Im Lernprozess

Zur Balance zwischen menschlicher und KI-gestützter Interaktion

Dr. Jan BeinkeThorsten KrauseOsnabrück, April 2023 – Der Forschungsbereich Smart Enterprise Engineering des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz) hat die Vision, durch die Verbindung der Perspektiven der Wirtschaftsinformatik und der Künstlichen Intelligenz die Potenziale einer umfassenden Informationsbereitstellung zu heben und Wettbewerbsvorteile insbesondere für den Mittelstand durch die Unterstützung und (Teil-)Automatisierung komplexer Tätigkeiten zu nutzen. Darüber dass eine gute Lernsequenz von ihrem didaktischen Wert lebt, sprechen im Rahmen des LEARNTEC-Kongresses Dr. Jan Beinke und Thorsten Krause am 24. Mai um 15.30 Uhr. "Wie lassen sich didaktische Anforderungen in automatisch generierte Lernsequenzen implementieren?" lautet ihre Fragestellung.

Lassen sich bisherige didaktische Werte in automatisch generierte Lernsequenzen 1:1 übertragen oder muss man bei Ki-gestützten Lerneinheiten neue didaktische Maßstäbe anlegen?

Jan Beinke: Die Übertragung ist in der Regel nicht 1:1 möglich, da KI-gestützte Systeme ihre eigenen Besonderheiten und Möglichkeiten aufweisen. Einige Aspekte der "traditionellen Didaktik" können jedoch auch in KI-gestützten Lerneinheiten angewendet werden, wie z.B. die Gestaltung klarer Lernziele, die Berücksichtigung unterschiedlicher Lernstile und die Einbeziehung von Feedback und Reflexion. Die Stärken der KI, wie Personalisierung und datenbasierte Entscheidungsfindung, sollten genutzt werden, um neue didaktische Ansätze zu entwickeln, die auf den individuellen Bedürfnissen der Lernenden basieren.

Thorsten Krause: Dabei ist es wichtig, eine Balance zwischen menschlicher und KI-gestützter Interaktion im Lernprozess zu finden. KI kann den Lehrkräften bei der Identifizierung von Lernbedürfnissen und der Anpassung von Lerninhalten unterstützend zur Seite stehen, während Lehrkräfte für den persönlichen Austausch, das Einfühlungsvermögen und die Förderung von sozialen Kompetenzen zuständig bleiben.

Insgesamt sollte die Entwicklung von KI-gestützten Lerneinheiten in Zusammenarbeit mit Bildungsexperten, Lehrkräften und Lernenden erfolgen, um sicherzustellen, dass die entwickelten Systeme sowohl effektiv als auch pädagogisch sinnvoll sind.

 

Wie lassen sich diese Anforderungen übertragen?

Jan Beinke: Didaktische Anforderungen sind in der Regel von qualitativer Natur. Um KI-Systeme dennoch diesen Anforderungen gerecht werden zu lassen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie werden so gestaltet, dass sie die Anforderungen implizit erfüllen, oder die Anforderungen werden quantifiziert und der KI als Optimierungskriterium übergeben. Zum Beispiel kann die Autonomie der Lernenden nicht direkt quantifiziert werden, aber ihre Förderung ist möglich, indem das System stets mehrere Empfehlungen anbietet und so den Lernenden einen angemessenen Handlungsspielraum gewährt.

Thorsten Krause: In der Forschung zu Recommender Systemen wurden bereits Eigenschaften wie die Diversität des Angebots erfolgreich quantifiziert. Ebenso lässt sich der Grad, zu dem ein Lerninhalt an den Kompetenzstand der Lernenden angepasst ist, durch Curricula und Kompetenzmodelle erfassen. Diese Kriterien können bei der Generierung von Empfehlungen berücksichtigt werden. Dennoch ist es wichtig, dass Experten am Ende beurteilen, ob das System diese Kriterien tatsächlich erfolgreich umsetzt.

 

Anders gefragt: Sind hier die Didaktiker mit entsprechenden Anpassungsleistungen gefragt oder die Techniker?

Thorsten Krause: Beide Gruppen sind gefragt, um das Potenzial der Künstlichen Intelligenz im Bildungsbereich optimal auszuschöpfen. Didaktiker sind gefragt, ihre Kenntnisse über Lehr- und Lernmethoden sowie Lerntheorien an die Möglichkeiten und Besonderheiten von KI-gestützten Systemen anzupassen. Sie müssen didaktische Ansätze und Maßstäbe erörtern, die die Stärken der KI-Technologie nutzen und gleichzeitig die pädagogischen Grundprinzipien beibehalten.

Techniker müssen sich mit den Anforderungen der Didaktik auseinandersetzen und lernen, wie sie ihre technischen Fähigkeiten einsetzen können, um Lernsysteme zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Lernenden und den pädagogischen Vorgaben der Didaktiker entsprechen. Sie sind dafür verantwortlich, benutzerfreundliche, effiziente und sichere Systeme zu schaffen, die datenschutzkonform sind.

Jan Beinke: Die Wirtschaftsinformatik kann als vermittelndes Element zwischen Didaktik und Technik fungieren, um das Potenzial der Künstlichen Intelligenz im Bildungsbereich optimal auszuschöpfen. Die Wirtschaftsinformatik beschäftigt sich bereits seit langem mit der Anpassung von domänenspezifischen Anforderungen an technische Rahmenbedingungen und hat dazu eine Vielzahl grundlegender Werkzeuge entwickelt.

Durch ihre Erfahrung in der Angleichung von Domänenanforderungen und technischen Gegebenheiten sind Wirtschaftsinformatiker in der Lage, die Bedürfnisse der Didaktiker sowie die technischen Fähigkeiten der Techniker zu verstehen und zu verbinden. Sie können Anforderungen erheben, diese in technologische Lösungen überführen und die entwickelten Systeme evaluieren.

In dieser vermittelnden Rolle unterstützen Wirtschaftsinformatiker die Zusammenarbeit zwischen Didaktikern und Technikern, um gemeinsam KI-gestützte Lernsysteme zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Lernenden und den pädagogischen Vorgaben der Didaktiker gerecht werden, während sie zugleich benutzerfreundlich, effizient und datenschutzkonform sind. In solchen Teamstrukturen arbeiten wir am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Forschungs- und Industrieprojekten.

 

Gibt es bereits Praxisbeispiele, die Sie als "Best Practice" bezeichnen würden?

Thorsten Krause: Wir haben in unseren Projekten mit KI-Lifecycle-Methoden wie an CRISP-DM-angelehnten Ansätzen sehr gute Erfahrungen gemacht. Auf KUPPEL konstruieren wir damit das Empfehlungssystem für die rekombinierten Lernsequenzen. Auf CLEVER haben wir damit ein Empfehlungssystem für Lehrinhalte realisiert. In beiden Projekten arbeiten wir mit den Didaktik-Experten des Forschungsinstituts Bildung Digital (FoBiD) der Universität des Saarlands sowie der Didactic Innovations GmbH als Implementierungspartner zusammen. Es empfiehlt sich, auch andere Domänen mit ähnlichen Fragestellungen als Orientierung zu nutzen, beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Sender, die zunehmend ihre Online-Angebote personalisieren und dabei ihre Grundwerte berücksichtigen müssen.

 

Sollte es Ihres Erachtens einen sichtbaren Strukturunterschied zwischen individuell erstellten und automatisch generierten Lerneinheiten geben, um sie entsprechend kenntlich zu machen? Oder spielt der Erstellungsprozess in der Anwendung keine Rolle mehr?

Thorsten Krause: In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, die Unterscheidung zwischen individuell erstellten und automatisch generierten Inhalten kenntlich zu machen, während es in anderen Fällen nur geringe Relevanz haben mag. Für die Kennzeichnung des Erstellungsprozesses spricht, dass Lernende und Lehrkräfte ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie die Inhalte generiert wurden und welche Rolle die KI dabei gespielt hat. Dies könnte dazu beitragen, dass Nutzer die Stärken und Schwächen der KI-gestützten Inhalte besser verstehen und angemessene Erwartungen an die Qualität und Genauigkeit der Informationen haben. Außerdem sollte der Einsatz von KI besonders in sensiblen Domänen wie der Bildung transparent sein. Hier sind auch zukünftige Regularien zu berücksichtigen.

Jan Beinke: Wir sind grundsätzlich der Ansicht, dass Inhalte, die von Künstlicher Intelligenz generiert wurden, entsprechend gekennzeichnet werden sollten. Auf der anderen Seite steht das Argument, dass der Erstellungsprozess zunächst keine Rolle spielt, solange die Lerneinheiten qualitativ hochwertig, didaktisch sinnvoll und effektiv sind. In diesem Fall wäre die Kennzeichnung des Erstellungsprozesses nicht unbedingt notwendig, da die Qualität des Lernmaterials im Vordergrund steht, unabhängig davon, ob es individuell erstellt oder automatisch generiert wurde. Am Ende ist Technologie, in diesem Fall Künstliche Intelligenz, kein Selbstzweck, sondern lediglich Mittel zum Zweck: Die Lernenden optimal auf ihrem individuellen Lernweg zu unterstützen.