Richard David Precht im Bildungsstreit
Köln, August 2013 - Neugier, Kreativität und Teamgeist sind Schlüsselkompetenzen in einer immer komplexeren Arbeitswelt. Schulen und Universitäten fördern jedoch statt der Persönlichkeit meist eine eindimensionale Ausbildung zum Sachbearbeiter, ist Richard David Precht überzeugt. Basierend auf seinem jüngsten Buch "Anna, die Schule und der liebe Gott" beschäftigt sich der Philosoph, Publizist und Fernsehmoderator in einem Keynote-Vortrag auf der Messe Zukunft Personal damit, welchen Wert Bildung für die künftige Lebens- und Arbeitswelt hat und wie Lernen besser gelingen könnte.
"Dass wir den Unterricht so schematisieren als wäre die Welt ein Apothekerschrank, in dem es lauter Fächer gibt, ist dem vernetzten Denken nicht zuträglich", kritisiert Richard David Precht das aktuelle Schulsystem. Genau das Gegenteil sei notwendig. Denn alle großen Innovationen der Menschheit seien dadurch entstanden, dass jemand erstmals Dinge miteinander in Verbindung brachte, die scheinbar nichts miteinander zu tun hätten. Projektarbeiten und individuelles Lernen empfiehlt der Philosoph deshalb ab dem sechsten Schuljahr.
"Mathe und Physik lernt man zum Beispiel am besten am Computer – ohne störende Klassenkameraden, die nicht mehr folgen können, auf die der Lehrer aber Rücksicht nehmen muss", so Precht. Bereits heute sei hochintelligente Lernsoftware auf dem Markt, beispielsweise entwickelt von der Khan Academy und von amerikanischen Elite-Unis wie dem MIT oder Harvard.
Können statt Wissen fördern
"Wichtig ist, was junge Menschen können, wenn sie aus der Schule kommen – und vor allen Dingen, was sie langfristig aus ihrer Schulzeit mitnehmen", betont der Buchautor. Das reine Wissen verliere an Bedeutung. Es gebe zwar elementare Kompetenzen, die jeder erlernen müsse. Schulabgänger sollten sich laut Precht beispielsweise mündlich und schriftlich so gut wie möglich ausdrücken können, Grundlagen der Mathematik beherrschen, ein historisches Bewusstsein entwickeln und über Politik und Wirtschaft informiert sein. Auch künstlerische und sportliche Fähigkeiten gelte es zu fördern.
Die Frage, ob Heranwachsende vorrangig für sich selbst lernen sollten oder gezielt für die Arbeitswelt ausgebildet werden müssten, findet der Philosoph nicht mehr zeitgemäß. "Eine klare Trennung zwischen der Arbeitswelt und sonstigen Lebensbereichen ist heute erstens nicht mehr möglich und zweitens von vielen Menschen gar nicht mehr gewünscht." Sich beim Lehrplan auf Prognosen für die Arbeitswelt zu verlassen, beurteilt Precht ebenso mit Skepsis. Es ließen sich nur schwerlich Schulsysteme maßgerecht für die Arbeitswelt schneidern, denn wenn Schüler dann ihren Abschluss machten, seien die Vorhersagen womöglich längst überholt. "Wir sollten die Fähigkeiten in den MINT-Fächern grundsätzlich verbessern. Das schaffen wir aber nur, wenn dies nicht von allen Schülern erwartet wird."
Führungskompetenzen entwickeln: Persönlichkeit statt Fleiß
Ein Manko der Schulausbildung sei derzeit die Vorbereitung junger Menschen auf eine Führungslaufbahn. "Top-Manager sind fast alle fehlausgebildet. Die meisten haben eine Elite-Uni besucht, eine Zusatzqualifikation erworben und noch dieses oder jenes Zertifikat." Das sei nur mit viel Fleiß zu schaffen und dabei bleibe die Zeit zur Persönlichkeitsreifung auf der Strecke. "Deswegen müssen wir die Stoffmenge dramatisch reduzieren."
Heranwachsende sollten lernen, sich gut auszudrücken, vor allen Dingen mündlich. "Freie Vorträge halten, auf Leute wirken durch die Kunst der Rede, Leute überzeugen – das sind Dinge, die kommen in der Schule nur am Rande vor, weil Sie Mündliches schlechter objektiv bewerten können als schriftliche Leistungen." Zudem fehle bislang im Schulstoff das Thema, wie man Entscheidungen treffe und gut mit Menschen umgehe.
Lieber "krumpelig" studieren als sich durchwurschteln
Dass duale Ausbildung und Hochschulstudium im Zuge des Bologna-Prozesses heute stark verschult sind, sei eine Fehlentwicklung. Ursprünglich habe dies zwar die Wirtschaft mehrheitlich unterstützt, denke nun aber um. "Die meisten Top-Manager, mit denen ich zusammenkomme, nehmen lieber in Kauf, dass jemand ein bisschen krumpelig studiert hat und zwei Jahre älter ist als gewünscht, aber immerhin halbwegs eine Persönlichkeit." Denn jetzt strömten Leute in die Betriebe, die vor allen Dingen eins gelernt hätten: wie sie sich am geschicktesten durchwurschteln. "An unseren Schulen wird in erster Linie konformistisches Verhalten belohnt."
In seinem Keynote-Vortrag auf der Messe Zukunft Personal führt Precht detailliert aus, worauf es heute sattdessen beim Thema Bildung ankommt. Auf Basis von historischen Überlegungen und Kenntnissen aus Entwicklungspsychologie und Hirnforschung zeigt er, welche Art Bildung die Anforderungen der zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt verlangen.
Keynote-Vortrag von Richard David Precht:
Der Wert der Bildung für die zukünftige Gesellschaft
Messe Zukunft Personal, Mittwoch, 18. September 2013, 9.30 – 10.30 Uhr, Keynote-Forum, Halle 2.2, Koelnmesse
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