Informelles Lernen

In Eigenregie lernen und reflektieren

Thorsten HölzerBonn, Dezember 2017 - Thorsten Hölzer ist Diplom-Psychologe mit Schwerpunkt auf Medien- und Organisationspsychologie und ein lebenslang Lernender in den Fachrichtungen Pädagogik und Lerntechnologie. Als Fachkonzeptionist bei der Deutschen Gesellschaft für Internationalen Zusammenarbeit (GIZ) GmbH arbeitet er seit über zehn Jahren in der unternehmenseigenen Akademie im Bereich der Qualifizierung von ausreisenden Fach- und Führungskräften der deutschen internationalen Zusammenarbeit. Formelles / informelles Lernen ist sein Thema im LEARNTEC-Kongress.

Welchen Stellenwert misst die Akademie der GIZ dem informellen Lernen bei?

Thorsten Hölzer: Menschen können sich neues Wissen und insbesondere fachliche oder methodische Kompetenzen immer nur selbst aneignen – eine "Vermittlung" ist nicht möglich. Dabei ist es für die Lernenden nicht relevant, ob die Aneignung von Wissen, das Erleben neuer Erfahrungen oder die Erprobung von Fertigkeiten in formellen oder informellen Kontexten geschieht. Wichtig ist, dass durch die Reflexion von Lernanlässen neue Entwicklungsanreize geschaffen werden.

Das didaktische Konzept der Akademie stellt den individuellen Lernprozess ins Zentrum. Bei der Gestaltung jeder Kompetenzentwicklung muss das geeignete Lernformat bzw. die bestmögliche Lernformatkombination ausgewählt werden – nach diesem Ziel richtet sich die Planung von formalen als auch informellen Lernsettings.

Selbstverständlich verfügt die Akademie über eine Vielzahl an primär formalen Weiterbildungsangeboten. Durch die didaktischen Prinzipien und den Anspruch, den Lernenden die Selbstverantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu ermöglichen, enthalten die Trainings in der Regel Anreize informellen Lernens. Beispielsweise durch begleitetes (Selbst-)Lernen, durch Schaffung von Erlebnis- und Erfahrungsräumen oder durch die Akademie gestaltete Vernetzungsmöglichkeiten in oder nach den Trainings.

Wo sehen Sie Anstrengungen bei selbstorganisiertem Lernen am ausgeprägtesten (in Deutschland geht man derzeit von ca. 5 Prozent intrinsisch motivierter Selbstlernen aus) und welche Erfahrungen hat die GIZ damit gemacht?

Thorsten Hölzer: Inwiefern der / die Einzelne in eigener Regie reflektiert und lernt, hängt unter anderem an der Motivation, sich selbst weiter zu entwickeln. Der Ursprung der Motivation kann dabei sehr unterschiedlich sein. Häufig zu beobachten ist eine ausgeprägte Motivation dann, wenn das Gelernte einen unmittelbaren Nutzen für die Lernenden entfaltet oder wenn der Lernpfad in ein oder mehreren übergeordneten, längerfristigen Zielen eingebettet ist. Außerordentlich starke 

Antreiber sind Grenzerfahrungen, wo bisher Gelerntes zu Misserfolg, Inkongruenzen und Irritationen führte.

Aber auch die Haltung ist für den Lernerfolg entscheidend: Muss ich mich überhaupt weiterentwickeln? Bin ich offen für Neues? Bin ich selbst für meine Weiterentwicklung verantwortlich? Wie stehe ich zu offenen Lernangeboten, die nicht institutionell eingebunden sind?

Die absolute Basis für selbstorganisiertes Lernen sind die Möglichkeiten und Fähigkeiten, die Rahmenbedingungen hierfür herzustellen. Ich brauche einen Lernort, ich brauche Zeit zum Lernen und brauche Zugriff auf Lernressourcen (Menschen und Material).

Ausgeprägte Anstrengungen zum selbstorganisierten Lernen finden wir nicht nur aber auch bei ausreisenden Fach- und Führungskräften der Deutschen internationalen Zusammenarbeit, die in der Akademie der GIZ die Möglichkeit erhalten, Schlüsselqualifikationen für das Leben und Arbeiten im Einsatzland zu stärken. Hier ist eine hohe Motivation zum Lernen gegeben und wir bieten ausreichend Raum für Reflexion zur eigenen Haltung.

Neben formalen Lernangeboten stellt ein besonderes Trainingsformat den Teilnehmer/-innen eine professionelle Lernbegleiterin bzw. einen professionellen Lernbegleiter zur Seite, die für optimale Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen sorgen. Bei den Teilnehmer/-innen wird dieses Format sehr geschätzt und führt zu beachtenswerten Lernergebnissen.

Wenn das informelle Lernen einen immer größeren Raum einnimmt, welche Rolle wird dann – zumindest in der industrialisierten Welt – künftig deren Dokumentation spielen?

Thorsten Hölzer: Nach meiner persönlichen Meinung wird zukünftig eher darauf geachtet, welche Kompetenzen ein Mensch mitbringt. Wo und wie er oder sie diese Kompetenzen erworben hat, sind für die meisten Herausforderungen zweitrangig. Wenn es keine vorgeschriebenen Wege gibt, individualisiert sich Kompetenzentwicklung. Der notwendige Nachweis der Expertise wird meines Erachtens davon abhängig sein, wem ich zu welchem Zweck eine Auskunft über meine Kenntnisse und Fähigkeiten geben muss und wird daher von Fall zu Fall variieren.

Kann der heutige Stellenwert von Zertifikaten auf der Basis formaler Bildung mittel- bis langfristig Bestand haben?

Thorsten Hölzer: Trotz individualisierter Lernpfade und unterschiedlichen Wegen der Kompetenzentwicklung werden aus meiner Sicht Zertifikate auf der Basis formaler Bildung einen bedeutsamen Stellenwert behalten. Allerdings werden solche Abschlüsse mehr und mehr im Kanon anderer Nachweise berücksichtigt und stehen in der Bedeutung sogar manchmal dahinter. Diese Entwicklung vollzieht sich je nach Kontext in unterschiedlicher Geschwindigkeit.

 

Thorsten Hölzer spricht am 31. Januar 2018 von 17.30 bis 18.00 Uhr über "Synergie durch Verknüpfung formaler und informeller Lernmöglichkeiten?" im LEARNTEC-Kongress.