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Der Weg zur fehlertoleranten Lernkultur

Heddesheim, Dezember 2024 - (von Anne M. Schüller) In vielen etablierten Unternehmen findet sich eine angstvolle Fehlerkultur. Dagegen haben viele Jungunternehmen längst verstanden: Nur da, wo nichts passiert, passieren garantiert keine Fehler. Lernen ist ohne Fehler einfach nicht möglich. Sie sind der Preis für den Fortschritt. Denn wer sich nie verirrt, findet auch keine neuen Wege.

Jungunternehmen sind unglaublich flott unterwegs. Sie probieren alles Mögliche aus und kalkulieren das Scheitern mit ein. "Start many, try cheap, fail early", heißt dieses Prinzip: Viele Projekte starten, sie mit kleinen Mitteln und permanenten Feedback-Schleifen testen, Flops schnell erkennen und sofort eliminieren. Das bedeutet: Für den Fall, dass man scheitert, scheitert man früh. Kosten halten sich so auch in Grenzen.

In der Digitalwelt ist eine gesunde Fehlerkultur demnach völlig normal. In manchen Unternehmen können sich die Mitarbeiter sogar für eine ungewöhnliche Auszeichnung qualifizieren: "Stelle ein Projekt vor, das so richtig gegen die Wand gefahren ist", lautet die Aufforderung dort. Der dahinterliegende Sinn. Alle sollen daraus lernen. Denn eine negative Haltung gegenüber Fehlern erstickt Evolution und Innovationen im Keim.

Jeder kann durch Fehler klüger werden

In klassischen Unternehmen werden Fehler gerne vertuscht. In der digitalen Szene hingegen werden diese als Entwicklungschancen gesehen. Dort fühlt man sich inspiriert von den Geschichten bekannter Unternehmer, die vor ihrem Durchbruch einige Male gescheitert sind. Ob Richard Branson, Mark Zuckerberg oder Jack Ma, CEO der chinesischen Alibaba Group: Die Offenheit ihres Umfeldes für ihr Scheitern machte sie erst zu den Weltveränderern, die sie nun sind.

Sogenannte "Fuckup-Nights", bei denen Gründer von ihrem Scheitern berichten, liegen im Trend. Jeder kann dort klüger werden. Denn wer offen für Fehler ist, kann zukünftige Fehler eher vermeiden. Ihren Ursprung hat die Bewegung in Mexico City, wo 2012 fünf gescheiterte Unternehmer zusammenkamen, um sich gegenseitig von ihren Misserfolgen zu erzählen. Sie haben sich diesen Terminus übrigens schützen lassen. Also Achtung bei der Verwendung des Begriffs.

Woher die Angst vor Fehlern überhaupt kommt

In der alten Industriekultur konnte jeder Produktionsfehler den Ruin bedeuten, weil klassische Herstellungsprozesse teuer waren. Heute gilt es zu differenzieren. Was folgenschwere Nachwirkungen haben kann, verlangt zwangsläufig eine Null-Fehler-Toleranz. Und natürlich will jeder Kunde eine fehlerfreie Leistung. Hingegen ist Fehlerfreundlichkeit in der Entwicklungs- und anschließenden Optimierungsphase elementar. Digitale Produkte sind per se niemals fertig. Sie kommen als Beta-Version auf den Markt und werden mithilfe der User ständig verbessert und weiterentwickelt.

Jede Entscheidung trägt die Möglichkeit des Scheiterns in sich. Nur da, wo nichts passiert, passieren garantiert keine Fehler. Sie bergen neben Risiken immer auch Chancen, sind quasi sich öffnende Fenster. "Ein Fehler ist ein Ereignis, dessen großer Nutzen sich noch nicht zu deinem Vorteil ausgewirkt hat", postuliert Peter Senge, Vordenker der "lernenden Organisation". Ohne Fehlermachen ist Lernen gar nicht möglich.

Auf der Suche nach einer besseren Wortwahl

Fehler in der Wissensarbeit kann man meistens nur Irrtum nennen. Und Irrtümer sind unvermeidlich. Das gleiche gilt bei Entwicklungsprozessen. Hierbei befindet man sich ja erst auf dem Weg zur Könnerschaft. Verschiedenes muss ausprobiert werden und dabei sind Fehlversuche zwangsläufig. Ganz wichtig auch: Einem Anfänger dürfen mehr Fehler passieren als einem Profi. Niemand ist gleich vom Start weg perfekt.

Wer die exakten Worte findet, wird eher erkennen, weshalb etwas schieflaufen konnte, um den Schaden dann möglichst emotionsfrei aus der Welt zu schaffen. So lässt sich ein Fehler auch wie folgt umschreiben: Lapsus, Panne, Kinderkrankheit, Rückschlag, Schwachstelle, Anlaufschwierigkeit, Trugschluss, Übersehen, Experiment. Solche Formulierungen schützen vor dem Gefühl des Versagens und machen Fehler verzeihlich.

Jeder Fehler ist zugleich ein Erkenntnisgewinn

Um sich schnell zu verbessern, brauchen Unternehmen eine fehlertolerante Lernkultur. Sie brauchen Führungskräfte, die konstruktive Fehler-Feedbackgespräche führen können. Und sie brauchen folgenden Punkt auf der Meeting-Agenda: "Welche Erfahrungen ich gemacht habe, die sich alle sparen können." Jeder Mitarbeiter weiß damit: Das wird uns hier nie wieder passieren. Und sofort ist das gesamte Team einen Schritt weiter.

Findet eine solche Aktivität intern statt, wird ein geschützter Rahmen benötigt, damit alles offen und ehrlich auf den Tisch kommen kann. Jede erzählte Geschichte hilft den Anwesenden dabei, genau die Fehler zu vermeiden, die andere hinter sich haben. Es gibt inzwischen Firmen, die Bewerber bevorzugen, die schon mit einem Projekt gescheitert sind. Sie wissen um den Wert dieser Erfahrung. In "gescheitert" steckt nämlich "gescheit".