Nutzererfahrungen in der Hochschul-Online-Community
München, März 2008 - Wer im Internet gezielt nach bestimmten Informationen sucht, kommt mit Google nicht immer ans Ziel. "Da muss man sich durch einen Wust von nicht-relevanten Seiten wühlen", kritisiert Martin Wolpers. Er arbeitet als Gruppenleiter "Context and Attention in Personalized Learning Experiences" der Abteilung ICON (Information im Kontext) am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT).
Die Online-Community SLIDESTAR der IMC AG funktioniert nach einem ganz anderen Prinzip: Dort werden Präsentationen und Veranstaltungen von Professoren und Dozenten sowie Seminar- und Abschlussarbeiten von Studierenden eingestellt. Der Vorteil: Die können nicht nur eingesehen und heruntergeladen, sondern auch bewertet und kommentiert werden.
"Der Content, den man selbst ins Netz stellt, kommt mit Verbesserungen und Erweiterungen zurück", sagt Jan Pawlowski. Als Professor am Information Technology Research Institute
der Universität Jyväskylä, Finnland, fördert er den aktiven Wissensaustausch in Internet-Communities. Es gebe Professoren und Dozenten, die seine Vorträge in einem ganz anderen Kontext nutzen, etwa im Bereich der Erziehungswissenschaften. "Es ist immer wieder spannend zu sehen, in welchen unterschiedlichen Situationen das Material genutzt wird."
Kein Imageverlust, sondern mehr Effizienz
Dazu müssten die Dozenten aber erst lernen, dass es keinen Imageverlust bedeutet, wenn man die Folien eines Kollegen verwendet. Der Vorteil: "Die Massenarbeit lässt sich reduzieren, und dadurch kann man sich mehr um die Studenten kümmern und Fallstudien durchführen", so Pawslowski. Wolpers bestätigt: "Die Wiederverwertung ist viel besser, als immer wieder alles neu zu erstellen." Dadurch könne er seine Kurse zu Modellierung und Programmierung effizienter gestalten.
Strukturiertes Browsen bedeutet für Wolpers, auch Links zu verwandten Themen und Inhalten zu erhalten. Er wünscht sich allerdings eine größere Zahl an Autoren und Beiträgen. "Zurzeit haben wir rund 400 registrierte Nutzer", so IMC-Vorstandssprecher Volker Zimmermann. Es bewegen sich zwar wesentlich mehr Menschen auf den Seiten, aber wer Präsentationen herunterladen oder bewerten will, muss sich anmelden.
Keine Angst vor Transparenz
"SLIDESTAR ist nicht Wikipedia - die Urheber der eingestellten Inhalte sind klar erkennbar", erklärt Stefanie Panke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissensmedien in Tübingen. Sie nutzt SLIDESTAR, um schneller auf neue Forschungsergebnisse zuzugreifen. Bei aller Begeisterung für Transparenz sieht sie aber auch das Problem von Plagiaten.
Um Urheberrechtsverletzungen vorzubeugen, können die Autoren über sechs Lizenzebenen selbst bestimmen, welche User welche Inhalte lesen und verändern dürfen. Die einen stellen ihr Material nur einer kleinen, exklusiven Gruppe zum Lesen zur Verfügung, andere geben ihren Content der gesamten Community zum Bearbeiten frei. Der Vorteil der geschlossenen Nutzergruppen liegt darin, dass das Zeigen von Material Dritter nicht gegen das Urheberrecht verstößt, denn das war bisher auch in realen Vorlesungen erlaubt.
"Die Inhalte gehören dem Autor, andere können ihn nicht einfach überschreiben", sagt Sven Becker, Student der Universität des Saarlandes, der bisher acht Referate in SLIDESTAR veröffentlicht hat. "Wenn der Autor die Bearbeitung und Kommerzialisierung nicht erlaubt hat, kann er sein Copyright vor Gericht geltend machen, auch wenn das nicht in der allgemeinen Rechtssprechung verankert ist", erklärt er.
Austausch von Ressourcen statt Instruktion von oben
Durch Web-2.0-Technologien hat sich eLearning stark verändert: Die IMC AG verkauft zwar nach wie vor viele Lernmanagementsysteme (LMS), doch SLIDESTAR liegt ein ganz anderes Prinzip zugrunde: "Ein LMS ist instruktionsorientiert, SLIDESTAR ist Ressourcen-basiert", so Zimmermann. Während ein LMS vorwiegend bei gezielten Schulungen von Mitarbeitern zum Einsatz kommen - inklusive Organisation und Bildungsmanagement - gehe es bei SLIDESTAR darum, Wissen zu suchen und Experten und Anwender zusammenzuführen. "Ein solches Portal wird nicht von einer zentralen Stelle aus verwaltet, sondern ist User-getrieben."
Die Wiederverwertung von Content erhöht nicht nur die Effizienz, sondern auch die Qualität der Lehre. "Bisher hatten wir nur die Exzellenz in der Forschung, jetzt bekommen wir auch eine Exzellenz in der Lehre", so Zimmermann. Während schon heute die Arbeit von Forschern durch deren Publikationen sehr transparent ist, konnte man bisher nicht hinter die Kulissen der Hochschullehre blicken. "Über Kommentare und Bewertungen kann nun jeder sehen, wie gut welcher Professor oder Dozent unterrichtet", freut sich Zimmermann. Das gilt aber auch für die Studierenden: Zur Ergänzung des Materials ihrer Lehrkräfte sollen auch sie ihre Referate sowie Semester- und Abschlussarbeiten zur Verfügung stellen und müssen mit Feedback rechnen.
Slidespots - Ballungszentren des Wissens
Die Funktion Slidespots ermöglicht sogar ein sogenanntes Geo-Tagging. Das heißt: Die Autoren lassen sich auf einer interaktiven Landkarte orten. Was zunächst wie ein Widerspruch zum ortsungebundenen Internet aussieht, hat jedoch seinen Sinn: "Wenn ich wissen will, welche Inhalte die TU München zu einem bestimmten Thema erstellt hat, klicke ich einfach auf die Karte", erklärt Becker. "Über personenbezogene Daten kann man sich ähnliche und verwandte Inhalte aus einer Region anschauen", bestätigt Panke aus Tübingen, "so findet man auf einen Blick die Forschungsschwerpunkte in Deutschland."
Technisch gesehen ist der Einsatz von SLIDESTAR sehr einfach. "Die Umstellung liegt in der Methodik", so Pawlowski. Die gemeinschaftliche Erarbeitung von Lösungen in einer Community sei das Konzept der Zukunft. "Bei der steigenden Spezialisierung von Inhalten wird der Anteil an vorgefertigten Materialien zurückgehen, und dafür werden mehr Services um das Material herum benötigt - also gute Kurs- und Betreuungskonzepte."
SLIDESTAR befindet sich in einer Betaphase, und das wird auch so bleiben. "Perpetual beta" nennt sich das Prinzip der schrittweisen Entwicklung, bei der auf Grund von Anregungen der Community kontinuierlich Verbesserungen vorgenommen werden. Zurzeit arbeitet die IMC AG an einer Funktion, die eine präzisere Suche nach persönlichen Kriterien ermöglicht. Auch Fachgruppen werden die User bald individuell anlegen können. "Das brauchen wir zur Kommunikation untereinander und um Referate zusammenzuführen, die zusammenpassen", erklärt der Student Becker.
Fazit und Ausblick
Professoren müssen sich keine Sorgen machen, dass sie plötzlich allein im Hörsaal stehen. "Die Studenten kommen trotzdem, wenn sie aktiv in den Unterricht eingebunden werden", weiß Becker aus Erfahrung, "es kommt aber darauf an, wie attraktiv man seine Vorlesungen gestaltet." Wenn sich SLIDESTAR bei Professoren, Dozenten und Studenten einmal durchgesetzt hat, könnten auch Unternehmen einen Wissenspool aufbauen - beispielsweise für ihre Außendienstmitarbeiter. "Selbst Veranstalter von Messen und Kongressen könnten dort ihre Informationen einstellen", schlägt Becker vor. "Das ist aber noch weit weg", glaubt Zimmermann. Er will sein Konzept in diesem Jahr erst einmal an Hochschulen etablieren.
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