"Ich habe viel herumexperimentiert"
Esslingen, Mai 2020 - Früher mussten die SchülerInnen von Ralf Weinert, Lehrer an der Seewiesenschule in Esslingen, Projekte machen. Heute will und darf er als Lehrer nicht mehr alles vorgeben. Dafür bedarf es einer Struktur, in der sich die Beteiligten mit ihren Ideen einbringen können und dennoch so etwas wie eine Ordnung ersichtlich ist.
Ralf Weinert ist Sekundarstufe-I-Lehrer an der Seewiesenschule, einer Gemeinschaftsschule in Esslingen und seit über zehn Jahren in der Lehrerfortbildung tätig. Er bietet u.a. Fortbildung zu Moodle, Tablet (Android) und multimedialem Arbeiten im Unterricht.
Sie nutzen agile Methoden als Ordnungssystem für Kreativität. Wie kamen Sie darauf?
Ralf Weinert: Seit etwa zehn Jahren bin ich in der Lehrerfortbildung tätig und komme häufig mit andern Tools und Programmen in Kontakt. Was ich brauche sind Zettel, Pinnwand, Clustern, Arbeitspläne erstellen, feinere Arbeitspakete definieren, Zeitangaben und Abgabefristen – vieles davon kann man mit einem Kanban umsetzen. So heißt es bei Crypad, bei Nextcloud nennt man es Deck. Und: Wenn alle, die beteiligt sind, das nutzen wollen, dann benötigen wir dafür einen abgesicherten Workspace, auf den alle zugreifen können.
Das heißt Kanban ist für Sie nur ein Tool von vielen im agilen Arbeitsprozess?
Ralf Weinert: Zum gemeinsamen Sammeln von Ideen kann man viele Tools nehmen, angefangen bei einem Zumpad oder einer Pinnwand bei learningapps.org oder auch einen Padlet. Mit dem anschließenden Clustern von Ideen oder Beiträgen wird das schon etwas schwieriger, hier habe ich in letzter Zeit Oncoo.de kennengelernt, das finde ich prima. Hier können die Lernenden ohne "Spicken" Ideen einbringen, jeder kann trägt "anonym" etwas beitragen. Anschließend kann das geordnet bzw. geclustert weden.
Natürlich muss man solche Instrumente einführen und üben. Und man muss Geduld haben. Bei meinem ersten Versuch musste ich dann schon sehr intensiv mit einem Jungen reden und ihm erklären, dass "Penis" kein sinnvoller Beitrag für unser Projekt ist. Das gehört zum Lehrerleben dazu.
Wobei der Markt der Möglichkeiten ja riesig ist.
Ralf Weinert: Es gibt natürlich noch andere Systeme. Obwohl ich ein großer Freund von Moodle bin und man damit wirklich viel machen kann, halte ich von dem integrierten Mindmap-Tool nicht viel, da ist das bei Nextcloud in meinen Augen besser. Oder dann gleich echte Mindmapping-Systeme, die dann aber leider nicht von überall mit allen zusammen zu bearbeiten sind.
Wichtig ist meines Erachtens der nächste Schritt: Das Schnüren von Arbeitspaketen. Das ist nicht so einfach, denn man muss loslassen können und Vertrauen haben. Zugleich muss man aber auch helfen, die Ideen in kleinere Häppchen runter zu brechen. Gerade dieser Teil des Projektmanagements wird meiner Meinung nach oft unterschätzt.
Und da sind wir wieder bei Kanban: Aus der Wirtschaft ist das ja längst bekannt. Mit einer einfachen dreispaltigen Tabelle und Post-Its kann es schon losgehen. Jedes Arbeitspaket ist eine Position. Die erste Spalte sind die To-Do‘s, die Zweite sind die Dinge, die in Arbeit sind und in der 3. Spalte stehen die "done" - evtl. muss dort auch eine weiter Prüfungsschleife ran.
Das klingt begeistert. Wem würden Sie eine solche Vorgehensweise empfehlen?
Ralf Weinert: Gerade jetzt zu Zeiten von Schule@Home ist das Kanban, z.B. über cryptpad.fr oder auch nur als Pinnwand im Kinderzimmer toll. Damit können die SchülerInnen auf einen Blick sehen, was alles zu machen ist. Das kann man schon mit jüngeren Kindern eintrainieren, schon ab der Sekundarstufe und da dann zusammen mit einer ganz einfachen Arbeitsstruktur. Die läuft dann so:
- Schau am Morgen was es zu erledigen gibt, schreibe die Zettel dafür und pinne sie an.
- Suche einen Zettel aus, pinne ihn um - mache die Aufgabe, ist diese erledigt, setze sie um.
- Willst Du oder musst du heute noch was machen? Dann wiederhole Schritt 2.
Sie haben schon einige Erfahrung mit solchen Methoden. Auf was sollte man unbedingt achten?
Hier gilt das, was immer gilt, wenn es um Veränderung geht: Man muss sich klar machen, dass nicht alle Beteiligten gleich weit sind - und dass sie sich nicht gleich gerne verändern wollen. Diese Erkenntnis ist wirklich wichtig! Gerade mit KollegInnen muss man absprechen, worauf es ankommt. Zudem muss man kleinschrittig vorgehen und festlegen, dass z.B. jeder pro Zeiteinheit X ein gewisses Arbeitspaket, bei uns ist das in der Schulentwicklung, bearbeiten muss.
Das richtige Maß für die Arbeitspakete zu finden, ist schwer und das muss immer wieder neu überdacht werden. Anspruchsvoll ist auch die Formulierung der Arbeitspakete selbst: sie müssen sehr gut beschrieben werden, damit man arbeitsteilig ein großes Projekt angehen kann. Im Prozess muss man unbedingt Phasen einplanen, in denen die Ergebnisse gezeigt werden können, eventuell direkt verbunden mit einer anschließenden Verabschiedung oder Vereinbarungen für eine Nachbesserung.
Sie setzen verschiedene Tools in der Schulentwicklung ein. Inwieweit dient das so auch der Weiterbildung Ihres Kollegiums?
Ralf Weinert: Wir haben an meiner Schule das so genannte "Seewiesenweg"-Team, unsere Schulentwicklungsgruppe. Dort bringen wir unser verschiedenen Expertisen ein, insgesamt wird hier viel von der Schulleitung organisiert aber auch "angeschubst" und gelenkt - was wichtig ist, den Veränderung kann in meinen Augen nur gelingen, wenn alle – Schulleitung und Lehrende, aber auch Eltern und SchülerInnen sowie die andern Partner einer Schule wie die Stadt als Träger, die Hausmeister, eventuell auch kooperierende Vereine, Ganztagsbetreuung, etc. - mitmachen.
Bei uns wird genau das durch unser "Zukunftsforum" realisiert. Wir sind schon gut unterwegs, aber es geht immer noch etwas besser. Zum Beispiel, indem Ideen noch konkreter zu Arbeitspaketen gepackt und dann die Arbeit auf viele Schultern verteilt werden kann.
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