Das Nicht-Fassbare erfahrbar machen
Dresden, Mai 2012 - (von Prem Lata Gupta) Was können 3D-Visualisierungen leisten? Für welche Zwecke lassen sich diese computergenerierten Bilder überhaupt sinnvoll einsetzen? Sander Münster, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Medienzentrum der TU Dresden, beschäftigt sich seit Jahren mit diesen Fragen. Obwohl er sich wünscht, dass Lehrende Methodenkompetenz im Umgang mit 3D-Bildern, Filmen und interaktiven 3D-Medien sowie deren Produktion erlangen, schlägt er auch kritische Töne an: "Wir sprechen über eine Abbildungstechnik. Was Wissensvermittlung angeht, stellt sie kein Allheilmittel dar."
Warum?
Sander Münster: Weil Lehrende, Studenten, aber auch ein ganz normaler Museumsbesucher einerseits fasziniert sind von 3D-Visualisierungen. Nicht zuletzt durch aufwändige 3D-Kinoproduktionen hat der Betrachter zudem eine vage Ahnung von der Leistungsfähigkeit der Technologie. Andererseits weiß kaum jemand, wie diese Darstellungen entstehen und welche Chancen aber auch Grenzen sie für die Wissensvermittlung besitzen.
Wofür sind 3D-Visualisierungen denn besonders gut geeignet?
Sander Münster: Um im akademischen Bereich zum Beispiel abstrakte Forschungsergebnisse darzustellen. Oder als Instrument für die Wissensvermittlung in der Öffentlichkeit, wie etwa in Museen. 3D ist wie auch andere Bildmedien prädestiniert für Sachverhalte, die durch Texte allein nur schwer vorstellbar gemacht werden können.
Dabei können mittels 3D-Visualisierung auch fotografisch nur schwer erfassbare Sachverhalte wie Atom-Strukturen oder Planetenkonstellationen dargestellt werden. Man kann vergangene Welten wie das alte Rom oder zerstörte Gebäude rekonstruieren Dazu kommen Lernsituationen, die in der realen Welt auch ein gewisses Gefährdungspotenzial darstellen könnten: Es ist für einen angehenden Piloten besser, erst einmal im Flugsimulator zu üben als sofort ein echtes Flugzeug zu fliegen.
Das hört sich doch alles sehr vielversprechend an und legt ein breites Anwendungsspektrum nahe...
Sander Münster: Schwierig ist, dass die unterschiedlichen Zielgruppen zumeist auch unterschiedliche Anforderungen haben. So findet derzeit unter Lehrenden gerade hinsichtlich der Darstellung historischer Gebäude eine interessante Debatte darüber statt, wie realistisch oder wie fein ausgearbeitet solch eine Visualisierung sein sollte. Forscher mögen es lieber schematisch. Sie misstrauen sehr detaillierten Darstellungen, weil etwa bei einer Rekonstruktion damit auch vermittelt wird: Genauso war es. Wer kein Experte ist, wird sich anhand einer realistischen Darstellung Dinge möglicherweise besser vorstellen können.
Und darin sehen Sie auch eine Gefahr?
Sander Münster: Wenn unscharfes oder vages Wissen in solch perfekter Anmutung erscheint, kommt dieses dann häufig als abgeschlossene Aussage rüber. Das ist auch ein Nachteil.
Weil quasi durch die Perfektion suggeriert wird, dass es keine Alternative gibt?
Sander Münster: Ja. Das hat übrigens auch damit zu tun, dass weitgehend unbekannt ist, welche Vielzahl von Entscheidungen und Arbeitsschritten dahinter steckt. Das fängt schon bei Farben an: Wenn ich aus gestalterischen Gründen ein Molekül blau darstelle mit einem gelben Hintergrund, gibt es garantiert Menschen, die denken, das müsste in der Wirklichkeit auch so sein.
Die Welt wirkt schön und neu - und einfach?
Sander Münster: Nicht selten ist eine Abbildung verständlicher als ein Text und bietet einen nachhaltigen Lerneffekt. Doch sie ist weniger interpretierbar, lässt weniger Spielräume als textliche Information. Jedes Medium hat seine Stärken und Schwächen.
Wo sehen Sie Vorteile?
Sander Münster: Schematische 3D-Darstellungen bieten die Möglichkeit, unwichtige Informationen wegzulassen und den Blick auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ein Film zum Beispiel enthält immer viel Drumherum, das lenkt Lernende auch ab. 3D macht darüber hinaus Inhalte vermittelbar, von denen sonst keine Abbildung existiert, die schwer vorstellbar sind - einfach weil sie in der Vergangenheit oder der Zukunft liegen. Ebenfalls ein wichtiges Plus ist, dass zum Beispiel durch computergenerierte Explorationswelten das handelnde Lernen gefördert wird. Man kann selbstgesteuert lernen.
Werden denn computergenerierte 3D-Visualisierungen in der Lehre überhaupt eingesetzt?
Sander Münster: Es ist immer noch die Ausnahme. Zwar gibt es Studiengänge, in denen Dozenten damit arbeiten, zum Beispiel wenn sie Geometrie vermitteln wollen, oder in der Architektur. Aber wir sprechen hier nicht gerade über eine Alltagstechnologie.
In Ihrem Webinar sind Sie dennoch auf verschiedene Programme eingegangen, von denen manche einfach und andere schwieriger zu erlernen sind.
Sander Münster: Es gibt tatsächlich einige Programme, die relativ einfach zu handhaben sind. Und ich habe auch ein Kursangebot, bei dem Studenten nach vier bis sechs Stunden in der Lage sind, selber ein schön anzusehendes 3D-Modell zu erstellen. Jedoch muss gerade die Herstellung von Lehrinhalten sorgfältig geplant werden. Wenn dann noch komplexe Zusammenhänge dazustellen sind, erfordert dies neben technischen Fertigkeiten und fachlicher Kompetenz auch sehr viel Konzeptionsarbeit.
Das heißt, wir sind Lichtjahre davon entfernt, 3D-Visualisierungen als gängiges Instrument in der Lehre einzusetzen?
Sander Münster: Ich glaube zumindest nicht, dass Lehrende sich die Kompetenz, Lehrinhalte auf diese Weise selbst aufzubereiten, wie selbstverständlich aneignen müssen. Allerdings sehe ich eine wachsende Anzahl von akademischen und kommerziellen Dienstleistern, die dazu in der Lage sind. Und gerade dafür wäre bei den Lehrenden ein gewisses Grundwissen zu Technologie und Anwendung von Vorteil.
3D ist also längst noch nicht ausgereizt?
Sander Münster: Absolut nicht. Ich gehe davon aus, dass sich beispielsweise durch interaktive 3D-Visualisierungen auf mobilen Endgeräten zahlreiche neue Anwendungsgebiete zur Wissens- und Informationsvermittlung erschließen. So lässt sich dem Besucher einer Burgruine vor Ort auf dem Mobiltelefon zeigen, wie diese früher ausgesehen hat.
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