Strategischer eLearning-Einsatz hilft Fachkräfte zu fördern
Düsseldorf, Juni 2011 - (von Stefan Janssen) Die Zahl ist erschreckend: 77 Prozent der neuen Mitarbeiter gehen an ihrem ersten Arbeitstag früher nach Hause, weil die Firma nicht entsprechend vorbereitet war. Dreiviertel aller Unternehmen die das US-amerikanische Human Capital Institute im vergangenen Jahr befragt hat, sind auf die Situation nicht vorbereitet. Und fast jeder, der einen Jobwechsel hinter sich hat, wird dem zustimmen. Meistens hakt es an Zugriffsmöglichkeiten zum Intranet oder der Vorgesetzte hat aus aktuellem Anlass plötzlich keine Zeit, um ein erstes Gespräch zu führen. Und die neuen Kollegen stecken sowieso bis zum Hals in Arbeit. Als Neuer steht man da wie ein Depp. Nicht verwunderlich, wenn dann 15 Prozent der Mitarbeiter nach einem schlechten ersten Tag über Kündigung nachdenken, wie die gleiche Studie hervorbringt.
Dabei ist der "War for talents" - der Krieg um gute Nachwuchskräfte - längst entbrannt. Gerade in Deutschland können sich kluge Köpfe in Zukunft ihre Arbeitgeber frei aussuchen. Die Wirtschaftskrise verschleiert diese Tatsache nur kurzfristig. Zu erkennen ist das zum Beispiel auch an sinkenden Arbeitslosenzahlen. Die Industrie sucht seit Jahresbeginn wieder verstärkt qualifizierte Leute. Eine Methode neben der externen Suche nach Fachkräften, ist die interne Weiterbildung. Soweit nichts Neues. Allerdings wandelt sich die Art der Qualifizierung in rasantem Tempo.
Im eLearning spricht man vor diesem Hintergrund von einer Strategievorlage, unterteilt in fünf Phasen von Lernszenarien. In Phase eins und zwei, in der noch immer fast 80 Prozent der Unternehmen kauern, geht es lediglich darum, den Bedarf an virtueller Weiterbildung zu decken und Kosten zu optimieren. Wie europaweite Vergleiche zeigen, sind Online-Seminare bis zu einem Drittel günstiger als herkömmlicher Präsenzunterricht.
Phase drei ist der Wendepunkt. Statt wie bisher als ergänzende oder bestenfalls gezielte Einzelmaßnahme verstanden, nimmt eLearning als strategische Weiterbildungsvariante seinen Platz in der unternehmensweiten Qualifizierung ein. Firmen haben begriffen, dass sie nicht ad hoc, sondern strategisch Wissen vermitteln müssen. Gekoppelt an Unternehmensziele und -philosophie.
In Phase vier gewinnt das Talentmanagement an Dynamik. Lernressourcen werden mit Konzepten zur Nachwuchsförderung verknüpft. Gezielt und im Idealfall länderübergreifend, um in Phase fünf anzukommen. Virtuell gestütztes Lernen ist kein Selbstzweck oder Kostenblock, sondern wird gemessen, ausgewertet und bringt das Unternehmen nach vorne. Anhand eines Beispiels wird deutlich wie dieser integrative Prozess aussehen kann.
Die Geschäftsleitung eines großen Handelsunternehmens definiert, dass die Reklamationsquote innerhalb eines Jahres von 15 auf unter acht Prozent sinken soll. Die Personalabteilung schaut daraufhin, welche der rund 45.000 Mitarbeiter aufgrund ihres Rollenprofils oder der Stellenbeschreibung mit Kunden in Kontakt kommen und wo die Häufigkeit von Reklamationen besonders hoch ist.
Ein intelligentes eLearning-System gleicht die Mitarbeiterprofile mit den mehr als 15.000 Kursen im Bestand ab. Pickt die zum Thema Reklamationsmanagement, Konfliktbewältigung oder Telefonservice 15 relevanten Seminare heraus und schlägt sie vor. Zeitgleich bekommen betreffende Abteilungsleiter und deren Mitarbeiter einen Newsletter zugeschickt, in dem auf das Unternehmensziel und die damit verbundene Weiterbildung hingewiesen wird.
In einem Zeitkorridor von einem halben Jahr absolvieren Mitarbeiter Online-Module, die durch Präsenzunterricht angereichert werden können. Nach Abschluss und gegebenenfalls einem Testing sehen die Personalfachleute wie die einzelnen Ergebnisse ausfallen und können nachjustieren, falls weiterer Schulungsbedarf besteht. Schlussendlich muss jedoch die reale Reklamationsquote sinken. Sie zeigt, ob das Wissen verinnerlicht ist und angewandt wird.
Dieses einfache Beispiel verdeutlicht wie Firmen ihre Unternehmensziele strategisch umsetzen können. Der Fall eines international tätigen Dienstleistungsunternehmens, das weltweit Flugzeuge wartet, zeigt eine komplexere Verbindung von virtuellen Weiterbildungsmaßnahmen mit strategischen Zielen: Um zum einen die Standzeiten in den Montagehallen zu verkürzen - Flugzeuge verdienen nur in der Luft Geld - und zum anderen, um die Qualität der Wartung etwa eines Triebwerks zu sichern und zu optimieren, bildet das Unternehmen alle Ingenieure zu Projektmanagern nach den Vorgaben von Six Sigma aus.
Firmen die in der Luftfahrt nach diesem Qualitätsmanagementsystem arbeiten, haben deutlich höhere Chancen, langfristige Wartungsaufträge mit den Airlines abschließen zu können. Bevor die einzelnen Mitarbeiter in einem realen Seminar mit Kollegen ihren zu optimierenden Prozess erörtern und lösen können, absolvieren sie zur Vorbereitung mehrere eLearning-Module.
Dort werden sie in die Lage versetzt, Prozesse aufzuschlüsseln und durch das Verstellen einzelner Schräubchen den Gesamtablauf zu beschleunigen. Das kann zum Beispiel die Erkenntnis sein, dass bei der Triebwerkswartung die haushohen und tonnenschweren Antriebe nicht via teurem Transport von Montageteam zu Montageteam befördert werden, sondern Techniker nacheinander zur Triebwerkskomponente gehen, um ihre Arbeiten wie Lackierung, Softwareupdate und Reparaturen vorzunehmen.
Mit dem Wegfall der Wegstrecken spart das Unternehmen Zeit. Die Wartung wird somit günstiger, weil schneller. Statt wie bisher jährlich 800 Flugzeuge weltweit zu inspizieren, kann der Luftfahrtdienstleister künftig rund zehn Prozent mehr Aufträge annehmen. Die Verknüpfung von Unternehmenszielen mit Renditesteigerung ist mittels implementiertem Talentmanagementsystem gelungen.
Auch den eingangs erwähnten 77 Prozent neuen Mitarbeitern, die früher nach Hause gehen, kann mit einem Talentmanagementsystem geholfen werden. Statt sie mit einem dicken Einweisungsordner gefüllt mit Arbeitsplatzbeschreibungen, Produktdokumentationen und sonstigen Verfahrensanweisungen alleine zu lassen, ist es sinnvoll, für sie virtuelle Einstiegspakete zu schnüren.
Klickt sich der Neue selbständig durch Videos und Animationen, die ihm erklären wie er etwa Reisekosten abrechnet oder CRM-Einträge schreibt, lernt er vom ersten Tag an, sich fehlerfrei im Unternehmen zu bewegen. Das spart einerseits Kosten, weil Doppelarbeit und Korrekturen vermieden werden. Andererseits ist es für jeden neuen Beschäftigten ein enormer psychologischer Vorteil, wenn er im Selbststudium Basiswissen des Unternehmens verinnerlichen kann. Statt frustriert nach sechs Stunden abzuschwirren, steigt die Motivation der Neuen, weil sie sofort produktiv loslegen können.
Im Übrigen helfen solche speziellen Pakete immer an Nahtstellen der Karriere, den Übergang reibungsloser und damit effektiver zu gestalten. Steht beispielsweise für einen Mitarbeiter ein Abteilungs- oder gar Standortwechsel an oder übernimmt die Person ein weiteres Aufgabenfeld, dienen Online-Kurse Wissenslücken im Selbststudium zeit- und ortsunabhänig zu schließen.
Doch nicht nur auf den Fachkräfteebenen ist der Einsatz eines Talentmanagementsystems sinnvoll. Ebenfalls aus einer Studie des Human Capital Institute geht hervor, das ein Manager im Schnitt 13 Mitarbeiter beeinflusst. Somit sind sie der Schlüssel zur Motivation, Leistung und Bindung "ihrer" Angestellten ans Unternehmen.
Wer darüber hinaus realisiert, dass es rund ein halbes Jahr dauert, bis ein Manager seinen Job produktiv erledigen kann und dass die Hälfte seiner Angestellten nicht weiß, was von ihnen am Arbeitsplatz erwartet wird, erkennt, dass akuter Handlungsbedarf besteht, Führungskräfte in ein Lernsystem einzubinden. Aus Untersuchungen geht hervor, dass Unternehmen hierbei vier Themen bevorzugen: Verbesserung der Kommunikation, Training von Coaching-Fähigkeiten, Steigerung der Effizienz und der Aufbau von Problemlösungsstrategien.
Ein weiterer Aspekt bei der Nutzung von eLearning beim Talentmanagement ist der Einsatz von Social-Network-Features. Die junge Generation an Fach- und Führungskräften, die frisch von der Uni in die Firmen strömt, kommuniziert vielschichtiger, als langjährige Mitarbeiter. "Posten", sprich das Mitteilen von persönlichen Nachrichten via Facebook, Twitter und anderer Online-Plattformen, ist für sie ein gängiges Kommunikationsmittel. Ebenso spinnen sich die Youngster ihre Netzwerke virtuell bei Diensten wie StudiVZ oder Xing.
Diese Art der Verknüpfung nehmen moderne eLearningsysteme auf. Social-Network-Elemente in firmeninternen Schulungssystemen wirken wie ein Katalysator. Sie beschleunigen die Akzeptanz und somit die Nutzung, wenn Wissen nicht nur aus Büchern stammt, sondern informell weitergegeben werden kann. In Lern-Communities übernehmen Fachleute etwa aus den HR- oder IT-Abteilungen einen Expertenstatus und empfehlen mit kollegialem Gruß bestimmte Kurse, passende Literatur oder ausgearbeitete und hinterlegte Lernhilfen anderer Kollegen.
Fazit: In den Industrieländern sind unbestritten gut ausgebildete und zeitnah informierte Menschen der wichtigste "Rohstoff". Weil dieser aber immer knapper wird, gilt es, Wissen mittels Talentmanagement zu bündeln und zu strukturieren. Nach Studien nicht nur des Human Capital Institute steigt auch dann die Bindung zum Unternehmen, wenn Firmen ihren Nachwuchskräften von Beginn an veranschaulichen, dass sie an ihrer Karriere arbeiten können. Und ihre Bedürfnisse nach moderne Kommunikation und selbstbestimmtem Lernen gestillt werden.
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