Alles über "eLearning in der Medizin 2.0"
Saarbrücken, Juni 2009 - Einen Überblick über die aktuellen Stand des eLearning an den medizinischen Fakultäten deutscher Universitäten gibt das im März veröffentlichte Themenheft "eLearning in der Medizin 2.0". Für CHECK.point eLearning nahmen die Herausgeber, Priv.-Doz. Christoph Igel und Prof. Norbert Graf vom Coordination Center Homburg eLearning in Medicine (CHELM) an der Universität des Saarlands, Stellung zu ambitionierten Projekten.
Im März dieses Jahres haben Sie das Themenheft "eLearning in der Medizin 2.0" veröffentlicht. Welches Ziel verfolgt das Themenheft und welche Schwerpunkte setzen die Beiträge?
Christoph Igel: ELearning hat mittlerweile einen hohen Stellenwert in der medizinischen Ausbildung erlangt, den wir dokumentieren wollten. eLearning muss und wird sich weiterentwickeln. Wir sehen es als unsere Aufgabe, neben den engagierten Pionieren des technologiebasierten Lehrens, Lernens und Prüfens weitere Interessenten der Human-, Dental- und Veterinärmedizin zu gewinnen.
So finden sich neben Grundsatzbeiträgen auch Beispiele guter Praxis in dem Themenheft. Im Rahmen des Bologna-Prozesses müssen sich die Hochschulen, insgesamt noch intensiver als bislang geschehen, mit eLearning beschäftigen - dies gilt auch für medizinische Fakultäten.
Wie beurteilen Sie insgesamt den Status quo von eLearning an den medizinischen Fakultäten?
Norbert Graf: Ein guter Anfang ist gemacht, etwa mit den an Hochschulen entwickelten eLearning-Anwendungen wie CASUS oder CAMPUS und mit etablierten Zentren für eLearning. Im Vergleich zu US-amerikanischen Universitäten haben wir allerdings noch erheblichen Nachholbedarf, etwa was den breiten Einsatz und die nachhaltige Integration in Studium, Lehre und Weiterbildung angeht. Die inhaltliche und technologische Qualität unserer eLearning-Angebote hingegen ist international vorbildlich.
Befindet sich die Mehrzahl der in "eLearning in der Medizin 2.0" präsentierten Projekte noch in der Pilotphase oder bereits im laufenden Betrieb?
Norbert Graf: Das ist sehr unterschiedlich. Oft werden Projekte von einzelnen Personen ohne ein zuvor etabliertes Gesamtkonzept vorangetrieben. Diese Projekte sind von einer oder wenigen Personen abhängig und daher leider meist recht kurzlebig.
Langfristig sollte allerdings in Absprache und mit Unterstützung der Universität und Fakultät eine Infrastruktur aufgebaut werden, die unterhalten und ständig verbessert werden muss. In diese Struktur lassen sich dann entsprechende eLearning-Module einbinden. Hier sind etwa das Zentrum für Virtuelle Patienten des Universitätsklinikums Heidelberg oder das Coordination Center Homburg eLearning in Medicine (CHELM) der Universität des Saarlandes als wegweisende und innovative Beispiele zu nennen.
Die Lehre am virtuellen Patienten hat sich zu einer praktikablen didaktischen Methode entwickelt und findet hohe Akzeptanz. Welche Kriterien spielen bei der Entwicklung virtueller Patienten eine Rolle?
Norbert Graf: Bei der Entwicklung gibt es mehrere Punkte zu beachten: Verwendet werden sollten authentische Fälle und anonymisierte Originaldaten (etwa Laborwerte, Funktionsdiagnostik und Bildgebung, sprich MRT, CT, US, Röntgen). Zu beachten sind ebenfalls eine gute didaktische Aufarbeitung und eine interaktive Aufarbeitung mit guten Erläuterungen des Entscheidungsprozesses. Zudem sollte eine Validierung der Fälle durch unabhängige Ärzte erfolgen.
Gibt es genügend Fälle und ist die Entwicklung virtueller Patienten langfristig überhaupt finanzierbar?
Norbert Graf: Die gibt es nie. Daher ist die Weiterentwicklung eine Daueraufgabe. Hier sollten sich die Universitäten miteinander einigen, die gleiche Plattform zu benutzen und Fälle auszutauschen. Es sollte auch ein Forschungsprojekt angedacht oder gefördert werden, das konkrete Fälle aus der Klinik direkt in eLearning Fälle umwandelt, einschließlich Anonymisierung.
Die Erfahrung aus dem Einsatz in der medizinischen Ausbildung zeigt eindeutig, dass der Nutzen größer ist als die Kosten. Durch die Zusammenarbeit von verschiedenen Universitäten wäre dies auch finanzierbar. Wichtig sind dabei die gleiche Plattform, Schaffung von Schnittstellen und "Semantic Web"-Applikationen sowie Entwicklung von Fällen an verschiedenen Standorten mit der wechselseitigen Abtretung von Nutzungsrechten.
Wie kann für einen besseren Austausch unter den Universitäten gesorgt werden? Sind diese bereit zu teilen?
Christoph Igel: Hieran wird mittelfristig kein Weg vorbeiführen. Wer nicht teilt wird an den Fortschritten nicht partizipieren können und am Ende vom Mehrwert abgeschnitten werden. Strategisch gibt es hierzu keine Alternative. Etwa Systeme wie CAMPUS oder CASUS erneut zu entwickeln ist schlicht teuer, wie sich überhaupt die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Angemessenheit stellen würde.
Wir brauchen beim Thema eLearning in der Medizin - wie auch beim Einsatz von Lerntechnologien in anderen Fächern - keine neuerliche Technologiedebatte, sondern ein ernsthaftes Nachdenken über hochschul- und standortübergreifende Betreiberkonzepte und Geschäftsmodelle - trotz oder auch eben gerade wegen des internationalen Wettbewerbs und der Autonomie der Hochschulen.
Welche Rolle wird das Game-Based-Learning - wie beispielsweise "Uro Island 1" - in der medizinischen Lehre spielen?
Norbert Graf: Ich persönlich glaube, dass dies eine Spielerei ist, die bald überholt sein wird. Wesentlich interessanter finde ich Konzepte, wie z.B. die Saarheimer-Fälle. Hier stellen Juristen den Alltag in einer Stadt dar. Es werden konkrete juristische Probleme an konkreten Personen dieser virtuellen Stadt simuliert. Ähnliches kann ich mir auch für medizinische Fälle vorstellen. Auch dies ist dann zwar ein Spiel, jedoch sehr nah an der Realität.
Christoph Igel: Ich teile die Skepsis und bin selbst immer wieder im Zweifel, ob dies zukunftweisende Ansätze sind. Bei einer der letzten Fachtagungen zum Thema "eLearning in der Medizin" gab es eine Keynote zu Serious Games von einer international angesehenen Wissenschaftlerin. Die Visionen sind faszinierend. Doch die Ursache-Wirkungsforschung scheint noch in den Kinderschuhen zu stecken.
Wie beurteilen Sie die künftige Entwicklung von eLearning und dessen Einbindung in die medizinische Lehre?
Christoph Igel: In fünf Jahren wird es mehr eLearning geben als heute. Die Studierenden wollen Lehr-Lern-Inhalte an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten problemlos zur Verfügung haben. Sie wollen sich flexibel auf Prüfungen vorbereiten können. Dies geht nur mit eLearning. Universitäten müssen dies erkennen, entsprechend handeln und sich in diesem Thema zukunftweisend aufstellen.
Norbert Graf: Die wichtigste Herausforderung ist dabei die Entwicklung einer Strategie innerhalb einer medizinischen Fakultät, die gemeinsam nach Außen vertreten werden muss. Die Aktivitäten müssen gebündelt werden. Dabei sollten unterschiedliche Berufsgruppen zusammenarbeiten (Mediziner, Didaktiker und IT-Experten) und auch die Studierenden sollten an der Entwicklung beteiligt werden. Allerdings ist dies nicht ohne finanzielle Förderung möglich.
Außerdem sollte man sich davon lösen, dass mit eLearning die restliche Lehre vernachlässigt werden kann. Nicht alles ist eLearning, was eLearning genannt wird. Das Einstellen von Vorlesungsvideos ohne Nachbearbeitung in ein Internetportal hat nichts mit eLearning zu tun. ELearning sollte sich insbesondere darauf konzentrieren multimediale Inhalte zu vermitteln (Herzgeräusche hören, Krämpfe sehen, etc.) was mit Büchern nicht möglich ist.