Open-Badges und die Zukunft der Bildung im Healthcare
London, Juni 2013 - Die Vorzüge von Open-Badges hat Totara kürzlich in einem Whitepaper beschrieben. Die Trennung der Ergebnisse von innerbetrieblichen Schulungen und ihrem betrieblichen Nutzen ließe sich durch Open-Badges aufheben, meinen die Verfasser. Besonders das Gesundheitswesen könnte von der Einführung von Open-Badges profitieren und seine Schulungsergebnisse verbessern. Tim Newham, geschäftsführender Direktor des Totara LMS Solution Partners Think Associates, hat mehr als zehn Jahre Erfahrung im Management von groß angelegten Lernprozessen im öffentlichen Sektor. Im Gespräch mit Totara schildert er, mit welchen Problemen Organisationen aus dem Healthcare Sektor konfrontiert sind und welche Lösungen Open-Badges bieten können.
Wo sind – speziell im Healthcare Sektor – die großen Lücken zwischen Weiterbildung und den betrieblichen Vorraussetzungen?
Tim Newham: Im Healthcare Sektor sehen wir uns mit drei großen Bildungs-/Entwicklungsherausforderungen konfrontiert.
Der erste Punkt ist, dass Qualifikationen im Gesundheitswesen lange zum Aufbau brauchen und relativ unflexibel sind. Auch wenn dieser Bereich sich langsam verändert, gibt es im Moment nur eine begrenzte Anzahl von unterschiedlich ausgerichteten Healthcare-Profis, die sich aus dem Bildungssystem heraus entwickeln. Diese werden wiederum in viele unterschiedliche Rollen gepresst, welche die Anbieter im Gesundheitswesen benötigen. Für das Anpassen an die verschiedenen Rollen wird berechtigterweise Berufserfahrung als das Schlüsselelement gesehen. Meistens misst man diese aber noch in der Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie in informellen Kompetenzbewertungen.
Stattdessen könnte man aber mithilfe von Badges viel effektiver messen und bewerten. Für das Arbeiten auf einer bestimmten Station, das Behandeln von Patienten mit einer bestimmten Krankheit oder die Bedienung einer speziellen Maschine könnten verschiedene Badges vergeben werden.
Die zweite Herausforderung liegt darin, dass sich Pflegetechniken schnell verändern. Neue Medikamente, Maschinen und Behandlungen sorgen zwar für eine bessere Patientenversorgung, aber es ist schwer für Angestellte im Healthcare Bereich auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Es ist eine noch größere Herausforderung für Organisationen in diesem Bereich im Auge zu behalten, welches Personal welche Qualifikationen besitzt. Hier können Badges helfen.
Die dritte Herausforderung entsteht, sobald Pflegepersonal einmal qualifiziert ist und arbeitet. Der Hauptzugang zu Weiterbildungen besteht danach meist nur in den verpflichtenden jährlichen Feuerübungen oder einem Auffrischungskurs im Umgang mit Patienten. Es wird geschätzt, dass im Britischen Gesundheitssystem über 590 Millionen Euro im Jahr für unnötige, so genannte "verpflichtende", Fortbildungen ausgegeben werden. Schlimmer noch, es kann vorkommen, dass man in Krankenhaus A ein verpflichtendes Training absolviert, dieses aber im Falle eines Wechsels zu Krankenhaus B nochmals durchlaufen muss. Ein übertragbares Badge, welches auch ein „Verfallsdatum“ hat, wäre eine gute Lösung um das System effizienter und kostengünstiger zu gestalten.
Das Herunterbrechen auf "mundgerechte", nachvollziehbare und allerseits anerkannte Darstellungen von Fähigkeiten, Wissen und Verhalten – gekoppelt mit klassischen Kompetenzbewertungen – wäre der langfristige Weg sich diesen Herausforderungen zu stellen.
Was sind die Hindernisse, die im Healthcare Sektor bewältigt werden müssen, damit Open-Badges im Mainstream ankommen?
Tim Newham: Die Herausforderung bei Badges ist es, eine ausreichende Zahl an regelmäßigen Teilnehmern zu generieren um einen sich selbst verstärkenden Kreislauf zu erzeugen. Bildungsanbieter werden keine Badges verleihen, bis die Individuen sie nicht wertschätzen. Individuen werden sie nicht wertschätzen, wenn Arbeitgeber sie nicht anerkennen. Arbeitgeber werden sie nicht anerkennen, wenn die Individuen sie Ihnen nicht vorlegen.
Die Herausforderung erscheint einerseits schwierig zu lösen, aber andererseits ist das Gesundheitswesen ein guter Anfang, da das gesamte System relativ klein ist, d.h. hunderttausende von Lernenden, anstelle von ganzen Bevölkerungen die in die Millionen gehen.
Unseren Beobachtungen zufolge werden Badges – bis auf drei Einschränkungen – generell gut akzeptiert. Die erste Einschränkung ist, dass Design und Systematik eines Badges die Organisationskultur reflektieren sollten - um eine "nicht hier erfunden" Symptomatik zu vermeiden -, während es trotzdem nationalen Standards entsprechen muss. Wir helfen Organisationen, die Spannungen zwischen offenen, betrieblichen, informellen und sozialen Ansätzen (Badges), mit der Notwendigkeit nach stabilen Lehrmethoden und der Anerkennung von Fähigkeiten / Wissen (Qualifikationen) auszugleichen. Es ist ein Drahtseilakt, aber wir kommen dabei sehr gut voran.
Die zweite Einschränkung liegt darin, dass der Ausdruck Badges insofern problematisch ist, als das er manchmal mit minderwertigen Sammelaktionen verwechselt wird. Wir reden über das zertifizieren von Bildung, eZertifikaten und Online-Dokumentationen, aber nach und nach verfallen wir in eine "Badge-Symbolik".
Die letzte Einschränkung ist, dass das Gesundheitssystem in Großbritannien zeitweise recht zentralistisch und kontrollierend sein kann, wenn es um die Daten von Angestellten geht. Somit ist eine Open-Badges-Philosophie, in der der Lernende seine eigenen Informationen verwaltet und nach Belieben teilen kann, ein starker Paradigmenwechsel. Wiederum, geht dieser Wechsel Hand in Hand mit anderen Lerntrends, nämlich der Idee dass der Lernende mehr Verantwortung für die eigene Entwicklung übernimmt. Es gäbe hier auch schon eine technische Lösung, sozusagen einen "walled garden", in dem das Britische Gesundheitssystem seine eigenen Badge-Backupserver implementiert. Lernende können ihre Badges zwar frei teilen, aber auf dem Hauptserver können die Badges mit der Datenbank abgeglichen werden. Momentan helfen wir dabei genauso ein System umzusetzen.
Gibt es noch andere Wege mit denen Badges-Befürworter diese Hindernisse überwinden können?
Tim Newham: Das einzige was ich noch hinzufügen würde ist, dass wir an manchen Stellen Badges schon verdeckt einbringen. "Haben Sie den eLearning Kurs abgeschlossen?", "Möchten Sie ein passendes Badge zusammen mit Ihrem PDF Zertifikat erhalten?", "Nehmen Sie an einem Ausbildungskurs teil?", "Wir senden Ihnen das Anwesenheits-Badge per eMail zu". Langsam fangen die Leute an darüber zu reden: "John, was ist das in Deiner eMail Signatur? Wie bekomme ich auch so eins…?" Und schon ist man drin.
Welche reellen Situationen im Klinikalltag können Sie sich vorstellen, in der Badges einen Unterschied bei den Behandlungsergebnissen machen?
Tim Newham: Viele! Zum Beispiel die angesprochenen langweiligen, aber kostspieligen Auffrischungskurse. Wie wäre es Badges als ein 360° Feedback-Tool zu sehen – Individuen sammeln über das Jahr verteilt Badges. Diese werden dann zu Bewertungszeitpunkten als Grundlage benutzt. Jeden Handlungsakteur zum Badge-Ausgebenden zu machen, wäre ein großartiges Ziel.
Patienten könnten für besonders gute Pflege Badges vergeben, die dann von Doktoren und Pflegepersonal mit Stolz vorgezeigt werden können.
Eine weitere Situation sehe ich zum Beispiel schon in der Ausbildung. Dort könnten Studenten und Auszubildende Badges von ihren Ausbildern sammeln. Zukünftige Arbeitgeber können sich (die Zustimmung des Lernenden vorausgesetzt) einen Überblick über die gesammelten Badges verschaffen und den Fortschritt in verschiedenen Kohorten vergleichen. Auch können Anregungen für neue Lernbereiche gemacht werden, um von Tag eins an hoch effiziente Angestellte zu beschäftigen. Nutzt man Badges um den Dialog zwischen Arbeitgebern und Bildungseinrichtungen zu fördern, wird dies in einer weitaus effektiveren Nutzung der vorhandenen Budgets resultieren.
Es müssen ja nicht nur Badges für Kompetenzen sein. Wie wäre es mit Badges die den aktuellen Impfstand anzeigen? Wie wäre es mit Badges für Patienten? Wenn wir jemanden mit einem neuen Beatmungsgerät nach Hause schicken, sollten wir überprüfen ob er dieses auch bedienen kann. Dementsprechend erhält er das passende Badge.
Dies hat neben dem Nutzen fürs Gesundheitssystem noch einen weiteren sozialen Vorteil. Wir haben auf diese Weise vielleicht wieder jemanden an einen Lernprozess herangeführt, der vor über 50 Jahren die Schule verlassen hat.
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