"Glaubenssatzkriege werden durch Fachdebatten ersetzt"
Durmersheim, Mai 2020 - Agiles Projektmanagement hält langsam auch in die Schulwelt Einzug. Dabei spielt der Identitätswandel von der lehrenden zur lernenden Organisation eine zentrale Rolle, sagt Volker Arntz, Rektor der Gemeinschaftsschule Hardtschule in Durmersheim.
Was macht aus Ihrer Sicht agile Methoden für schulische Projekte besonders geeignet?
Volker Arntz: Wer mit größerer Distanz auf Schulen blickt, sieht zunächst beamten- und verwaltungsrechtlich wohlgeordnete Organisationen in denen ein ordentlicher Lehrbetrieb möglich scheint. Schaut man tiefer in die Strukturen, so stellt man fest, dass es vorrangig um "Lehren" geht. Tatsächlich sind alle Protagonisten guter Hoffnung, dass dieses "Lehren" bei den Kindern auch zu "Lernen" führt. Stellt sich die gewünschte Wirkung nicht ein, müssen Eltern ihrer Verantwortung gerecht werden oder die Nachhilfeindustrie muss den gewünschten Erfolg herbeiführen. Solche Schulen brauchen "Schulverwaltung".
Wo verorten Sie sich und Ihre Schule?
Volker Arntz: Schulen, die wie wir den Schritt von lehrenden zu lernenden Organisationen vollziehen, befinden sich auf dem Weg der Schulentwicklung. Lernende Organisationen richten den Blick auf "Lernen" - auf das der Kinder und natürlich auch auf ihr eigenes. Während "Lehrprozesse" bestenfalls kompliziert sind, sind "Lernprozesse" immer multidimensional und komplex.
Einfache Top-Down-Organisationen mit einfachen Regelsätzen werden der Komplexität der Menschen und Situationen an Schulen nicht gerecht - den Kindern nicht und den LehrerInnen auch nicht. Agile Organisationen, die ihre Zielhorizonte fest im Blick haben, messen immer wieder in kurzen Etappen die Effekte ihres Tuns und passen ihr Verhalten an. Sie steuern nicht, sie navigieren beim Driften. Gesellschaft und darin natürlich auch Kindheit unterliegt dem vielzitierten ständigen Wandel. Ziel der Schulentwicklung sollte es sein, Schule so aufzustellen, dass sie sich vor dem Hintergrund der tatsächlichen Welt durch eigenes Lernen immer wieder neu erfinden kann ohne ihr Ziel - gute Bildung - aus den Augen zu verlieren. Das geht nicht mit "Wasserfall-Planungen". Dafür braucht es agile Methoden, wie zum Beispiel Scrum, was bei uns zum Einsatz kommt.
Agile Methoden an einer Schule sind für die Beteiligten Neuland. Wir funktioniert das?
Volker Arntz: Lehrer sind in hohem Maß ethisch getrieben. Sie wollen sich um Kinder kümmern und einen guten Job machen. Die Systeme innerhalb derer sie agieren, setzen an dieser Stelle jedoch oft keinen Fokus, weil rechtssichere Notengebung und störungsarmer Unterricht scheinbar systemrelevanter sind, als pädagogischen Softskills wie z. B. Empathie oder Beziehungsfähigkeit. Gerade die leitgewichtige Scrum-Methode eignet sich hervorragend um komplexe Entwicklungsprozesse mit Lehrern zu gestalten.
Die ersten Fachteamsitzungen in denen der Fachunterricht (z. B. Mathematik) an der Hardtschule basisdemokratisch entwickelt wurde, waren anstrengend, träge, ineffizient und letztlich frustrierend. Fehlende (oder nicht ausdiskutierte) gemeinsame Wertmaßstäbe führten immer wieder zu zeitraubenden Glaubenssatzdebatten ohne, dass dabei handlungsleitende Ideen für künftige Entscheidungen entstanden wären.
Und wie ging es weiter?
Volker Arntz: Der Scrum-Prozess brachte als Ergebnis der Diskussionen griffige DoDs, die für die künftige Arbeit genutzt und weiterentwickelt werden konnten. Schwierige Auseinandersetzungen über Prioritäten fanden ihr Ende mit der klaren Verantwortlichkeit des Product-Owners, in dessen Zuständigkeit die Priorisierung des Product-Backlogs liegt. Außerdem sammelt er regelmäßig Feedbacks der Stakeholder, hier Lerngruppen, Kollegen, Eltern und Leitung, die zur Weiterentwicklung der Arbeit genutzt werden.
Was hat ihr Kollegium zu diesen neuen Anforderungen gesagt?
Volker Arntz: Den unüberblickbaren Berg von Aufgaben vor sich her zu schieben, verursachte bei vielen Kollegen ein chronisch schlechtes Gewissen. Die Einteilung der Aufgaben in überschaubare User-Stories, die in verlässlichen Zeitfenstern, den Sprints, abgearbeitet werden können, verschafft hingegen Erfolgserlebnisse und gute Laune. Die mögliche Unzufriedenheit, die mit der Tatsache einhergehen kann, dass nicht alle Menschen im Team dieselbe Leistung erbringen können, hat beim Scrum-Master ihre Heimat. Er ist dafür zuständig, innere und äußere Einflüsse wahrzunehmen und Störungen zu minimieren.
Das beeindruckende an Scrum ist, wie schnell es auf die Qualität der Arbeit und auf die Effizienz des Teams wirkt. Die Teams identifizieren sich in sehr hohem Maß mit ihrem Produkt (z. B. dem Mathematikunterricht der Stufen 5 bis 10), übernehmen Verantwortung für die Qualität der Aufgabenpakete (Lernjobs) und erleben sich und ihre Arbeit als wirksam. Glaubenssatzkriege werden durch Fachdebatten ersetzt, bei denen alle Beteiligten immer wieder dazulernen können.
Wie hat sich die Zusammenarbeit verändert, seit Sie an der Schule Projekte agil managen?
Volker Arntz: Die Organisation ist sehr transparent geworden. Viele Menschen haben gerade über die Scrun-Prozesse Rollen und damit Verantwortung übernommen. Genau die Menschen, die Verantwortung übernommen haben, gestalten jetzt auch maßgeblich die Prozesse an unserer Schule. Wer Verantwortung übernehmen und mitgestalten will, der tut dies. Wer dies nicht will - und auch dafür kann es viele gute Gründe geben - nimmt ausführende Rollen ein. Die Idee, dass der Segen "von oben" kommt und dass Leitung für Dinge alleine verantwortlich ist, gibt es nicht mehr.
Wir haben uns von 'Ich und meine Klasse' über 'Wir und unsere Stufe' zu 'Wir und unsere Schule' entwickelt.
Über den Scrum-Prozess sind wir mit der Rolle der Stakeholder konfrontiert worden. Das Stakeholder-Prinzip, dass berechtigt Interessierte in Entscheidungen formal einbezieht, haben wir für alle Entscheidungsprozesse adaptiert. Auf diese Weise hat sich der Aufwand für informelle Kommunikation drastisch minimiert. "Stille-Post"-Effekte haben stark abgenommen, weil wichtige Entscheidungen nicht mehr in unzähligen Flurgesprächen viral kommuniziert werden müssen. Es gibt mehr Verständnis und weniger Missverständnisse.
Wir agieren abgestimmt und planvoll - auch dank Scrum. Die operative Hektik ist verschwunden.