Das EduBook am Thomas-Strittmatter-Gymnasium
Bonn, August 2006 - Im Winter 2005 wurde am Thomas-Strittmatter-Gymnasium (TSG) im baden-württembergischen St. Georgen die erste EduBook-Klasse eingerichtet. Die Klasse 6b bekam 20 EduBook I geschenkt, die während des gesamten Unterrichtstages zur Verfügung standen. Das verändert die Lehr- und Lernumgebung erheblich, meint Schulleiter Ralf Heinrich.
Was hat Sie dazu bewogen, eine Notebook-Klasse einzurichten?
Ralf Heinrich: Aus dem Geschäftsleben, aber auch aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nicht mehr wegzudenken. Deswegen ist es sehr wichtig, dass sich die wesentlichen Erziehungspartner - also Elternhaus und Schule - endlich die Medienerziehung aneignen.
Dies gilt umso mehr, als Neue Medien natürlich nicht nur die oft beschworenen Gefahren beinhalten, sondern eben auch große Chancen eröffnen. Die Bildungsoffensive 2006 zielt mit ihrem Angebot konkret auf die private Mediennutzung und schafft damit einen längst überfälligen Anknüpfungspunkt für die schulische Medienerziehung. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir bei diesem Projekt mitmachen.
Welche Erwartungen knüpfen Sie an den Einsatz moderner Computertechnik in Ihrem Unterricht?
Ralf Heinrich: Wir wollen die jungen Leute besser als bisher auf das Leben in der Informationsgesellschaft vorbereiten. Und das bedeutet, dass sie in der Lage sein sollen, Hard- und Software reflektiert und effizient zu nutzen und anhand ihrer Bedürfnisse und Aufgaben auszuwählen. Dann können sie die Bildungs- und Lernchancen, die ihnen die Informationstechnologien bieten, wirklich nutzen.
Zudem sollten Veränderungen im Denken, in der Sprache und in der Problemlösung Thema des Unterrichts sein. Der Lernende soll realisieren, dass die jeweiligen digitalen Werkzeuge zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Ein Beispiel: Ein Schüler bemerkt irgendwann, dass es einen Unterschied macht, ob er seinen Aufsatz oder seine Gruppenarbeit in linearer Gliederung mit Hilfe von Microsoft Word oder eher assoziativ mit Hilfe des Mindjet Mind Managers vorbereitet. Oder dass eine Netzrecherche die Sichtung in der Bibliothek nicht ersetzt, sondern allenfalls vorbereitet.
Die Lehrkräfte wiederum erkennen das Potenzial, das in der jugendlichen Herangehensweise von "Trial and Error" liegt. Viele Schüler kultivieren diesen Lösungsweg bei den unterschiedlichsten Aufgabenstellungen mit erstaunlichen Ergebnissen.
Verfolgen Sie dabei einen speziellen pädagogischen Ansatz?
Ralf Heinrich: Ja, denn oft wird der große Fehler gemacht, die Mediennutzung und -erfahrungen der Erwachsenen unreflektiert auf Kinder und ihre Denk- und Arbeitsweisen zu übertragen. Das funktioniert nicht, weil Kinder und Jugendliche die neuen Technologien anders nutzen.
Das zeigt sich etwa am Umgang mit dem Internet: Ich nutze es beispielsweise während der Arbeit, weil mir in meinem halbwegs fertigen Wissensgebäude eine spezielle Information fehlt. Danach suche ich zielgerichtet, finde sie und arbeite sie ein. Ich hole mir also ganz gezielt Bausteine aus dem Internet. In Schule, Studium und Berufsjahren habe ich mir die dafür notwendige Kompetenz angeeignet.
Das Gedankengebäude der Kinder dagegen ist erst im Entstehen. Sie können deshalb das Angebot des Internets nicht derart gezielt nutzen. Damit sie ihr Wissens- und Gedankengebäude bauen können, brauchen sie vor allem zwischenmenschlichen Kontakt, Eltern, andere Kinder und Lehrer.
Dann können sie bei der Entstehung dieses Gerüstes gleichzeitig peu à peu lernen, sich in digitalen Netzen zu bewegen und zu orientieren. Wir tun also drei Dinge parallel: Wir bauen das Wissen und das Denkgerüst der Schüler auf, nutzen dafür auch die Neuen Medien und reflektieren gleichzeitig diese Medienrealität kritisch.
Kritische Reflexion der Medienrealität bedeutet ja auch Aufbau von Medienkompetenz. Was gehört alles dazu?
Ralf Heinrich: Ziel sollte auf jeden Fall sein, Schülern einen verantwortlichen Umgang mit der Technik beizubringen. Dazu gehört etwa, dass sie lernen, ihren Aufenthalt vor dem Bildschirm zeitlich zu kontrollieren. Ein weiterer Punkt ist, dass die Schüler die Chancen erkennen, die in der Interaktivität dieser Medien liegen.
Sie sollen einsehen, dass hinter einer eMail oder einer SMS reale Personen stehen, dass auf einer Webseite bestimmte Interessen vertreten werden und dass der Programmierer einer Textverarbeitungssoftware ihre Sprache und ihr Denken beeinflusst. Ähnlich, wie Schüler im Geschichtsunterricht lernen, historischen Quellen nicht blindlings zu vertrauen, müssen sie in der heutigen Informationsgesellschaft lernen, moderne Quellen wie Google oder Wikipedia kritisch zu lesen, das heißt, deren Chancen, aber auch die Grenzen und dahinter stehende Interessen zu erkennen.
In welchen Fächern werden die EduBooks eingesetzt?
Ralf Heinrich: In Mathematik lässt sich etwa im Teilbereich Geometrie vieles sehr gut am Bildschirm darstellen. Das Gleiche gilt für Simulationen in Physik oder Notensysteme im Musikunterricht. Unser Musiklehrer setzt das Notebook mit den Kopfhörern außerdem zur Instrumentenkunde ein.
Ein weiteres Beispiel ist das Fach Religion, in dem es eine Unterrichtseinheit "Gerechtigkeit" gab. Hier wurde mit Hilfe der Notebooks recherchiert, was die Hilfsorganisation Brot für die Welt macht oder warum das Hungerproblem gerade in Äthiopien so groß ist.
Die Schüler haben verschiedene Unterstützungsprojekte realisiert, Hilfsmittel transferiert und später per eMail nach den Erfolgen gefragt. In Geschichte bietet das Lernprogramm Microsoft Encarta gute Möglichkeiten, um die Schüler immer wieder in der Zeitleiste zurückzuführen, gerade dann, wenn der Unterricht eher problemorientiert angelegt ist.
In den Fremdsprachen werden Vokabeln digital aufgearbeitet, während das Sprechen natürlich in der Gruppe und mit dem Lehrer geübt wird - nicht mit Kopfhörern.
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Lernprogramme und die Software, die mit dem EduBook zur Verfügung gestellt werden?
Ralf Heinrich: Die Bildungsoffensive 2006 ist mir vor allem deswegen sympathisch, weil sie die private Nutzung des Laptops mit der pädagogischen Komponente verbindet. Das ist etwas völlig Neues, und damit wird ein wichtiges Ziel anvisiert.
Allerdings verursachte die Tatsache, dass das EduBook vor allem auf die private Nutzung zielte, hier in der Schule einige Umstände: Es war technisch enorm aufwändig, fertig konfigurierte Notebooks mit der kompletten Software in unser vorhandenes Netzwerk zu integrieren. Die Fülle der Software führt aber auch dazu, dass Lehrer, Eltern und SchülerInnen ein sehr breites Spektrum vorfinden und damit unterschiedliche Anknüpfungspunkte, je nach ihren Bedürfnissen.
Das hilft wiederum dabei, das gemeinsame Lernen von Jung und Alt zu Hause ebenfalls zu unterstützen. Die Kehrseite der Medaille war, dass diese Fülle der Programme das EduBook teilweise etwas langsam gemacht hat.
Bedauerlich fanden wir, dass keine Lernsoftware integriert war, die zu den im Unterricht verwendeten Lehrbüchern passte. Dies würde den Lehrkräften die Arbeit mit dem EduBook sehr erleichtern, denn vor allem der Sprachunterricht ist fest an die Schulbücher gebunden.
Schließlich mussten wir feststellen, dass ein Programm fehlte, um den Schülern erst einmal das Schreiben mit 10 Fingern beizubringen. Die Bildungsoffensive 2006 hat diese Anregungen teilweise aufgegriffen und die zweite Auflage des EduBooks entsprechend modifiziert.
Wie verändert sich das Lernen und der Lernalltag beziehungsweise die Lern- und Lehrumgebung?
Ralf Heinrich: Zu den Veränderungen der Lern- und Lehrumgebung gehört, dass sowohl die Lehrkraft als auch die Schüler darauf achten müssen, einen körperlichen Ausgleich zum unbewegten Sitzen vor dem Bildschirm zu schaffen. Wir sitzen in den Schulen - und nicht nur dort - ohnehin zu viel.
Man muss zudem darauf achten, dass im Schulalltag nicht drei "Computerstunden" hintereinander gegeben werden. Medien- und Methodenwechsel bleibt eine didaktische Grundregel. Und natürlich verändert der Einsatz der Computer darüber hinaus die Lernumgebung.
Ein Klassenzimmer ist ja ein relativ geschützter Raum, dessen Fenster nun mit dem Einsatz von Computern und vor allem durch das Internet weit aufgestoßen werden. Das muss man im Auge behalten und die Kinder entsprechend begleiten.
Das Schuljahr ist mittlerweile vorbei. Wie geht es nach den Sommerferien mit der Notebook-Klasse weiter?
Ralf Heinrich: Zum einen ist es unser Ziel, dass alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgansstufe 6 einmal eine Notebook-Klasse durchlaufen, damit alle die gleichen Chancen haben. Deshalb haben wir die Erfahrungen des letzten Jahres ausgewertet und Lehren für die Zukunft gezogen.
So wollen wir unsere Lehrer besser als bisher auf den Computereinsatz vorbereiten. Im Technologiezentrum St. Georgen haben wir einen Partner gefunden, der uns bei der dafür notwendigen Lehrerfortbildung und der Anschaffung von weiteren EduBooks unter die Arme greift. Denn gezielte Fortbildungsmaßnahmen sind bei einem solchen Projekt ein absolutes Muss. Sonst kommt nach der ersten Euphorie schnell ein Stillstand.
Als zweiter Punkt ist uns wichtig, dass wir die Medienpädagogik in unser pädagogisches Gesamtprofil integrieren, denn nur dann kann ein solcher Ansatz auf Dauer funktionieren. Ein Erfolg wäre es darüber hinaus, wenn es uns gelingen würde, eine echte Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus zu organisieren, etwa mit Hilfe der Volkshochschule.
Denn das ist ja das Ziel der Bildungsoffensive 2006: die private Mediennutzung mit dem Lernen und damit natürlich auch mit der Schule zu verbinden. Für mich ist es dabei besonders wichtig, dass der medialen Realität ein pädagogisches Konzept gegenüber gestellt wird. Nur dann können Kinder lernen, verantwortungsvoll mit diesen Neuen Medien umzugehen.
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