"Studierende haben heute heterogene Erwartungen"
Saarbrücken, März 2012 - (von Prem Lata Gupta) Neue Lösungen braucht das Land. Vor allem die Hochschullandschaft. Dies ist die feste Überzeugung von Dr. Christoph Igel, Managing Director von CeLTech, des Centre for e-Learning Technology. Der streitbare Wissenschaftler stellt fest, dass trotz vieler Fördermaßnahmen, trotz etlicher Kompetenzzentren der Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Schlimmer noch: "Die Anstrengungen der vergangenen zehn, 15 Jahre werden von der Realität überholt, weil sich die Endgeräte, aber vor allem das Nutzungsverhalten der Studierenden grundlegend verändert haben", betont Igel.
Wer sich in der schönen neuen Welt des eLearning engagiert hat, fragt sich vielleicht, ob Sie nicht ein Horrorszenario kreieren...
Dr. Christoph Igel: Ich spreche nicht von der Zukunft, sondern von der Gegenwart. Das Spannungsverhältnis ist längst da, unterschwellig, aber wahrnehmbar: die Nachfrage an digitalen Lernangeboten und das Angebot der Hochschulen in Deutschland passen an vielen Stellen nicht mehr zueinander. Was wir in unserern Projekten feststellen ist, dass wichtige Entwicklung nur am Rande, wenn überhaupt, von den Entscheidern in Hochschule und Politik wahrgenommen werden.
Bisweilen erweisen diese sich auch als durchaus beratungsresistent. Längst ist nicht mehr die Technologie mit ihren Mehrwerten der primäre Beschleunigungsfaktor der Entwicklung, sondern der Endnutzer mit seinem heterogenen Erwartungen und Wünschen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass an manchen unserer Hochschulen Themen wie Web 2.0, mobile Endgeräte oder 3D Internet ausgesessen werden.
Welchen wichtigen Fragen sollten sich denn die Verantwortlichen stellen?
Dr. Christoph Igel: Zunächst meine ich mit Verantwortlichen nicht die Early Birds und engagierten Mitstreiter auf Professoren- und Mitarbeiterebene, sondern Hochschulleitungen und ihre Stabsstellen wie auch Vertreter der Bildungspolitik und der Wissenschaftsorganisationen. Diese sollten sich durchaus die Frage stellen, warum die Verwendung von neuen, digitalen Medien trotz zahlreicher Empfehlungen, Strategiepapiere und Fördermaßnahmen im den letzten zehn Jahren nicht in die Breite gegangen ist.
Wie sehen die Hochschulstrategien an dieser Stelle aus? Welche Impulse zur strukturellen Implementierung sind weiterhin notwendig? Aber auch einfachere Frage wie: Was soll mit den unzähligen Lerninhalten auf Basis von Flash-Animationen, Powerpoint-Präsentationen, PDFs geschehen angesichts von veränderten Nutzergewohnheiten? Studierende heute haben Tablet-PCs und Smartphones, sind mobil und vernetzt. Sie würden gerne Smartphones und TabletPC's auch zum Lernen benutzen und hierfür auch Social Communities nutzen.
Aber mal Hand aufs Herz: würden Sie ein PDF auf einem Smartphone lesen wollen? Oder ein WBT hierüber aufrufen? Wie werden sich die Hochschulen als Anbieter digitaler Lernangebote hier verhalten? Und nicht zu vergessen: Wie sieht die Zukunft der unzähligen Learning und Contet Management Systeme vor dem Hintergrund geänderten Nutzungsverhaltens aus?
Das heißt, substantielle Veränderungen sind bei den Entscheidungsträgern nicht wirklich angekommen?
Dr. Christoph Igel: Ich bin nicht sicher ob bewusst ist, dass wir es an den Hochschulen mit einer Generation von Studierenden zu tun haben, die Desktop-Rechner fast schon als historisches Relikt ansehen und für die digitale Mobilität und Vernetzung ein Kernbestandteil modernen Lebens ist. Dies verändert vieles - privat wie auch im Studium. Und es hat ja auch etwas ernüchterndes, wenn man noch immer fünfstellige Beträge für die Herstellung eines qualitativ hochwertigen Lehrmoduls auch heute noch ausgibt - und dann kommt ein Kollege, erklärt denselben Sachverhalt nicht ganz so didaktisch ausgefeilt im Video und stellt es bei Youtube ein.
Das stellt viele bisherige Anstrengungen durchaus in Frage und sollte uns alle zum Nachdenken anregen. Das Videobeispiel zeigt: Es geht schneller, billiger, nutzt mehr Anwendern, weil es jedem zugänglich und einfach in der Bedienung ist. Und es entspricht den Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe.
Ich will aber auch deutlich sagen: schneller, billiger und einfacher bedeutet nicht auch automatisch besser - hier stehen wir in einem möglichen Dilemma zwischen Nutzungsgewohnheit, inhaltlicher Qualität und Anspruch der anbietenden Hochschule, das nicht einfach und schon gar nicht generell für alles zu lösen ist.
Was heißt das in der Konsequenz? Alles zurück auf Anfang?
Dr. Christoph Igel: Nein, das denke ich nicht. Wir haben es mit riesigen, bereits vorhandenen Content Repositories zu tun. Es wäre meiner Meinung nach schlicht falsch und auch Geldverschwendung, alles komplett neu aufbereiten zu wollen. Wo soll es enden - bei Smartphones oder TabletPC's, in 2D oder 3D? Nein, wir müssen die Inhalte neu in die Hand nehmen und überlegen, wie man sie auf diversen Endgeräten zum Laufen bringt und dafür intelligent verfügbar macht.
Es geht also um eine Separierung digitaler Lerninhalte in Abhängigkeit der Mehrwerte der jeweiligen technologischen Endgeräte, will sagen: welche Inhalte machen auf dem Laptop, auf dem Smartphone, auf dem TabletPC auch Sinn und haben durch die Nutzung auf dem jeweiligen Endgerät einen Mehrwert etwa durch Nutzung von Sensoren und dadurch aufgenomnenen zusätzlichen Informationen. Kontextualisierung und Personalisierung von Inhalten ist das strategische Thema dabei - wir sind damit auf dem Weg in die intelligente e-Learning Cloud.
Gibt es denn bereits Lösungen, wie das geschehen könnte?
Dr. Christoph Igel: Ich nenne mal als kleine, gleichwohl nicht wirklich intelligente Lösung iBooks Author. Ein einfaches Tool, das beispielsweise Inhalte und Strukturen von Word-Dokumenten nahezu automatisch in eBooks überführt, es lassen sich Web-Seiten einbinden, ebenso Videos, Audios oder 3D Abbildungen und einfache Frage-Antwort-Optionen. Typisch Apple, diese einfache Lösung.
Ebenfalls auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass iTunes-U neuerdings auch ganze Kursangebote ermöglicht. Hier sehe ich Apple auf dem Weg zum weltweiten Bildungsbroker, wie es uns das Unternehmen mit Apps, Musik, Filmen und Büchern in den letzten Jahren schon erfolgreich vorgeführt wurde. Solche Angebote könnten künftig eine echte Konkurrenz zu existierenden Learning Management- und Content-Management-Systemen werden.
Macht man sich auch hierzulande Gedanken, wie das von Ihnen beschriebene Problem in den Griff zu kriegen ist?
Dr. Christoph Igel: Natürlich. Wir arbeiten beispielsweise an der technologischen Entwicklung einer Intelligent eLearning Cloud, die Inhalte erkennen und Engeräte-gerecht anpassen soll. Hinzu kommt die Anpassung der Inhalte aufgrund didaktischer Settings durch den Endnutzer wie auch durch das Nutzungsverhalten des Lernenden. Nach mehreren Jahren der angewandten Grundlagenforschung sind wir derzeit dabei, in den Aus- und Weiterbildung der Mathematik und MINT allgemein, Medizin und in der Jurisprudenz entsprechende Technologien zu pilotieren und zu testen.
Wir rekurrieren dabei auf EU-geförderten Entwicklungen eines intelligent-adaptiven Lernsystems auf Basis Künstlicher Intelligenz, das derzeit europaweit an mehr als 30 Bildungsinstitutionen genutzt wird. Es heißt -žMath Bridge-œ und dient der Vorbereitung, dem Neulernen bzw. der Vertiefung im Fach Mathematik an der Schnittstelle von Schule/ Hochschule oder in anderen Fächern, in denen Mathematik eine substantielle Rolle spielt und einen wesentlichen Anteil am Studienerfolg hat.
Dazu muss man wissen, dass Mathematik in unterschiedlichen Sprachen und Ländern in Teilen durchaus unterschiedlich dargestellt wird. Also haben wir Standard-Lehrbücher aus der ganzen Welt untersucht, die Unterschiede in Syntax und Semantik herausgearbeitet, um dann in einem automatisierten Verfahren Inhalte korrekt auszulesen und wiederzugeben.
Das hört sich arbeitsintensiv und kompliziert an. Stehen wir nicht noch ziemlich am Anfang?
Dr. Christoph Igel: Trotzdem ist es ein Gebot der Notwendigkeit, uns weiter mit dieser Herausforderung auseinanderzusetzen. Der Apple-Vorstoß ist ja nicht vom Himmel gefallen. Damit wir uns recht verstehen. Trivial ist die Fragestellung nicht: Es gibt noch kein Instrument, das über eine Powerpoint-Präsentation drüberläuft, automatisch Didaktik reinbringt, highlighted und das Ergebnis dann auch noch für diverse Endgeräte auswirft. So etwas ist wirklich noch Zukunftsmusik.
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