Auf YouTube

Mathematik und Informatik aus dem virtuellen Lernraum

Bielefeld, September 2011 - Überfüllte Hörsäle und Platzprobleme in seinen Vorlesungen kennt Prof. Dr. Jörn Loviscach von der Fachhochschule (FH) Bielefeld nicht und das obwohl Millionen sich für seine Inhalte aus den Bereichen Mathematik und Informatik interessieren. Seit dem Sommersemester 2009 stellt Lovisach seine Vorlesungen für jedermann frei ins Internet - und zwar auf der Videoplattform YouTube.




Der Erfolg spricht für sich: Rund 1.600 Videos hat Prof. Loviscach in den letzten zwei Jahren über seinen YouTube-Kanal mit derzeit 5.506 Abonnenten veröffentlicht. Studierende ebenso wie Schüler und gestandene Ingenieure, abonnieren die Filme. Sie stammen vorwiegend aus Deutschland, aber auch aus den USA, aus der Schweiz und aus Polen. Pro Tag verzeichnet Loviscach rund 5.000 bis 9.000 Abrufe. Insgesamt wurden die Filme knapp drei Millionen Mal angeschaut.

Inhaltlich reicht das Spektrum von elementarer Bruchrechnung über Differenzialgleichungen bis hin zu Vektoranalysis. Der überwiegende Teil der Videos sind Live-Mitschnitte aus Vorlesungen. Der Dozent verwendet dafür einen Tablet-PC - einen Laptop mit beschreibbarem Bildschirm. Mit dem Computerstift skizziert er auf dem Display die geometrischen Ideen hinter den mathematischen Formeln und Regeln. Die Studierenden im Hörsaal verfolgen das per Beamer. Sie sind interaktiv in die Vorlesung eingebunden. Bei Fragen und Diskussionen pausiert die Aufnahme.

"Klassische Vorlesungen lassen sich durch Internetvideos ersetzen", sagt Prof. Loviscach. Er verstehe die Mathematik als Werkzeugkasten. Im Video könne er den Studierenden genauso gut wie in der Vorlesung zeigen, welche Teile sich im Kasten befinden und wie diese funktionieren. Doch damit habe der virtuelle Lernraum seine Grenzen erreicht: "Wer nur glotzt, kann die Werkzeuge nicht selbst handhaben." Für Seminare und Übungen, die über das rein Mechanische hinausgehen, biete das Internet kaum Ersatz.

Alle Programme, die Loviscach bei der Produktion der Internetvorlesungen verwendet, sind kostenlos. Um den Zeitaufwand zu minimieren, hat er eigene Zusatzprogramme entwickelt. So markiert er beispielsweise per Mausklick schon in der Vorlesung Fehler oder Versprecher, um sie dann in der Nachbearbeitung ohne Suchen herauszuschneiden. Die Orientierung im Video erleichtert ihm zudem ein Programm, das die gesprochene Sprache in lesbaren Text umwandelt.

Während Lehrvideos von seinen Kollegen manchmal über 90 Minuten lang sind, beschränkt sich der FH-Professor dagegen auf ein eng umrissenes Thema und überschaubare Kurzvideos. Der Vorteil liegt auf der Hand: Vom Schreibtisch oder vom Sofa aus kann man sich unabhängig von Zeit und Ort zu einem klar umrissenen Thema informieren. Zudem können Nutzer im Netz über die Videos diskutieren oder Fragen stellen.

Bei allem positiven Feedback gibt sich der Professor mit dem derzeitigen Stand nicht zufrieden. Ein Problem sei beispielsweise die Darstellung des Stiftes auf dem Bildschirm. "Die Studierenden sehen nur einen kleinen Punkt mit einem roten Ring. Die Schrift kommt quasi aus dem Nichts." Deshalb hat der Professor seinen Arm fotografiert und grafisch in Teile zerstückelt. Diese werden mit Hilfe einer selbst entwickelten Software so über den Bildschirm bewegt, dass es aussieht, als würde Loviscach auf dem Display schreiben.


Auf Wunsch einiger Zuschauer taucht der FH-Professor in den aktuellen Videos auch selbst auf. Dazu filmt er sich mit einer Web-Kamera, deren Bild quasi hinter den Bildschirm gelegt wird. Das Ergebnis: Prof. Loviscach scheint im Halbdunkel hinter einer virtuellen Glaswand zu stehen, die er von hinten beschreibt.