'Weiterbildung 2010'

Auch jenseits der 50 hoch motiviert

München, Oktober 2011 - (von Prem Lata Gupta) Noch nie hat sich die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen in Deutschland in solch hohem Ausmaß weitergebildet. Das zeigen die Ergebnisse aus dem Bericht "Weiterbildungsbeteiligung 2010", der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragt wurde. Mitherausgeberin des im Oktober 2011 erschienenen Berichts, Frauke Bilger von TNS Infratest Sozialforschung, spricht über ausgewählte Ergebnisse und mögliche Interpretationen: IKT-Kompetenzen und die Motivationslage allgemein.




Was ist so auffällig daran, dass sich heute Menschen jenseits der 50 weiterbilden?

Frauke Bilger: Erhoben werden die Informationen zum "Weiterbildungsverhalten in Deutschland" im Auftrag des BMBF seit 1979, also seit gut 30 Jahren. Früher erfolgte die Erhebung nach dem Konzept des "Berichtssystems Weiterbildung" (BSW), seit 2007 als Teil des europaweiten "Adult Education Survey" (AES) nach dem AES-Konzept.


Erstmals liegt die Weiterbildungsbeteiligung der 50- bis 64-Jährigen in Deutschland bei 38 Prozent. Noch nie lag sie so hoch. Seit 1979 (Beteiligungsquote 11 Prozent) hat sich nicht nur die Beteiligungsquote an Weiterbildung in der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen gut verdreifacht, sondern auch der Unterschied zur jüngsten Betrachtungsgruppe der 18- bis 34-Jährigen nennenswert verringert. Er liegt nach dem AES 2010 bei zwei Prozentpunkten.

Was könnten die Gründe für diese erhebliche Veränderung sein?

Frauke Bilger: Die Weiterbildungsbeteiligung ist seit der ersten Erhebung in 1979 in allen Altersgruppen deutlich angestiegen. Bildungspolitisch wurden viele Schritte unternommen, um insbesondere die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen zu einer höheren Weiterbildungsbeteiligung zu motivieren. Hintergründe sind die demografische Entwicklung und der zunehmende Fachkräftemangel. Die hohe Bedeutung der Arbeitskraft von Personen von 50 Jahren und älter scheint auch den Betrieben deutlich zu sein.


Die Beteiligungsquote an betrieblicher Weiterbildung liegt nach dem AES 2010 mit 20 Prozent zwar unter dem Durchschnittswert von 26 Prozent. Zieht man die verbleibende Dauer des anstehenden beruflichen Karrierewegs, aber vor allem die berufliche Situation in Betracht, ist die Tatsache, dass Betriebe und Individuen der älteren Gruppe in immerhin jedem fünften Fall in Weiterbildung investieren, als positiv zu bewerten.

Wenn man ausschließlich Erwerbstätige nach verschiedenen Altersgruppen mit einander vergleicht, verschwinden bzw. marginalisieren sich die Beteiligungsunterschiede.

Bei dem Indikator in Weiterbildung investierte Zeit zeigen sich bei der jüngeren Gruppe höhere Werte als bei der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen. Gründe hierfür sind wiederum in der berufsbiografischen Situation zu suchen: Personen mit einer längeren beruflichen Perspektive sind eher bereit, sich mit Hilfe zeitintensiver Maßnahmen z.B. umschulen zu lassen.

Sie unterscheiden zwischen betrieblicher Weiterbildung, individueller berufsbezogener Weiterbildung und nicht-berufsbezogener Weiterbildung. Warum?

Frauke Bilger: Wie bereits erwähnt, ist die deutsche Erhebung zum Weiterbildungsverhalten Teil der europäischen Statistik (AES). Deutschland muss die von Eurostat vorgegebenen Indikatoren bedienen, um den europaweiten Vergleich gewährleisten zu können. Das bringt mit sich, dass die für das deutsche System relevante Unterscheidung nach allgemeiner und beruflicher Weiterbildung - wie zuvor nach dem BSW-Konzept möglich - nach dem AES-Konzept nicht mehr vorgenommen werden kann.

Insgesamt hat die Befragung ja leichte Verschiebungen bei den Themen ergeben: Der Bereich "Sprachen, Kultur und Politik" ist leicht rückläufig. Der Bereich "Wirtschaft, Arbeit und Recht" ist von 27 auf 31 Prozent gewachsen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Frauke Bilger: Eine datenbasierte Erklärung hierfür zu finden, ist nicht leicht. Interpretativ könnte die Wirtschaftskrise, die in den Betrachtungszeitraum des AES 2010 eingeht, als Erklärung herangezogen werden. Dass in einer Phase, in der Arbeitsplätze unsicher erscheinen oder gefährdet sind, die Themenwahl der Weiterbildungsteilnehmenden eher in den beruflichen Bereich fällt als in den kulturellen, erscheint, insbesondere bei den eher sicherheitsbestrebten Deutschen, nicht überraschend.

Grundsätzlich haben die Befragten ja konkrete Erwartungen und verweisen auf konkrete Verbesserungen: Zum Beispiel erwarten 45 Prozent durch die Weiterbildung in der Arbeit mehr leisten zu können und immerhin 31 Prozent geben einen so genannten realisierten Nutzen an...

Frauke Bilger: Natürlich korreliert die Nutzenerwartung stark mit der Art der realisierten Weiterbildungsaktivität. Von allen Weiterbildungsaktivitäten wird zu 45 Prozent erwartet, dass man nach einer Teilnahme in der Arbeit mehr leisten kann. Betrachtet man ausschließlich die Aktivitäten der betrieblichen Weiterbildung liegt dieser Wert mit 57 Prozent deutlich höher. Sicherlich positiv zu bewerten ist, dass aus Sicht der erwerbstätigen Befragten dieser Nutzenaspekt für immerhin 50 Prozent der Weiterbildungsaktivitäten auch realisiert werden konnte.

Aber auffällig ist doch, dass mit 59 Prozent die höchsten Werte erzielt werden bei der Antwortmöglichkeit "persönlich zufriedener sein durch mehr Wissen und Können"!

Frauke Bilger: Individuen definieren sich häufig auch über die Arbeit. Insofern ist es wichtig, dass sie nicht nur berufliche, sondern auch persönliche Nutzenerwartungen an Weiterbildungsaktivitäten haben. Ein persönliches Interesse sollte damit einhergehen, besser lernen zu können.

Werden nicht auch zusätzliche Potenziale durch die Ergebnisse offenbar? Demnach bilden sich gebildete Menschen weitaus stärker fort als Mitarbeiter mit einfacheren Schulabschlüssen.

Frauke Bilger: Natürlich muss man abwägen, welche Weiterbildung wem nützt. Jemand aus der Produktion wird nicht ein Managementseminar benötigen, vielleicht auch nicht wollen. Grundsätzlich zeigen nicht zuletzt die PISA-Ergebnisse, dass in Deutschland stärker als in anderen Ländern, das Bildungsniveau der Kinder stark mit dem im eigenen Elternhaus zusammenhängt. Das setzt sich im Erwachsenenalter fort. In der Regel sind zudem wissensintensive Berufstätigkeiten zugleich diejenigen, die am meisten Anpassungsleistungen bzw. Wissensaktualisierungen erfordern.

Was ebenfalls auffällt, ist die Bereitschaft, einen Teil der Kosten für Weiterbildung selbst zu tragen. Ist das ein neuer Trend?

Frauke Bilger: Insbesondere seit Lissabon hat die Bedeutung von Lebenslangem Lernen in der schnelllebigen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft stark zugenommen. Zur Wissensaktualisierung ist Weiterbildung hoch bedeutsam. Damit einher geht auch, dass Berufstätige beispielsweise in der Freizeit lernen oder selbst Kosten übernehmen, um sich Wissen anzueignen.

Aber auch hier kommt die berufliche und persönliche Situation der Individuen ins Spiel. Geringer Qualifizierte verfügen häufig über geringere Mittel. Die eigene finanzielle Situation kann entsprechend auch eine Barriere darstellen.

Computer und Internet scheinen für die Älteren kein so großes Hemmnis mehr zu sein. Noch vor wenigen Jahren sprach man von Silversurfern, die speziell geschult werden mussten. Sind diese Zeiten vorbei?

Frauke Bilger: Der Anteil der Computer- und Internetnutzer ist nach dem AES zwischen 2007 und 2010 deutlich angestiegen. In 2010 liegt die Nutzerrate in Deutschland bei immerhin 86 Prozent. Dass diese Quote in Gruppe der 55- bis 64-Jährige bei immerhin 69 Prozent liegt, ist vor dem Hintergrund, dass die Nutzung sicherlich noch nicht in der Schule erfolgte, bemerkenswert.

Nach dem AES 2010 verfügen immerhin 70 Prozent in der erwerbsfähigen Bevölkerung über IKT-Kompetenzen auf wenigstens mittlerem Niveau. Dieser Wert liegt bei den 45- bis 54-Jährigen bei 65 Prozent und bei den 55- bis 64-Jährigen bei 50 Prozent. Weil die Älteren aber nicht die Möglichkeit hatten, diese Kompetenzen im schulischen Kontext zu erwerben, ist der genannte Anteilswert von 50 Prozent mit wenigstens mittleren Kompetenzen als überaus positiv zu bewerten. Nicht zuletzt aufgrund des Kohorteneffekts ist davon auszugehen, dass eine nächste AES-Erhebung etwas höhere Quoten in der älteren Gruppe mit sich bringen wird.