Knackpunkt Lerngewohnheiten – Veränderung erfordert Zeit
Bensheim, November 2016 - Modern Workplace Learning rückt mit fortschreitender Digitalisierung immer stärker in den Fokus der Theorien zur Umgestaltung von Lernprozessen in Unternehmen. Damit der Sprung in die Praxis gelingt, sind unsere liebgewonnenen Lern- und Lehrgewohnheiten neu zu betrachten und zu verändern. Wie das sinnvoll geschehen kann, erläutert Digital Learning Designerin Hedwig Seipel im Rahmen des LEARNTEC-Kongresses.
Welche Lerngewohnheiten müssen sich für die moderne Berufswelt ändern und warum?
Hedwig Seipel: Unsere Lerngewohnheiten sind stark auf Konsumieren, Entertainment und Bevorratung ausgelegt: Wir nehmen das Wissen in Lernräumen passiv auf, wollen dabei gut unterhalten werden und lernen gerne auf Vorrat, ohne zu filtern, was wir wirklich brauchen.
Modern Workplace Learning bedeutet: Ich erarbeite mir das Wissen interaktiv dort, wo ich gerade tätig bin selbst, und lerne nur das, was ich für meine Arbeit gegenwärtig brauche.
Der Sprung vom ersten zum zweiten Lernszenario ist gewaltig und genau darin steckt die große Herausforderung für die moderne Berufswelt.
Außerdem benötigen wir anwender- und nicht nur anwendungsorientierte Lerninhalte. Sie sollen nicht auf den Transfer in die Praxis vorbereiten, sondern die Praxis selbst sein. Die Gewohnheit über die Theorie in die praktische Anwendung zu kommen, hat ausgedient.
Sind dazu besondere technische oder andere Fähigkeiten erforderlich, die speziell vermittelt werden müssten?
Hedwig Seipel: Sicher gibt es Arbeitsplätze und Aufgaben, die besondere technische oder fachliche Fähigkeiten erfordern. Doch diese dürften das kleinere Problem darstellen. Im Fokus stehen die Fähigkeit selbstverantwortlich und selbstgesteuert zu lernen, sowie die Kompetenz mit digitalen Medien souverän umgehen zu können. Das "neue Lernen" ist auch eine Frage der inneren Haltung. Nehme ich es als Weg der persönlichen Weiterentwicklung wahr oder als Störfaktor der gewohnten Abläufe. Diese Fähigkeiten lassen sich nur bedingt vermitteln. Sie können am besten aus praktischer Erfahrung und Anwendung erworben werden. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie in der Theorie stecken bleiben.
Oder benötigen die Lerner dafür eine längere Begleitung durch Trainer, Coaches oder Tutoren?
Hedwig Seipel: Ich glaube nicht, dass die Dauer der Begleitung maßgebend ist. Vielmehr kommt es auf ihre Art und die Rolle an, die der Lehrende übernimmt. Die klassischen Rollen als Lehrer, Trainer, Tutor oder Dozent sind zu eng abgegrenzt und zu hierarchisch orientiert, um in der offenen, digitalisierten Lernwelt überleben zu können. Die Hauptaufgabe des neuen Lernbegleiters besteht vor allem in der Unterstützung der Lernenden in ihren individuellen Lernprozessen.
Und das ist nicht in einem allgemein vordefinierten Zeitraum der Fall oder in einer bestimmten Taktung, sondern on demand, immer dann, wenn der Lernende es braucht.
Gewohnheiten müssen trainiert werden, um sich zu verankern. Welche Lernschritte in welchen Zeiträumen halten Sie für realistisch?
Hedwig Seipel: Gewohnheiten zu verändern erfordert Zeit. Ein Mensch braucht mind. 66 Tage (lt. einer Studie die im "European Journal of Social Psychology" veröffentlicht wurde), um liebgewonnene Handlungsweisen umzuprogrammieren. Wie lange braucht ein Unternehmen, um seine Lernkultur zu verändern? Ohne diese Veränderung kann das Modern Workplace Learning nicht funktionieren. In welchen Schritten diese Veränderung vollzogen wird und wie lange sie dauert, muss jedes Unternehmen individuell für sich entscheiden.
Werden jüngere Generationen heute in Schule und Universität mit nützlicheren Lerngewohnheiten ausgestattet?
Hedwig Seipel: Diese Frage kann ich nur aus der subjektiven Perspektive als Mutter einer Abiturientin beantworten. Mit der Erfahrung der letzten zwölf Jahre der Schulausbildung meiner Tochter neige ich leider zu einem Nein. Zugegeben, meine Tochter hatte das Glück zahlreiche sehr moderne, innovative und leidenschaftliche Lehrer und Lehrerinnen zu haben. Um zukunftstaugliche Lerngewohnheiten in der Schule zu etablieren, braucht es jedoch mehr als eine Handvoll engagierte Lehrkräfte.
"Knackpunkt Lerngewohnheiten – neue Rollen in Modern Workplace Learning", Konferenzraum 4/5, 25.1.2017, 11:00-11:30 Uhr
2024 neigt sich dem Ende zu und damit starten die Vorbereitungen für das nächste Jahr. Welche Trends werden in 2025 die L&D Branche prägen? Was sind die größten Herausforderungen für Personalentwickler:innen und wie können sie ihnen begegnen? Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit!