonieren und surfen ohne Zeitlimit, noch dazu mit einem angesagten Smartphone. Das hört sich nach Freizeitspaß ohne Ende an. Doch das iPhone, mit dem eine fünfte Klasse an der Projektschule Goldau (Schweiz) ausgestattet wurde, dient als Unterrichtsinstrument. Der Lehrplan wird eingehalten. Porno- und Gewaltseiten sind tabu. Kontrolle durch Lehrer oder Eltern ist erlaubt. Nach einem knappen Jahr bestätigt sich, dass die Kinder verantwortungsvoll mit dem Gerät umgehen können, so Professor Beat Döbeli Honegger von der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz.
Nach seinen Erkenntnissen bereichern die multimedialen Funktionen des Handys den Unterricht und fördern die Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern.
Warum ein Smartphone für Fünftklässler?
Döbeli Honegger: Andere setzen auf Computerräume oder Notebook-Klassen. Aber das ist teuer und auch umständlich. Die Klasse muss extra dorthin, dann sollen alle die Rechner hochfahren. Das kostet Zeit und es hat den Charakter des Besonderen. Wir wollten einen Rechner für die Hosentasche, mit dem die Schüler jederzeit online gehen können. Das Wichtigste aber: 90 Prozent der Elfjährigen haben heutzutage ohnehin ein Handy.
Insofern nutzen sie ein Gerät, was im Prinzip ohnehin angeschafft wird...
Döbeli Honegger: Ja, allerdings wollen wir die Funktionen voll ausschöpfen. Internet, eine eingebaute Kamera, ein integrierter MP3-Player. Wichtig war die Einheitlichkeit in der Ausstattung, damit für alle die Chancen gleich sind und die Features kompatibel.
Wie haben die Eltern darauf reagiert?
Döbeli Honegger: 80 Prozent wollten schon am Informationsabend schriftlich zustimmen. Aber es gab auch einige wenige Bedenken, dass eventuell ein Geschwister ebenfalls Ansprüche auf solch ein Handy erhebt. Da haben wir uns auf die Argumentation verständigt, dass dieses Gerät für den Unterricht bestimmt ist und eben eine ganz bestimmte Klasse damit arbeitet. Dass es nicht per se ein Anrecht für Kinder auf ein Smartphone gibt.
Die Kinder waren aber bestimmt begeistert?
Döbeli Honegger: Dieses sich Berauschen an der Technik hat schnell nachgelassen. Der Lehrer unterrichtet wie bisher und nutzt das iPhone als Instrument, wenn es Sinn macht. Zum Beispiel, wenn die Kinder etwas herausfinden sollen. Oder statt ihnen aufzugeben, eine ganz bestimmte Audio-CD zu hören, schickt er ihnen die Lektion als Podcast. Das ist unkompliziert und kommt direkt an.
Bemerkenswert ist auch, wie schnell die Schüler sämtliche Möglichkeiten adaptiert haben und selbst Vorschläge machen. Als einmal der Kopierer kaputt war, haben sie ein Arbeitsblatt einfach abfotografiert. Die Kinder machen sich Notizen, sie üben eigenverantwortlich Kopfrechnen: Ein Smartphone lässt sich vielfältiger und niederschwelliger einsetzen als es die Arbeit mit normalen Rechnern ermöglicht.
Und sie telefonieren nicht endlos herum oder -ždaddeln-œ in ihrer Freizeit?
Döbeli Honegger: Die Kinder telefonieren durchschnittlich 20 Minuten pro Monat. Manche Kinder nehmen das Handy nicht immer mit nach Hause. Einige wenige spielen viel, andere sind sehr viel im Internet. Es existiert kein homogenes Bild, aber wir erleben nach der Anfangsphase inzwischen viel Gelassenheit.
Aber ein Handy ist doch fast ein Kultobjekt unter Kindern und Jugendlichen, speziell ein iPhone?
Döbeli Honegger: Das wird im Unterricht thematisiert. Dass ein Handy mehr sein kann als ein Telefon und Spielgerät. Wie sehr es einen dadurch auch vom Lernen ablenken kann. Auch dass es Kosten verursacht.
Wie hat sich die Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern verändert?
Döbeli Honegger: Der Lehrer ist sehr nah an seinen Schülern. Schon morgens sieht er, was sie ihm geschrieben haben, ob noch alle ganz bewegt sind vom Fußball oder was auch immer. Wenn man das weiß, kann man sich leichter auf die Schüler einstellen. Manchmal ist es auch praktisch. Wenn Regen für den nächsten Vormittag angesagt wird, kann der Lehrer schnell eine SMS schreiben, dass Sportzeug erst nach dem Mittagessen mitgebracht werden muss. Allerdings hat er sich auch verbeten, am Sonntag auf Kurznachrichten oder Mails reagieren zu müssen.
Also keine grenzenlose Nähe?
Döbeli Honegger: Man muss kommunizieren, dass man ein Handy auch abschalten kann. Niemand muss ständig verfügbar sein. Auch das ist wichtig zu lernen.
Apropos lernen: Wie wirkt sich der Gebrauch des Handys auf die Leistungen aus?
Döbeli Honegger: Einerseits kann man das Handy als Instrument nutzen, um individueller auf schwächere Schüler einzugehen. Andererseits haben wir den Eindruck, dass die engagierten Schüler, die ohnehin gute Noten haben, ihr Handy für noch bessere Leistungen nutzen.
Woran erkennen Sie in diesem Projekt die Medienkompetenz der Schüler?
Döbeli Honegger: Wenn das Smartphone neben dem Schulbuch auf dem Schreibtisch eines Schülers liegt und er richtig entscheiden kann, ob es für ihn sinnvoller ist, elektronisch zu arbeiten oder mit Papier und Stift.
Die iPhones und die Gebühren zahlt derzeit die Swisscom als Mobilfunkanbieter. Eine Gegenleistung muss die Schule nicht erbringen. Aber wie wird es weitergehen, das ist ja nicht der Normalfall?
Döbeli Honegger: Die Preise für Smartphones werden sinken, insofern bin ich optimistisch, dass diese Art zu unterrichten irgendwann erschwinglich ist - und zwar nicht nur in einer Projektklasse.
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