Einschätzung der Lage

Wo stehen deutsche Universitäten heute?

Hamburg, Juli 2007 - (von Dr. Ulrich Schmid) Wahrscheinlich war es nie schwerer als heute, eine Hochschule zu leiten. Alles ist neu: Studiengebühren, Bachelor- und Masterprogramme, Wettbewerb und Globalisierung. Dazu kommen steigende Studentenzahlen und höhere Erwartungen an die Qualität der Lehre. Welche Möglichkeiten das Internet gerade in diesem Veränderungsprozess bieten kann, haben bisher nur wenige deutsche Hochschulen ausreichend erkannt.



Wahrscheinlich war es nie schwerer als heute, eine Hochschule zu leiten. Alles ist neu: Studiengebühren, Bachelor- und Masterprogramme, Wettbewerb und Globalisierung. Dazu kommen steigende Studentenzahlen und höhere Erwartungen an die Qualität der Lehre. Welche Möglichkeiten das Internet gerade in diesem Veränderungsprozess bieten kann, haben bisher nur wenige deutsche Hochschulen ausreichend erkannt.


Gerade bei der digitalen Lehre überwiegen Skepsis und Zurückhaltung. Nur fünf Prozent der Lehrveranstaltungen werden nach Schätzungen der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft hierzulande vollständig online durchgeführt. Neben der Virtuellen Fachhochschule Lübeck und den rund 170 Online-Kursen der Virtuellen Hochschule Bayern ist das, was deutsche Hochschulen im Netz haben, eher mager und wenig systematisch.


Dabei hat die webgestützte Lehre längst ihren Nutzen erwiesen - didaktisch wie wirtschaftlich. Das Internet selbst ist zu einer mächtigen Lernumgebung geworden. Seine Möglichkeiten zu nutzen, gehört zu den akademischen Kernkompetenzen unserer Tage. Nach einer Befragung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) und des Multimedia Kontors Hamburg glauben zwar die meisten Hochschulen, dass die Studenten digitale Lehrangebote begrüßen. Wenn es aber um die Wirtschaftlichkeit geht, hat man Zweifel: Nur ein Drittel verspricht sich Einsparungen oder Einnahmen durch eLearning.

In den Vereinigten Staaten hat das eLearning längst einen ganz anderen Stellenwert erreicht. Zwei Drittel der großen US-Hochschulen verfügen über Online-Studienprogramme. Seit 2003 wächst dort die Zahl der Online-Studenten jährlich um fast 20 Prozent. Im Herbst 2006 studierten 3,2 Millionen Menschen in den USA ganz oder teilweise online.


Wie immer man diese Entwicklungen beurteilt: Unstrittig ist, dass die digitale Informationskultur in das traditionelle Hochschulsystem eingedrungen ist und deren "Autoritäten" immer stärker herausfordert. Ein Beispiel dafür ist www.MeinProf.de, eine aus den USA kopierte Meinungsseite zur Bewertung von Professoren. In Deutschland wurde eher ungemütlich darauf reagiert: Man befürchtete Rufschädigung und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Doch es sind nicht die Macher von MeinProf.de, die an den Lehrstühlen sägen, sondern all die Studierendenkommentare zur Leistung ihrer Professoren.


MeinProf.de ist damit ein Teil jener neuen Medienkultur, in der Wissen auch jenseits der Institutionen entsteht. Die Nutzer produzieren es selbst, und es fließt verlinkt und kommentiert über unzählige Communitys, Web-Seiten, in Wikis, Blogs und Foren. Da kann es schon passieren, dass eine Studentin ihren Professor noch während der Vorlesung mit anderslautenden Informationen konfrontiert, die sie zum Beispiel dem Wiki eines Kommilitonen entnommen hat.


Wie werden sich also Lehrende und Fakultäten behaupten können, wenn sich erst die "Generation Web 2.0" immatrikuliert? Diejenigen werden standhalten, die auch ein Standbein im Internet haben. Diejenigen werden gefunden, die Google findet.


Dies erkennen inzwischen auch immer mehr Hochschulen weltweit. So stellen beispielsweise das MIT und über 200 andere Hochschulen rund um den Globus Tausende von digitalen Kursen und Modulen kostenlos ins Internet. Und während das MIT rund 2000 frei verfügbare Kurse komplett ins Chinesische übersetzt, die University of Illinois 20 Millionen Dollar in ihren onlinebasierten Global Campus investiert und die University of Utah ihren kompletten Campus in Second Life nachbaut, haben die meisten deutschen Unis noch genug mit der ersten Welt zu tun.


Aber Vorläufer gibt es auch hier. Die FU Berlin, die Universität Hamburg oder die TU München, aber auch Freiburg, Karlsruhe, Paderborn könnten in wenigen Jahren zu den führenden I-Universities Europas gehören. Die anderen tun gut daran, sich der alten Internetregel zu entsinnen: Die Konkurrenz ist immer nur einen Klick weit entfernt.