Bildungsplattform-Debatte

Lernmanagementsysteme derzeit die bessere Lösung

Berlin, September 2018 - Bei der Umsetzung der Strategie "Bildung in der digitalen Welt" wurden die Länder als Spitzenreiter gesehen, die sich für Errichtung landesweiter digitaler Bildungsplattformen entschieden hatten. Doch offenbar haben sie die Aufgabe unterschätzt, denn es zeigen sich bei der Umsetzung Probleme. Schulen oder Schulträger, die sich für einen unabhängigen Weg entschieden hatten, sind jetzt im Vorteil.

Landesweite Bildungsplattformen, meist als Clouds geplant, werden in den verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedlich gesehen. Manche Bundesländer wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern haben sich von Anfang an keine landesweite Lösung vorgenommen, sondern überlassen die Umsetzung der Digitalisierung bisher ihren Schulen.

Fast alle landesweiten Bildungsclouds bislang gescheitert

Andere Bundesländer wollten eigene Entwicklungen als landesweite Lösungen anbieten, die allerdings vorrangig für die Verwaltung von Schule und Unterricht gedacht sind. Manche Länder stellten bislang auch nur Anwendungen allein für Lehrkräfte zur Verfügung. Die Bilanz dieser Länder ist frustrierend. Bereits im vergangenen Oktober musste Nordrhein-Westfalen feststellen, dass die landesweite Schulplattform "Logineo" gravierende Datenschutzmängel aufweist und die schrittweise Einführung auf Herbst 2018 verschieben.
In Hamburg wurde Eduport, eine Variante von Logineo probeweise eingesetzt, allerdings nur für die Anwendung durch die Lehrkräfte. In Niedersachsen verläuft das Projekt einer landesweiten Bildungscloud nicht nur reduzierter als ursprünglich geplant, sondern auch mit verzögerter Umsetzung. In Baden-Württemberg schließlich erbrachte jetzt ein Gutachten, dass das bundesweit wohl ehrgeizigste und auch teuerste Projekt "ella" gravierende technische Mängel aufweist und der Start bis auf weiteres verschoben, wenn nicht gar das Ganze komplett neu aufgesetzt werden muss.

Abgesehen davon, dass die jeweiligen Landesregierungen in Erklärungsnot geraten, sind all die Schulen, Schulträger und Lehrkräfte, die sich auf die landesweiten Lösungen eingestellt hatten, nachhaltig verunsichert. Anders diejenigen, die sich für ein eingeführtes LMS entschieden haben. Im Folgenden einige Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen.

Den Schulclouds fehlen pädagogische Anwendungsmöglichkeiten

Kristine Hesse unterrichtet am städtischen Gymnasium in Witten-Herdecke Erdkunde, Informatik und Mathematik und kümmert sich seit 2016 gemeinsam mit einer Chemie- und Lateinlehrerin um die Themen der Digitalisierung. Sie sagt: "Wir sind froh, dass wir uns mit itslearning für eine eigene Lernplattform entschieden haben. Das war aber schon, bevor Logineo gestoppt wurde". Logineo wäre zwar viel kostengünstiger gewesen, aber das Leistungsspektrum hatte dem Kollegium nicht gereicht, "eine pädagogische Schiene wie Kurse einrichten oder kollaborative Zusammenarbeit etc. fehlte vollkommen", berichtet Hesse.
Es gab dort beispielsweise nur die Basis, also eMailadressen für alle, einen Kalender, einen begrenzten Speicher und eine Verbindung zu "learn:line NRW", also die Möglichkeit der Suche von ausgewählten Unterrichtsmaterialien. Die Kosten seien sicherlich ein Knackpunkt, gibt Hesse zu bedenken, "aber bei uns werden sie zum Teil vom Schulträger und zum Teil über die Medienbeiträge der Schüler und Schülerinnen getragen – das sparen wir bei Büchern, Kopien etc. wieder ein".

An der niedersächsischen Integrierten Gesamtschule Lengede bei Braunschweig gilt das Primat der Eigenverantwortung. Schulleiter Dr. Jan-Peter Braun hat die Schule gemeinsam mit einem kleinen Team aus Eltern, Lehrern und Politik 2010 gegründet und von Anfang an das Thema Digitalisierung im Kopf gehabt. Zunächst wurde mit einem reinen Datenmanagementsystem auf der Basis des Lernmanagementsystems Fronter gestartet, nun wird schrittweise itslearning eingeführt. 
"Alle Lehrkräfte waren also von Anfang an auf die digitale Abbildung unterrichtlicher Prozesse eingestellt, so dass die Umsetzung sehr gut läuft", sagt Braun. Die Diskussion um die landesweite Schulcloud hat Braun aktiv begleitet: "Ich kannte das Vorbereitungspapier zur Schulcloud und fand den Ansatz sehr gut." Aber dann nahm das Projekt bei der Umsetzung eine andere Entwicklung, viele Aspekte aus dem Konzeptpapier sind nicht mehr dabei. 
"Leider steht die Niedersächsische Bildungscloud auch immer noch nicht zur Nutzung zur Verfügung", bedauert Braun und stellt erfreut fest: "Da sind wir inzwischen mit itslearning, ergänzt um das Collaborationssystem Nextcloud deutlich weiter!" Braun und seinem Kollegium war wichtig, die Anforderungen von Anfang an klar zu definieren und vor allem Verwaltung und Pädagogik zusammen zu denken. "Die Entscheidung muss nach Qualität und nicht nach Kosten getroffen werden. Man muss auch nicht alles neu erfinden", sagt Braun.

Lernmanagementsysteme sind zentrales Element für Qualitätsentwicklung

Braun und sein Kollegium haben sich 20 bis 25 Systeme angesehen, sechs waren in der engeren Auswahl und Braun schildert die Überlegungen: "ILIAS war für uns wegen der universitären Ausrichtung nicht geeignet; OpenOLAT war Favorit, kann aber noch keine Kompetenzen verwalten; Fronter ist uns in der Entwicklung zu langsam geworden; Moodle kann alles, was wir wollen, aber viele Zusatzmodule kommunizieren nicht gut miteinander und die Bedienung ist nicht so intiuitiv; Canvas ist faszinierend, bildet aber Unterrichtseinheiten nicht optimal ab und wird an keinen anderen deutschsprachigen allgemeinbildenden Schulen verwendet, ein Austausch ist also nur eingeschränkt möglich."
Letztlich war itslearning für die Gesamtschule in der Summe die beste Lösung. "Individuelle Lernpfade erstellen, eigenverantwortliches Lernen ermöglichen, Kompetenzorientierung, Geräteunabhängigkeit, Vernetzbarkeit mit anderen Systemen – all das passte in das Unterrichtskonzept der Schule. Letztlich ist ein Lernmanagementsystem ein zentrales Element für die Qualitätsentwicklung des Unterrichts", ist Braun überzeugt. Die bislang bekannten Schulclouds können diese Leistungen nicht erbringen.
Natürlich waren die Kosten im Lengeder Schuletat nicht eingeplant. Nach Rücksprache mit allen Gremien waren sich aber ein gutes Jahr später alle einig, dass dies wie Kopiergeld oder Workbooks einzuordnen ist und entsprechend finanziert werden soll.

Genau wie Kristine Hesse ist Braun der Meinung, dass ein Lernmanagementsystem allmählich und in enger Absprache mit dem Kollegium schrittweise eingeführt werden muss. "Es muss den Lehrkräften helfen und nicht die Arbeit erschweren", betont Hesse. Dafür sei unabdingbar, regelmäßig Zeit für Fortbildungen zu gewähren, statt mit einer einmaligen Veranstaltung alles abdecken zu wollen. Fortbildungen können auch gegenseitig organisiert werden. 
"Natürlich kommen etliche Lehrkräfte aus der Kreidezeit, aber wenn sie erst einmal die Vorteile in der Anwendung sehen, machen alle mit", ist Hesses Erfahrung. Braun betont die Notwendigkeit eines guten Konzeptes. Am Anfang müsse man die Anforderungen klar definieren und in der Praxis nur die Funktionen nutzen, die wirklich Sinn machen. "Die Digitalisierung wird den Unterricht in den kommenden zehn Jahren stark verändern. Wir werden die bisherigen analogen Lernmittel weiterhin benötigen, das LMS ist jedoch ein wichtiges ergänzendes Instrumentarium zur Realisierung guten Unterrichts", ist Braun überzeugt.

In Bremen profitieren Schulen landesweit von einem eingeführten LMS

Nur das Bundesland Bremen hat sich – nach einem ausführlichen Auswahlprozess – dafür entschieden, keine eigene Lösung zu entwickeln, sondern mit itslearning ein seit Jahren in der Praxis eingeführtes Lernmanagementsystem (LMS) einzusetzen. Dies wird seit 2014 mit einer überlegten Strategie und klaren Zielen über mehrere Jahre hinweg umgesetzt und kommt bislang bei allen Beteiligten gut an. 
"Der Schlüssel liegt darin, dass sich jede Schule im ersten Schritt Fragen stellt wie: Was brauchen wir? Was versprechen wir uns vom Einsatz einer Plattform? Was können wir schon und welche Funktionen und Prozesse sind vielleicht bereits anderer Stelle abgedeckt? Welche Dinge sind zügig umzusetzen und welche brauchen etwas länger in der Implementierung?", beschreibt André Sonnenburg den Einführungsprozess an den Schulen des Stadtstaates. Sonnenburg begleitet die Implementierung der LMS von ganz nah, denn er ist nicht nur didaktischer Leiter und stellvertretender Direktor der Oberschule Habenhausen in Bremen, sondern zugleich im Unterstützungsteam des Landesinstituts für Schule in Bremen und dort zuständiger Berater für Schulleitungen bei der Implementierung der Bildungsplattform.

Erst durch die landesweite Nutzung entfalten sich nach seiner Erfahrung die Vorteile einer Plattform wie zum Beispiel "die schulübergreifende Vernetzung der Kollegen, das gemeinsame Planen von Unterricht und die Welt des Flipped Classrooms".  Auf der anderen Seite könnten die Schulen davon profitieren, ihr eigenes Konzept über die Plattform abzubilden. itslearning sei ein professionelles Unternehmen, das sein Produkt stetig weiterentwickle – auch mit den Rückmeldungen der Anwender und Anwenderinnen aus Bremen.
Sonnenburg schätzt das Grundverständnis von Lernen der Hersteller: "Jede Lehrkraft ist frei, wie sie die Plattform einsetzt, man ist aber auch ständig aufgerufen, Unterricht zu verändern. Individuelle Kompetenzrückmeldung und prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzenförderung ermöglichen es, Differenzierung und Umgang mit Diversität zu leisten und insgesamt weg von Fächern hin zu Lernlandschaften zu kommen – davon profitieren wir als Lehrkräfte bei der Gestaltung des Unterrichts und somit auch unsere Schülerinnen und Schüler".

Aber der Weg ist lang, denn auch in Bremen gilt: Die Schulen und Lehrkräfte nutzen die Plattform sehr unterschiedlich. Wie intensiv das geschieht, hängt stark von der jeweiligen Schulleitung ab – und wie sie sich vom Landesinstitut und der Schulaufsicht unterstützen lässt. "Bei vielen Lehrkräften ist immer noch nicht in den Köpfen angekommen, was sie mit digitaler Bildung eigentlich erreichen wollen", beobachtet Sonnenburg und schlägt die Einführung von Zielvereinbarungen vor.

Cloudlösung auf Landesebene mehr Vorteile als einzelschulische Lösungen

Der Leiter des Zentrums für Medien am Landesinstitut für Schule Bremen, Dr. Rainer Ballnus beschreibt die Erfahrungen mit itslearning in seinem Bundesland so: "Aus unserer Sicht hat eine Cloudlösung auf Landesebene für die Schulen signifikante Vorteile gegenüber einzelschulischen Lösungen. Vor allem können Inhalte so auch schulübergreifend ausgetauscht, gemeinsam erstellt und genutzt werden. Bei Lehrkräftefortbildungen können den Teilnehmern schon im Vorfeld Materialien zentral bereitgestellt werden und im Anschluss kann über die Plattform weiterhin auf Wunsch kollaborativ gearbeitet werden. Überhaupt Stichwort Qualifizierung: Bei einer gemeinsamen Cloud für alle können das Land oder der Schulträger viel eher passgenaue Fortbildungen und Begleitungen für die Implementation und Nutzung der Plattform anbieten als es bei unterschiedlichen schulischen Einzellösungen der Fall wäre."

Zur Rolle der Lernplattform in der Ausbildung der Lehrkräfte sagt Ballnus: "In Bremen kann beispielsweise bereits in der Lehrkräfteausbildung jeder Lehramtsanwärter am ersten Tag über seinen Zugang automatisch auf die gemeinsame Lern- und Arbeitsumgebung zugreifen. Die erheblichen Vorteile zeigten sich auch in den vergangenen beiden Jahren, als mit den stark angestiegenen Zahlen an geflüchteten Menschen sehr schnell zahlreiche neue DaZ- und DaF-Kurse mit teilweise neuen Dozenten und Lehrkräften umzusetzen waren. Mit der gemeinsamen Plattformlösung konnten wir am Landesinstitut unmittelbar und zentral qualitativ gute Materialien mit den entsprechenden Zugängen bereitstellen. Wir hatten also in anspruchsvollen Zeiten das richtige Werkzeug und bereits viel eigene Kompetenz aufgebaut, um die Kollegen zu diesen aktuellen Themen online rasch zusammenzubringen."

https://youtu.be/DagLJNxGMN8?list=PLi0yMW9ckiVOhtmLYQpevCbWVsTcR3klb