Nachdenken über die Zukunft des Lernens
Berlin, November 2010 - Als besonderes Ereignis im diesjährigen eLearning-Veranstaltungsreigen erwies sich das ausgebuchte VIWIS-Forum in Billerbeck. Prof. Friedemann Schulz von Thun als Keynote-Speaker ließ bereits bei der Programmveröffentlichung auf besondere Akzente hoffen, doch auch seine Vorredner, die aus der Sicht ihrer jeweiligen Fachdisziplin die Zukunft des Lernens beleuchteten, trugen maßgeblich zu vertieften Diskussionen bei.
Wenn Lernen "die Aneignung der Welt" bedeutet und wir es heute erstmals mit einer "Allgegenwart technischer Informations- und Kommunikationsmedien" zu tun haben, wie Prof. Ullrich Dittler von der Fachhochschule Furtwangen ausführte, dann sorgen diese für eine radikale Veränderung der Lernprozesse. Denn "Medienbesitz, Mediennutzung und Medienkompetenz übernehmen identitätsbildende Funktionen." Waren Entwicklungen früher in mehr oder weniger stabile Gruppenprozesse eingebunden, so sucht sich heute jeder je nach Interessenslage wechselnde Gruppen.
"Sie können sich online heute mit jedem Fremden vernetzen, der Ihre Interessen teilt", beschrieb Prof. Dittler die heutige Situation. Doch die Frage bleibt offen, ob diese Gruppen jene soziale Anerkennung geben können, die ein wesentliches Motiv herkömmlicher Gruppenprozesse ist. Sicher ist jedoch, dass "eine planlose Übertragung auf Lernsituationen" zumeist nicht funktioniert.
Prof. Clemens Clap vom Informatikinstitut der Universität Rostock führte seine Zuhörer vom "knappen Gut Zeit" zu einer "attraction economy". Er beschrieb ein absurdes Szenario, in dem elektronische Agenten nötig sind, um "das zu löschen, was andere schreiben, um mehr Zeit zu haben, anderen zu schreiben, was wir selbst nicht lesen würden". Seine Überlegungen führten vom Möglichen zum Sinnvollen und er schlussfolgerte, dass zu viele verschiedene Systeme im Bereich von Social Media nach Interoperabilität verlangten. Doch bislang scheint ihm keine Marktbereinigung in Sicht, da die unterschiedlichsten Bedürfnisse durch die Vielfalt abgedeckt würden. Doch konstatierte er einen "dramatischen Wildwuchs von Entwicklungen".
Dass "Popp und Netz verschmelzen" und zur "kulturellen Heimat" der heutigen Jugendlichen geworden sind, führte Prof. Thomas Ziehe vom Institut für Erziehungswissenschaften an der Universität Leipzig aus. "Die so genannte 'Hochkultur' rückt für diese Jugendlichen in weite Ferne," erläuterte er und bezog herkömmliches "Zeitungsleser-Wissen" mit ein. "Wissenslöcher und Sonderwissen stehen damit direkt nebeneinander," fuhr er fort und beschrieb den Alltag heutiger Jugendlicher als "Flickenteppich von Impulsen". Da die reale Welt nur noch als eine unter mehreren wahrgenommen wird, könne sie zurückgestuft werden.
Somit tritt eine starke Subjektivierung in Erscheinung, eine Konzentration auf die Innenwelten, die in einem engen Zusammenhang mit der Wichtigkeit von Außenbeurteilung zu sehen ist. So wird nach Prof. Ziehe das "kulturelle Selbstverständnis der Lerner zu einer Schlüsselschwierigkeit", weshalb Lehrer und Ausbilder verstärkt als "Formgeber" durch Rituale, Struktur, hohe Klarheit und Durchsetzungsfähigkeit fungieren müssten.
Prof. Friedemann Schulz von Thun, bekannt als Koryphäe der Kommunikationswissenschaft, lenkte die Aufmerksamkeit von den allgegenwärtigen Medien auf die Innenwahrnehmung jedes einzelnen. Das "innere Team", das nach seiner Theorie aus sich teilweise widersprechenden inneren Stimmen oder aus unterschiedlichen eigenen Interessenslagen besteht, zu einer harmonischen Zusammenarbeit zu bewegen, war sein Anliegen. Er transportierte dieses durch einen Aufmerksamkeit bindenden, lebendigen Vortrag, optisch unterstützt durch einige Folien auf einem Overhead-Projektor und viele Stichworte auf Post-its. Ganz real. Sehr mitreißend. Ohne ein einziges unterbrechendes Handy-Klingeln.
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