Kompetenzerwerb

Mediensozialisation und Lernerfolg gehen Hand in Hand

Zürich (CH), Januar 2011 - Herkömmliche Computerspiele taugen zum Amüsement, Lernsoftware dient dem Wissenserwerb. All zu oft unterscheiden Erwachsene zwischen U und E - genau wie bei Musik. Eine etwas künstliche Trennung, findet Daniel Süss, Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und an der Universität Zürich. Er verweist darauf, dass Mediensozialisation und Lernerfolg bei Kindern und Jugendlichen durchaus Hand ins Hand gehen. Die Digital Natives erwerben nämlich auch beim normalen Spielen und Surfen eine Reihe von Kompetenzen. Und das bei Aufgaben, "bei denen Erwachsene hoffnungslos überfordert sind". Sein Appell: "Virtuelle Welten sollte man nicht als exotisch betrachten."

Was lernen Kinder oder Jugendliche denn beim Spielen und Surfen?

Prof. Daniel Süss: Sie üben, blitzschnell auf veränderte Situationen zu reagieren. Auch die Auge-Hand-Koordination wird geschult. Beim Spielen im Team machen sie die wertvolle Erfahrung, dass man nur gewinnen kann, wenn man zusammenarbeitet. Sie lernen einzuschätzen: Wer hat welche Stärken, wer ist auf welcher Position am besten?

Erfolgt denn auch ein Transfer dieser Kompetenzen von der Online- in die reale Welt?

Prof. Daniel Süss: Wir wissen, dass Mädchen - die naturgemäß einen etwas weniger stark ausgeprägten räumlichen Orientierungssinn haben - von der Beschäftigung mit Computerspielen, wenn diese Fähigkeit dort gefordert war, profitieren. Das hat sich durch anschließende Tests herausgestellt.

Gibt es noch andere positive Aspekte?

Prof. Daniel Süss: Eine US-Studie zu Gaming zeigte, dass Heranwachsende ausgeprägt und mit Ausdauer nach Erfolg streben. Dies wird bewirkt durch das Konzept der Belohnung. Die jungen Gamer kommen nur voran, wenn sie sich nicht durch Rückschläge entmutigen lassen, wenn sie neue Strategien entwickeln. Dieses Explorieren mit der Aussicht auf Erfolg verschafft neue Einsichten.

Das heißt also, die Teilnehmer entwickeln eine gewisse Frustrationstoleranz, was ja nicht schaden kann im Leben...

Prof. Daniel Süss: Ja, und sie suchen auf eigene Faust nach Hilfe. Sie stellen ihre Fragen ins Netz, entwickeln eigene Experten-Netzwerke oder finden Zugang dazu. Das ist ein wirklicher Gewinn: Einzusehen, dass man ganz unkompliziert fragen kann, ohne Angst vor irgendwelchen Hierarchien.

Wer sich beim "Daddeln" anstrengt, tut das nicht unbedingt bei den Hausaufgaben. Was können Erwachsene tun, den Transfer in sonstige Lernwelten zu begünstigen?

Prof. Daniel Süss: Am besten motiviert man Kinder, indem man gemeinsam Ziele setzt und den persönlichen Fortschritt honoriert, also nicht ständig misst, wo das Kind im Vergleich zu den anderen steht, sondern im Vergleich zu den persönlich angestrebten Zielen. Zudem kann man Kinder anregen, über ihre Taktiken und Lösungswege nachzudenken, die sich bewährt haben und wie sie diese für neue Aufgaben nutzen können. Das ist ihnen auch aus der Welt der digitalen Medien vertraut.

Haben Digital Natives eigentlich eine bessere oder veränderte Selbstlern-Kompetenz als die Generationen vor ihnen?

Prof. Daniel Süss: Digitale Medien ermöglichen es Kindern und Jugendlichen heute sehr viel früher, sich Welten selbständig zu erschließen, die Erwachsenen verschlossen sind. Früher waren die Älteren die Türöffner. Sich jedoch Wissen, sogar eine gewisse Expertise anzueignen und sich damit als selbstwirksam zu erleben - das ist in der Tat ein zentrales Erlebnis im Umgang mit digitalen Medien.

Wie können Erwachsene dies nachvollziehen oder auch wertschätzen lernen?

Prof. Daniel Süss: Indem sie nicht einfach einen Rechner ins Kinderzimmer stellen und das war es. Sie sollten sich interessieren und selbst einmal teilhaben. Bei ganz bestimmten Angeboten wie World of Warcraft ist das vielleicht zu aufwändig, weil der Einstieg viel Geduld erfordert. Doch dann sollte man sich das wenigstens zeigen lassen und vielleicht auch eine Weile dabei sein. Wir haben sogar schon Kinderärzte bei Shooterspielen gegeneinander antreten lassen. Das förderte ein ganz neues Verständnis dafür, was ihre Klientel beschäftigt und fasziniert.

Ab wann wird es kritisch? Wenn Kinder gar nicht mehr auftauchen mögen aus ihrer virtuellen Welt?

Prof. Daniel Süss: Die Gefahr besteht bei Spielen, die immer weiterlaufen - auch wenn man gerade nicht dabei ist. Jungen engagieren sich bei Spielen, bei denen man Kräfte verliert oder Terrain, wenn man die Handlung verlässt. Mädchen richten lieber Häuser ein und nehmen sogar virtuell an Schönheitswettbewerben teil. Wenn man aber jeden Tag seinen Avatar schminken muss, dann ist das grenzwertig.

Was können Eltern tun, um den Medienkonsum in Schach zu halten?

Prof. Daniel Süss: Ruhig Regeln aufstellen - womit ich jetzt nicht einen sturen Blick auf die Uhr meine. Das wichtigste aber ist, Interesse zu bekunden. Eltern sollten ruhig wissen, mit welcher Art von Spiel sich ihr Kind beschäftigt. In Österreich gibt es etwa die Stelle für Positivprädikatisierung, sie findet sich im Internet unter www.bupp.at. Und sie sollen eine Alternative aufzeigen, wenn ihr Kind bei einer Recherche nicht weiterkommt. Digital Natives neigen zur Annahme, zu einem Thema existierten keine Informationen, wenn sie darüber im Netz nichts finden. Da sind die Erwachsenen gefordert: Sie müssen aufzeigen, wo es sonst noch Wissensschätze zu heben gibt.



Prof. Dr. Daniel Süß spricht im Rahmen der Sektion "Specials 5" des LEARNTEC Kongresses am 3. Februar 2011 um 11 Uhr.