Deep Learning

Künstliche Intelligenz als individueller Mentor

Bremen, Juni 2021 - Es gilt, ein komplexes Produkt wie zum Beispiel eine spezielle Pumpe händisch zu montieren, und ein Assistent gibt schrittweise Tipps – individuell zugeschnitten auf einen bestimmten Menschen an seinem Montagearbeitsplatz. Das System gibt Hinweise zu einzelnen Handgriffen und erforderlichen Bauteilen, bei Bedarf liefert es auch Erklärungen und Empfehlungen zur schonenderen Körperhaltung bei der Tätigkeit. Nebenbei lernt der Arbeitende dazu. Neue Sensortechnik und künstliche Intelligenz machen es möglich. 

Das BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik an der Universität Bremen und Projektpartner Armbruster Engineering (Bremen) haben ein solches neuartiges Assistenzsystem entwickelt. Das System analysiert die an der Montagestation gesammelten Prozessdaten sowie kamerabasiert erfasste Informationen unter Einsatz von Bildverarbeitungs- und maschineller Lernverfahren im Hinblick auf die ergonomische und produktionsbezogene Arbeitssituation. Es überprüft den Montageprozess sowie die Qualität des fertigen Produkts. Dabei integriert es mitarbeiterzentrierte Assistenzfunktionalitäten. Bisher standen bei Assistenzsystemen nur die zu fertigenden Produkte und deren Qualität im Fokus.

"Im Vordergrund steht der arbeitende Mensch mit seinen individuellen Fähigkeiten"

"Mit dem Assistenzsystem wollen wir die menschliche Arbeit nicht ersetzen, sondern sie bestmöglich unterstützen. Sie soll leichter werden und auch für auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligte möglich werden", sagt Christoph Petzoldt, BIBA-Wissenschaftler und Projektleiter. "Dieser Assistent fördert individuell je nach Bedarf, und er motiviert, schafft eine konstruktive Arbeitsumgebung. Wir stellen den arbeitenden Menschen mit seinen individuellen Fähigkeiten in den Vordergrund."

So funktioniert es

Optische Sensoren (Tiefenkameras) erfassen den Prozessfortschritt am Arbeitsplatz aus mehreren Perspektiven, zum Beispiel Handgriffe wie die Entnahme der einzelnen Bauteile aus den Vorratsbehältern und die Montagetätigkeit an sich. Die Kameras liefern ihre Bild- und Tiefendaten an das System, das diese in einem ersten Schritt mithilfe von Bildverarbeitungsverfahren in Echtzeit erkennt und auswertet.

Bei der Analyse zur Bewertung der Körperhaltung (Ergonomie) und für das Verfolgen der Handbewegungen des Arbeitenden (engl. hand tracking) setzt das System auf Methoden des "Deep Learning". Das steht für "tiefgehendes Lernen", eine Schlüsseltechnologie der künstlichen Intelligenz (KI). Das System wird mit jeder seiner Berechnungen besser, denn es baut seine Analysen und Prognosen selbstständig auf bereits Erlerntem auf. Basierend auf diesen analysierten Informationen und allgemeinen Prozessdaten wie Prozesszeiten und Fehlern erfolgt dann eine Individualisierung der Assistenz.

Die mithilfe der KI generierten Informationen bereitet das System für vielfältige Nutzungen auf – zunächst für die manuelle Arbeit direkt an der spezifischen Montagestation: über Beamer-Projektionen auf die Arbeitsfläche erfolgen die aktuelle Arbeit begleitende Darstellungen. Bei Bedarf erhalten die Arbeitenden auch ergänzende Informationen und Hilfen – einerseits zur technischen Montagetätigkeit mit Optionen, nebenbei hinzuzulernen, und andererseits zur gesundheitsschonenden, individuellen Optimierung ihrer Körperhaltung bei der Arbeit, der Ergonomie.

Durch die Beobachtung des Montagefortschritts, die gezielte Informationsbereitstellung sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Montierenden steigert das System die Prozesseffizienz sowie Montagequalität und verbessert die Arbeitssituation durch spezifische Unterstützungen mittels Motivations- und Weiterbildungsstrategien und -techniken.

Motivierung und Hinzulernen mittels Gamification

Ein Ziel ist auch die bessere und zielgenauere Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Steigerung der Eigenmotivation. Gamification steht für die systemische Motivierung durch Anreize und bezeichnet den Prozess des spielerischen Hinzulernens mit Techniken, die ursprünglich aus der Welt der Computerspiele kommen und für den Einsatz in der Industrie weiterentwickelt wurden. Mittels gamifizierter Darstellungen der Informationen wird der Arbeitsprozess für die Arbeitenden ergonomischer und anregender gestaltet. Sie lernen nebenbei während ihrer praktischen Arbeit "spielend" dazu. Mittels der gelieferten Daten des KI-Systems werden die gamifizierten Elemente vom Spiel-Design-Konzept gesteuert.

Effizient, effektiv und hohe Akzeptanz bei Nutzerinnen und Nutzern

Mithilfe der neuartigen Montageassistenz-Funktionalitäten durch die Kombination von informatorischer Prozessführung mit Projektion, automatischer Überwachung von Montageprozess- und Bauteilfortschritt, Ergonomie-Haltungserkennung sowie anreizbasierter Gamification konnte eine deutliche Reduktion von Montagefehlern und Prozesszeiten erreicht werden. Besonders bei Bestätigungsschritten wurden hohe Effizienzsteigerungen festgestellt. Zudem ergaben die projektbegleitenden Nutzerstudien, dass die Maßnahmen zur Unterstützung und Anreizgestaltung zu einer hohe Akzeptanz bei den Arbeitenden führen.

"Teilhabe auch kleiner und mittlerer Betriebe an Industrie-4.0-Entwicklung sichern"

"Mit diesem Assistenzsystem ist eine Lösung entstanden, die soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigt und der aktuellen Arbeitsmarktsituation Rechnung trägt. Es ermöglicht – bei gleichzeitiger Gewährleistung hoher Produktqualität – die Integration auch von Menschen, die zum Beispiel wegen Alter, Handicap oder Geringqualifizierung heute noch häufig durchs Auswahlraster von Personalabteilungen fallen", sagt BIBA-Leiter Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag. "Das System ist für manuelle Montageprozesse in Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen einsetzbar. Dabei ermöglicht es auch kleinen und mittleren Unternehmen eine Teilhabe an den rasant fortschreitenden Industrie-4.0-Entwicklungen."

Eckdaten zum Projekt AxIoM

Das Kooperationsprojekt "Gamifiziertes KI-Assistenzsystem zur Unterstützung des manuellen Montageprozesses" (AxIoM) unter Leitung des BIBA lief 22 Monate. Als Entwicklungspartner war Armbruster Engineering, ein Bremer Spezialist für Montageassistenzsysteme, beteiligt. Das Vorhaben wurde über die Bremer Aufbaubank (BAB) mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert und begleitet. Entstanden ist der Prototyp eines KI-gestützten Assistenzsystems für eine Montagestation in der manuellen Produktion wie zum Beispiel bei der Herstellung von Kleinserien.