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Peter Drucker lebt weiter

Paris/München, Dezember 2005 - Peter Drucker ist für die Gemeinschaft derer, die sich mit Lernen und Wissen beschäftigen, eine maßgebliche Größe. Vieles hat er vorgedacht, was heute zum "Mainstream" zählt, wodurch sein Einfluss auf die Entwicklung der Wissensgesellschaft unbestreitbar ist. Mit Richard Straub, IBM Learning Solutions, sprach CHECKpoint eLearning über das Wirken dieses aus Österreich stammenden Vordenkers, der im November 2005 in den USA verstarb.




Was erachten Sie als die wesentlichen Denkanstöße, die Ihr österreichischer Landsmann Peter Drucker hinterlässt?

Richard Straub: Er hat die Bedeutung des Wissens erkannt und den Begriff des "Wissensarbeiters" bereits 1969 in seinem Buch "The Age of Discontinuity: Guidelines to Our Changing Society" geprägt. Darin beschreibt er die Wandlung vom Industrie- in das Wissenszeitalter und die spezifische Bedeutung dieser neuen Kategorie sowie die Bedeutung des Wissens als Produktionsfaktor.

Welche seiner Thesen halten Sie für die wichtigsten - angesichts heutiger Entwicklungen?

Richard Straub: Er betont die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Wissensarbeiter und zeigt ihre Charakteristika auf. In seinem Gedankengebäude ist der Wissensarbeiter der- oder diejenige, der am besten weiß, wie er seine Aufgabe umsetzt.


Das hat in Betrieben Konsequenzen für das Management. Vor allem für die Unterstützung der Wissensarbeiter mit einem Umfeld das ständiges Lernen und kooperative Prozesse fördert. Diese dürfen niemals einen engen Rahmen vorgeben. Denn das Charakteristikum des Wissensarbeiters nach Drucker ist die Autonomie, die Eigenverantwortlichkeit. Der Wissensarbeiter muss die eigene Aufgabe verstehen, dementsprechend muss er seinen Arbeitsplatz gestalten. Erst hier kommt die Technik ins Spiel. Dabei orientiert sich die Individualisierung und Personalisierung der Arbeitsplätze an der Frage: Welche Ressourcen brauche ich zur Erfüllung meiner Aufgabe?

Das setzt voraus, dass eine unmissverständliche Klarheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich der Definition der Aufgabe besteht?

Richard Straub: Das ist der erste Schritt. Die Klärung der Frage "What is the task?" - in Übereinstimmung mit dem Management und den Kollegen. Dementsprechend muss Lernen und Wissen, das bisher rigide eingebaut war, nun personalisiert werden.

Was wäre der nächste Schritt?


Richard Straub:
Die nächste Frage ist jene nach der Produktivität des Wissens. Peter Drucker macht hier einen interessanten Vergleich. Am Ende des letzten Jahrhunderts wurde - auf Basis der Erkenntnisse von Frederick W. Taylor - der größte bekannte Produktivitätszuwachs durch die Analyse und effizienteres Design der manuellen Arbeit erzielt. Die Produktivität verfünfzigfachte sich in 100 Jahren und trug zu stark verbesserten materiellen Situation für alle Schichten bei.


Die nächste Frage wird also jene nach der Produktivität der Wissensarbeit sein. Es wurde bisher viel zu wenig Augenmerk auf diese Frage gelegt. Erweisen sich Email oder Blogs als Produktivitätssteigerer? Das ist noch nicht absehbar. Wir müssten uns danach fragen wie viel leere Kommunikation bislang über diese Tools entsteht und was wir für bessere Ergebnisse tun können.

Stehen wir aber derzeit nicht erst ganz am Anfang, was den Einsatz dieses Instrumentariums betrifft?

Richard Straub: Ja, wir befinden uns nach wie vor im Stadium des Experimentierens. Es existiert noch kein "dominant design" im weitesten Sinne. Obwohl wir in den letzten zehn Jahren wesentliche Fortschritte gemacht haben sind wir noch nicht so weit, dass wir diese Tools optimal einsetzen.


Momentan ist eine der großen Herausforderung bei der Wissensarbeit, uns nicht von der Flut der Informationen "erschlagen" zu lassen, sondern etwas daraus zu machen, das uns produktiver macht. Doch ich erwarte in den nächsten fünf Jahren Quantensprünge in Bezug darauf, wie die Leute ihre Arbeitsplätze individualisieren und nutzen werden können.

Wo sehen Sie das größte Potenzial?

Richard Straub: Großes Potenzial sehe ich in Technologien, die so zusagen einen Werkzeugkasten für die Gestaltung und Individualisierung der Arbeitsplätze bereitstellen. Die Fundierung auf offenen Standards ist dabei sehr bedeutend, da nur so die Möglichkeit offengehalten wird eine Vielzahl von heterogenen Anwendung über den Arbeisplatz zu integrieren.

Als Beispiel aus der Realität dient mir dabei die IBM-Erfahrung mit der Einführung von Community-Tools, die auf "Instant Messenging" basieren. Wenn ich heute ein relevantes Thema besprechen will, poste ich es in die Community "electronic mentoring" oder andere passende Communities. Das Selbstverständnis der Wissensarbeiter ist dann maßgeblich für die Erfahrung, binnen kürzester Zeit kompetente Antworten zu erhalten.


Doch das wesentliche dabei ist, dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitern nur die Tools an die Hand gibt - ohne irgendwelche Vorgaben zu machen. Denn hinter die Idee, dass ein Unternehmen zentral und im Detail steuern kann, wie das Wissen fließt, würde ich im Sinne von Peter Drucker mein Fragezeichen setzen.

Die Erfahrung beweist, je mehr Gestaltungsmöglichkeiten ich den Mitarbeitern an die Hand gebe, je mehr "customizing" ich ermögliche , um so fließender wird das Wissen.