Interkulturell

eLearning in der globalisierten Welt

Prof. Frank ThissenStuttgart / Karlsruhe, Januar 2006 - Dass wir heute im und für das globale Dorf lernen, ist eine Binsenweisheit. Doch keiner weiß so recht, wie dies geschehen soll und auf welche Schwierigkeiten man dabei stößt. Antworten gibt Prof. Dr. Frank Thissen von der Hochschule der Medien in Stuttgart, der u.a. zusammen mit DaimlerChrysler Lernprogramme für China untersucht hat, und für die Learntec eine Vortragsreihe zu interkulturellem Lernen organisiert hat.



Multimediales Lernen in verschiedenen Kulturen - wo liegen die Herausforderungen?

Thissen: Wer Lernprogramme für die globale Anwendung entwickelt, muss sich über verschiedene Lernkulturen und Traditionen intensiv Gedanken machen. Werden Programme einfach nur übersetzt und nicht an die andere Kultur angepasst, kommt es zu Verständnis- und Akzeptanzschwierigkeiten. Probleme gibt es zum einen auf der Symbolebene. Chinesen z.B. gehen mit Farben anders um. Rot ist für sie die Farbe der Freude und viel positiver besetzt als bei uns.

Falsche Antworten in Rot zu kennzeichnen wird zu Fehlinterpretationen führen. Auch die Art und Weise, wie man mit Schriften und mit Bildern umgeht, ist anders. Für uns wirken chinesische Bilder und Folien kitschig. Die Chinesen empfinden unsere Folien als absolut langweilig. Das sind Symbole, die missverstanden werden, die ein Gefühl von Fremdheit hervorrufen.

Es heißt, Chinesen wollen auswendig lernen. Stimmt das?

Thissen: Ja, das Wort dafür heißt: "Die Gans stopfen" - sie pauken, was sie wissen sollen. Sie wollen nicht reflektieren. Sie wollen, dass der Lehrer ihnen sagt, was zu lernen ist. Ein deutsches Lernprogramm, das auf der zweiten Seite fragt: Was hältst du denn davon? - irritiert Chinesen, weil sie nicht gefragt werden wollen. Das entspricht nicht ihrer Lernkultur.

Ihre Erwartungshaltung ist eine andere. Für einen Lerner in China ist erst einmal wichtig: Wer ist der Lehrer bzw. die Institution? DaimlerChrysler, für die wir Lernprogramme analysiert haben, gilt in China als tolles Unternehmen. Das muss dann aber im Programm auch ganz deutlich werden. Ein kleines Logo links unten in der Ecke ist viel zu wenig.

Worauf ist besonders zu achten beim Export von Lernprogrammen?


Thissen:
Vertrauen. Wenn ich mich auf ein elektronisches Programm einlasse, ist es etwas anderes, als wenn mir ein Mensch gegenübersteht, wo ich blitzartig - wie der Hirnforscher Gerhard Roth sagt - erspüre, wem ich vertrauen kann. Das fehlt im Lernprogramm. Stattdessen schaut der Lerner auf Signale wie Bilder und Screen-Design. Wie seriös kommt es daher? Wenn man die Kultur nicht in gewisser Weise spiegelt, kommt es zu Akzeptanzproblemen.

D.h. ohne Lokalisierung geht es nicht?

Thissen: Man muss über die Symbolebene und über die Interaktionsebene Bescheid wissen. Was ist in einer Kultur wichtig? Welche Traditionen gibt es? Der Forscher Geert Hofstede hat Kulturdimensionen definiert. Eine davon behandelt die Frage, wie mit Machtverhältnissen umgegangen wird. In China, Indien oder Sri Lanka würde sich keiner trauen, den Lehrer zu kritisieren. Das geht soweit, dass sogar falsche Sachen übernommen werden.

In Indien ist der Guru-Begriff immer noch sehr verbreitet. Der Lehrer ist dort ein Halbgott. Vieles wird nicht akzeptiert, weil es fremd wirkt und damit in gewisser Weise etwas Feindliches ist. Weil kein Vertrauen aufgebaut wird. Und weil man von vielen Lerner nicht voraussetzen kann, dass sie das reflektieren. Sie nehmen es unbewusst wahr.

Was erwartet Besucher in Ihrer LEARNTEC-Sektion?

Thissen: Sie ist eine Mischung aus Theorie-Sensibilisierung und praktischen Ansätzen für das interkulturelle Lernen. Ich berichte u.a. über Erfahrungen aus der Community www.jilid.com, in der Teilnehmer aus der ganzen Welt über interkulturelles Lernen diskutieren. Ein Vertreter von DaimlerChrysler zeigt, wie die Kompetenzentwicklung in China verbessert wurde.

Lufthansa Flight Training stellt ein Lehrvideo vor, mit dem das Verhalten der Crews, die immer auch Repräsentant der Lufthansa und der deutschen Kultur sind, geschult wird. Weil interkulturelles Lernen nicht nur etwas Kognitives ist, widmet sich ein Vortrag Story-basierten Ansätzen. Nur durch Auswendig-Lernen kann man noch nicht mit anderen Kulturen umgehen. Über Situationen, Geschichten und Rollen wird erlebbar, was auf einen zukommt.